Othmar Plöckinger: Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär 1918-1920, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2013, 377 S., ISBN 978-3-506-77570-2, EUR 39,90
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Ein prägnantes Merkmal der nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945 war der allumfassende Propagandaapparat, der in alle Bereiche des Lebens in Deutschland eindrang. Ausgangs- und Mittelpunkt des NS-Propagandastaates war sein Führer Adolf Hitler, dessen "Lehrjahre" in Sachen Propaganda Othmar Plöckinger in seinem neuen Buch beleuchtet. Bereits in seiner letzten Publikation hat sich der Autor mit Hitler auseinandergesetzt, als er die Geschichte von Hitlers Propagandaschrift "Mein Kampf" ausführlich nachgezeichnet hat. [1] Nun geht er als ausgewiesener Spezialist für die frühen Jahre des "Führers" noch weiter in Hitlers Biographie zurück. Konkret stellt er sich der Frage, welchen Einfluss die turbulenten Jahre zwischen 1918 und 1920 auf die ideologische Prägung des zukünftigen Führers des Dritten Reiches gehabt haben. Wie Thomas Weber bereits festgestellt hat, ist Hitler entgegen seiner eigenen Darstellung in "Mein Kampf" nicht als glühender Antisemit und Meister der Propaganda aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen. [2] Die Genese Hitlers vom einfachen Gefreiten zu dem nationalistischen Agitator, als der er ab 1920 auftrat, muss folglich in den zwei Jahren nach dem Kriegsende stattgefunden haben. Aus diesem Schluss ergibt sich das von Plöckinger untersuchte Zeitfenster, in dem er vor allem den Blick auf die nationalistische und antisemitische Propaganda richtet, die auf die Soldaten der bayerischen Truppenkontingente und damit auch auf Hitler einwirkte. Hier sucht er nach dem Ursprung für Hitlers Ideologie und sein Verständnis von Propaganda.
Um die Quellen für die Gesinnung des "Führers" herauszuarbeiten, legt Plöckinger den Hauptfokus im ersten Teil seiner Untersuchung auf Hitlers damaliges Umfeld, die bayerische Armee, und die nationalistische und antisemitische Propaganda, die sich innerhalb der bayerischen Truppen immer mehr verbreitete. Der Leser macht hier unter anderem Bekanntschaft mit den Geheimgesellschaften und verschiedenen Nachrichtendiensten, die im nachrevolutionären München am Werk waren. Der zweite Abschnitt befasst sich dann mit den "Agitatoren", die mit ihren Schriften deutliche Spuren in Hitlers Ideologie hinterlassen haben.
Allerdings ist der Titel der Untersuchung "Unter Soldaten und Agitatoren" etwas missverständlich, da hierdurch der Eindruck entstehen kann, dass der Soldat vom Agitator klar zu trennen ist. Wie die Untersuchung aber deutlich macht, wurde auch von deutschen Offizieren nach dem Kriegsende eine nationalistische und antisemitische Propaganda betrieben und kam so mancher Agitator (wie Hitler ja auch) aus den Reihen des Militärs. Dass beides nicht zu trennen ist, macht Plöckinger dann aber im Verlauf seiner Ausführungen deutlich und so endet seine Betrachtung von Hitlers ideologischer Prägung mit der Schlussbemerkung "Der Soldat als Agitator".
Aus der inhaltlichen Zweiteilung ergeben sich auch zwangsläufig Redundanzen in der Darstellung, wie der Autor in der Einleitung selber einräumt. Darüber hinaus "werden dabei biografisch-militärgeschichtliche Entwicklungen von propagandistisch-ideologischen in einer Weise getrennt, die sie als unabhängiger voneinander erscheinen lassen könnte, als sie es waren" (14), so dass die Teilung der Untersuchung in einen militärgeschichtlichen und einen propagandageschichtlichen Teil "unbefriedigend bleiben muss" (13). Trotz dieser von Plöckinger selbst angesprochenen Kritikpunkte ist die von ihm vorgenommene Unterteilung seiner Untersuchung zweckmäßig und richtig für die Darstellung der Einflüsse, die auf Hitler in dem untersuchten Zeitraum eingewirkt haben.
Inhaltlich bietet das Buch keine ausführliche Darstellung von Hitlers Dasein in München zwischen 1918 und 1920 und dies ist auch gar nicht das Ziel der Untersuchung. Es liegt dem Autor nicht daran zu zeigen, wie Hitler in diesen Jahren lebte, sondern welchen Einflüssen und gedanklichen Strömungen er ausgesetzt war. Darum ist die Untersuchung auch in weiten Teilen von Hitlers eigentlicher Biografie abgelöst. Hier liegt eine der Stärken des Buches, denn es bietet einen exzellenten Einblick in die aufgeheizte Stimmung innerhalb der bayerischen Militärverbände nach dem Krieg. Die Untersuchung zeigt am Beispiel Bayerns, wie die aggressive nationalistische und antisemitische Agitation, die im gesamten ehemaligen Kaiserreich zu beobachten war, geschürt wurde und dass das Militär dabei eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Mit großer Belesenheit und Quellennähe zeichnet Plöckinger minutiös nach, wie sich nationalistisches und antisemitisches Gedankengut immer weiter unter den Soldaten der bayerischen Einheiten verbreitete. Dabei wird auch deutlich gemacht, dass diese Inhalte durchaus kein Produkt der Nachkriegszeit waren, sondern schon vor und während des Ersten Weltkrieges in der Truppe kursierten. Die Arbeit legt außerdem dar, dass die Militärführung antisemitische Hetze in den eigenen Reihen durchaus duldete, aber gleichzeitig darum bemüht war, das nicht allzu deutlich nach außen dringen zu lassen.
Auch wenn es sich nicht um eine Hitler-Biografie im herkömmlichen Sinn handelt, verliert die Untersuchung Hitler nie ganz aus dem Blickfeld. Auf Grundlage seiner Recherchen bezweifelt Pöckinger einige etablierte Forschungsansichten über den Werdegang Hitlers. So zieht er die unter anderem von Ian Kershaw vertretene Annahme, "dass Hitlers Weg von der Untersuchungskommission seines Regiments direkt in die Aufklärungskurse der Reichswehr und damit in die Politik geführt habe", in Zweifel (101) und auch an anderen Stellen äußert Plöckinger auf Grund seiner Nachforschungen berechtigte Skepsis gegenüber von Ergebnissen früherer Untersuchungen über Hitler. Auf der Basis seiner Untersuchung kommt er zu dem Schluss, dass der eigentliche Einstieg Hitlers in die Politik in der zweiten Hälfte des Oktobers 1919 stattgefunden hat. Er zeichnet das Bild eines Mannes, dessen eigentliche Radikalisierung und Politisierung nicht im Ersten Weltkrieg stattfand, sondern erst nach dem Krieg in den Reihen der bayerischen Armee. Hitler war nicht der Schöpfer, sondern das Produkt eines antisemitisch geprägten Nationalismus, der schon lange vor seinem Auftreten auf der politischen Bühne im deutschen Volk und der Armee Fuß gefasst hatte.
Plöckinger stützt seine Ausführungen auf ein breites Fundament an bereits vorhandener Literatur und gedruckten Quellen, aber insbesondere auch auf bisher unveröffentlichtem Quellenmaterial aus deutschen und internationalen Archiven. Nicht nur auf der fachlichen, sondern auch auf der sprachlichen Ebene ist Othmar Plöckinger ein durchweg überzeugendes Buch gelungen, das den Leser nie langweilt oder überfordert und in seiner Argumentation stets nachvollziehbar bleibt. Es wird in Zukunft nicht nur für die weitere Erforschung von Hitlers Person und der Frühzeit der nationalsozialistischen Bewegung unverzichtbar sein, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag zur Propagandaforschung, indem es zeigt, wie bereits vor dem Krieg vorhandene Ressentiments insbesondere antisemitischer und antisozialistischer Art innerhalb der Armee nach der Kriegsniederlage instrumentalisiert und verstärkt wurden. Das Buch bereichert auf jeden Fall die Forschungsdebatte über die Anfangszeit der nationalsozialistischen Bewegung und es wird einmal mehr gezeigt, dass auch in der Erforschung der Person Adolf Hitlers das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist.
Anmerkungen:
[1] Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers "Mein Kampf", München 2006.
[2] Thomas Weber: Hitlers erster Krieg, Berlin 2011.
Christian Koch