William J. Courtenay / Eric D. Goddard (eds.): Rotuli Parisienses. Supplications to the Pope from the University of Paris, Volume III: 1378-1394 (= Education and Society in the Middle Ages and Renaissance; Vol. 44), Leiden / Boston: Brill 2013, 2 Bde., XIV + 1152 S., ISBN 978-90-04-23378-2, EUR 249,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Claudia Garnier: Die Kultur der Bitte. Herrschaft und Kommunikation im mittelalterlichen Reich, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2008
Gerhard Lubich: Verwandtsein. Lesarten einer politisch-sozialen Beziehung im Frühmittelalter (6. - 11. Jahrhundert), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008
Peter Hilsch: Das Mittelalter - die Epoche, Stuttgart: UTB 2006
2002 und 2004 erschienen die ersten beiden Bände einer Edition, die mit dem hier vorzustellenden Werk fortgeführt wird. Es handelt sich um die Edition und zum Teil Rekonstruktion der Supplikenrotuli der Universität Paris an die avignonesischen Päpste des 14. Jahrhunderts - eine Quellenpublikation besonderer Art. [1] Die Entgegennahme und positive Beantwortung universitärer Rotuli stellte namentlich im 14. Jahrhundert eine gängige Form der Studienförderung durch die römische Kurie dar: Magister und Studenten einer Hochschule setzten Sammelbittschriften an den amtierenden Papst auf (insbesondere zu Beginn eines Pontifikats), in denen sich jeder Beteiligte um eine konkret benannte geistliche Pfründe bewarb. Diese Bitten wurden in der Regel großzügig bewilligt und die kuriale Behörde stellte den Bittstellern Gratialbriefe aus, die nach gewissen, klar definierten Regeln Rechtsansprüche der Universitätsangehörigen auf Pfründen begründeten. Auch wenn dies keineswegs immer zum Erfolg führte, waren solche päpstlichen Rechtstitel doch bei den Akademikern sehr begehrt. [2]
In der Zeit des avignonesischen Papsttums wurden zahlreiche Supplikenrotuli der Pariser Universität oder einzelner Teilkörperschaften (wie etwa des Sorbonne-Kollegs) an den Papst adressiert. Teilweise erhalten, stellen sie eine wichtige Quelle zur Personengeschichte der Hochschule dar: Sie informieren uns zum einen über den jeweiligen Personalbestand, wobei diese Listen der Natur der Sache nach freilich nie vollständig sind und zum Teil auch bereits ausgeschiedene Universitätsmitglieder beinhalten können. Zum anderen geben sie Hinweise auf die außeruniversitär-kirchlichen Karrierepläne der Magister und Studenten. Courtenays Sammlung aller diesbezüglichen Belege geht dabei noch über die erhaltenen Rotuli hinaus. Er berücksichtigt auch verlorene Bittschriften, insofern sie Spuren in den päpstlichen Briefauslaufregistern hinterlassen haben. Eingehende Suppliken und auslaufende Schriftstücke (Expektanzen, Mandate usw.) wurden bekanntlich im Spätmittelalter von der kurialen Kanzlei im großen Umfang abschriftlich registriert und viele dieser Briefregister sind bis heute erhalten. Für den 16 Jahre lang dauernden Pontifikat Clemens VII. (1378-1394) sind dies immerhin 35 Bände Briefein- und 68 Bände Briefausgang (5)! Indem Courtenay auch den Briefausgang prüfte und die an Pariser Universitätsangehörige gerichteten Schreiben heraussuchte (zu seinen Auswahlkriterien siehe 6-8 der Einleitung), konnte er eine umfassende Übersicht über die gesamte Supplikationstätigkeit der Pariser Magister und Scholaren in jener Zeit gewinnen. Auch verlorene Rotuli (von deren Existenz wir zum Beispiel aus den Pariser Nationsakten wissen) lassen sich so zumindest zum Teil rekonstruieren [3] - sie werden zusammen mit den erhaltenen Rotuli in der Edition dokumentiert.
Der vorliegende Band 3 erschließt das reichhaltige Material aus dem Pontifikat Clemens' VII. Dieser war schon aufgrund seiner bedrängten Lage im avignonesischen Schisma mit seinen Gnadenerweisen ausgesprochen freigiebig - entsprechend lang sind die Rotuli, die mehr als sonst üblich auch viele "einfache" Studenten umfassen (5). In einer anderen Hinsicht jedoch dürfte das von diesen Quellen gezeichnete Bild etwas verzerrt sein: Im Großen Abendländischen Schisma bildete Frankreich das Herzstück der Oboedienz Clemens' VII., während etwa Deutschland zu Urban VI. hielt (von dem sich kaum Briefregister erhalten haben). Eine von Clemens VII. ausgesprochene Pfründenverleihung hätte mithin in weiten Teilen Europas nichts genützt und wurde somit von dort auch nicht nachgefragt. Die Belegschaft der Pariser Hochschule sieht somit in der Edition Courtenays noch "französischer" aus, als sie ohnehin schon war - was freilich damit korrespondiert, dass gerade viele Deutsche wegen des Schismas Paris den Rücken kehrten (man denke an den Universitätsgründer von Heidelberg, Marsilius von Inghen).
Für Forschungen zur Personengeschichte deutscher Gelehrter ist der vorliegende Band 3 der "Rotuli Parisienses" somit kaum ergiebig - er enthält nur eine Handvoll niederländisch-westdeutscher Kleriker, gegenüber immerhin circa 90 in Band 2 (zu 1352-78). Als einziger Prominenter fiel dem Rezensenten Reinbold Vener auf, Vertreter einer berühmten Gelehrtenfamilie, der als Straßburger Offizial im Februar 1380 einen Rotulus in Avignon einreichte (870). Enthält das Buch in dieser Hinsicht also keine Überraschungen, liegt sein Wert in der umfassenden und übersichtlichen Sammlung prosopografischen Materials für französische Gelehrte jener Zeit. Forscher, die sich mit der Geschichte der Universität Paris und ihrer vielfältigen personalen Verflechtungen mit den Regionen Frankreichs beschäftigen, werden William Courtenay für seine akribischen Bemühungen wiederum großen Dank wissen.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zu den ersten beiden Bänden die Rezension von Robert Gramsch, in: DA 60 (2004), 274f.
[2] Zu deutschen Beispielen vgl. Jürg Schmutz: Erfolg oder Mißerfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Heidelberg und Köln 1389-1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: ZHF 23 (1996), 145-167.
[3] Vgl. hierzu die methodischen Erläuterungen im Band 1 seiner Edition, 9-16.
Robert Gramsch