Pia Molitor: Partner in der Führung. Die Deutschlandpolitik der Regierung Bush/Baker als Faktor amerikanischen Machterhalts, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2012, 800 S., ISBN 978-3-506-77344-9, EUR 98,00
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Nur selten wird Sozialwissenschaftlern das Glück zuteil, dass das Resultat ihrer jahrelangen Forschungsmühen bei der Veröffentlichung dank einer Laune des Zeitgeistes unverhoffte Aktualität erlangt. Pia Molitor hat dieses Glück. Ihre umfangreiche Arbeit zur Neugestaltung der deutsch-amerikanischen Beziehungen nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes, zwischen 1995 und 2008 entstanden, 2009 von der Universität Bonn als Dissertation angenommen, trifft in Deutschland auf eine durch die NSA-Affäre ausgelöste öffentliche Debatte, in der Nutzen und Kosten der engen deutsch-amerikanischen Partnerschaft so grundsätzlich wie nie seit Ende des Kalten Krieges erörtert werden. Ist die 1991 von Präsident George H. W. Bush und seinem Außenminister James Baker ausgerufene "partnership in leadership" mit Deutschland noch aktuell? Ist damit ein noch immer gültiges Paradigma deutsch-amerikanischer Sonderbeziehungen benannt?
Für die Bundesregierung, das machen ihre Reaktionen auf die NSA-Affäre deutlich, ist der besondere Stellenwert der deutsch-amerikanischen Beziehungen, wie ihn das Konzept der "Partnerschaft in der Führung" betont, weiterhin Teil deutscher Staatsräson und Referenzpunkt deutscher Außenpolitik. Gerade deshalb richtet sich an die US-Regierung die Erwartung, ihrerseits Deutschlands Stellung als wichtigster und verlässlicher Partner der USA in Europa Anerkennung zu zollen, statt es zum Gegenstand spionagewürdigen Misstrauens zu machen. Aber entspricht diese Erwartung der amerikanischen Haltung zu dieser Partnerschaft?
Pia Molitor liefert zum Verständnis des amerikanischen Interesses an Deutschland einen außerordentlich nützlichen Beitrag. Sie zeigt in ihrer umfassenden zeitgeschichtlich-politikwissenschaftlichen Analyse der amerikanischen außenpolitischen Entscheidungsprozesse der Bush-Administration (1989-1993) und der öffentlichen Debatte, in der sie wurzelten, warum für die USA enge Beziehungen zu Deutschland gerade nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes so wichtig waren, dass sie zu einer neuen "Partnerschaft in der Führung" erhoben wurden, und was damit bezweckt werden sollte: Dieses Angebot einer besonderen Partnerschaft mit der absehbaren politischen Führungsmacht in Europa sollte die enge amerikanische Verbindung mit und Präsenz in dem bisherigen Frontstaat des atlantischen Bündnisses auf eine neue Grundlage stellen, wenn der bisherige Kitt des Bündnisses, die östliche Bedrohung, wegfiel. Die Position der USA als maßgebliche Macht in Europa sollte so gesichert und Europa auch nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes als stabile amerikanische Einflusssphäre erhalten werden - fürwahr kein bescheidenes Programm.
Die Umsetzung dieses Programms untersucht die Autorin in drei großen Abschnitten: Sie beginnt mit der Phase der Unsicherheit in der atlantischen Allianz über die Absichten Gorbatschows, die sich am deutlichsten in der deutsch-amerikanischen Kontroverse über eine Modernisierung der nuklearen Kurzstreckenwaffen (SNF) manifestierte. Zur Überwindung dieser Krise, in der Deutschland gegenüber den USA bemerkenswert hartnäckig auf seinen eigenen nationalen Interessen bezüglich des Umgangs mit Gorbatschow insistierte, machte die Bush-Regierung Deutschland das Angebot zur "Partnerschaft in der Führung". So unklar dessen Bedeutung der Regierung Kohl zunächst war, wuchs ihm doch bald beträchtliche Substanz zu, als mit dem Mauerfall jene Eigendynamik einsetzte, die schließlich zur deutschen Einheit führte.
Das wird vor allem an der Vorgeschichte und dem Verlauf der 2+4-Gespräche zur Umsetzung der deutschen Einheit bei gleichzeitiger Absicherung von Deutschlands Einbindung in die NATO deutlich, die der zweite große Abschnitt eingehend behandelt. Auch über 20 Jahre danach ist das noch eine spannende Lektüre, selbst wenn über der außerordentlichen Detailliertheit der Arbeit der Spannungsbogen der Entwicklung manchmal verloren zu gehen droht.
In einem dritten Abschnitt geht es schließlich darum, wie die USA sich erfolgreich die Unterstützung des wiedervereinigten und von der bisherigen Bedrohung als Frontstaat befreiten Deutschland als "Garant amerikanischer Einflusssphärensicherung in einer 'Neuen Weltordnung'" sicherten. Die Autorin zeigt die Wurzeln dieser außenpolitischen Konzeption im Wilson'schen liberalen Internationalismus und dem Konzept einer "pax americana" und zeichnet die kontroverse zeitgenössische Debatte darüber nach, ob diese Konzepte den neuen Gegebenheiten nach Ende des Ost-West-Gegensatzes angemessen waren. Schon bald hatten sich schließlich die "Neue Weltordnung" und die Deutschland darin zugedachte Rolle an den nächsten Krisenherden zu bewähren, dem Golfkrieg gegen Irak und dem beginnenden Zerfall Jugoslawiens. Vor allem die Entwicklung der EU selbst machte den USA deutlich, wie wichtig für ihre eigene globale Führungsposition auch künftig ihr Bündnis mit Deutschland und damit ihre eigene Verankerung in Europa war. Es galt zu verhindern, dass aus der Vollendung des EU-Binnenmarktes eine "Festung Europa" entstand; und, noch wichtiger, dass die von den EU-Staaten geplante Vertiefung ihrer sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit nicht zu einer Schwächung der NATO als dem entscheidenden amerikanischen Anker in Europa führte. In all diesen Fragen setzten die USA auf die besondere Partnerschaft mit Deutschland, verfolgten dessen eigene Interessenpolitik innerhalb der EU aber zugleich immer mit Misstrauen.
Pia Molitor macht deutlich, dass Deutschland für die USA gegen Ende des Ost-West-Gegensatzes nicht nur der wichtigste Partner in Europa war, sondern auch ein Partner, um den man sich bemühen musste, dem die enge Partnerschaft mit den USA auch unter den veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen als in seinem Interesse liegend schmackhaft gemacht werden musste, damit er nicht in und mit Europa einen nationalen "Sonderweg" beschritt. Gerade aus diesen Passagen in Molitors Buch lässt sich die Ambivalenz des amerikanischen Verhältnisses zum deutschen Partner entnehmen, wie sie sich schließlich auch in der aktuellen NSA-Affäre ausdrückt.
Solche Einordnungen vorzunehmen, diese fortwirkende Ambivalenz in der amerikanischen Haltung gegenüber Deutschland herauszuarbeiten, traut sich die Autorin leider nicht zu. Überhaupt vermisst man selbst in ihrer Zusammenfassung einige prägnante, analytisch fundierte Schlüsse, die das umfangreiche Material der Arbeit ohne weiteres erlaubt. Die Autorin stützt sich im Wesentlichen auf den gewaltigen Korpus so gut wie aller verfügbaren, vor allem politikwissenschaftlichen Literatur zur Deutschlandpolitik der Regierung George H. W. Bush und darüber hinaus zur Außenpolitik der USA und Deutschlands im allgemeinen und den transatlantischen Beziehungen im Besonderen sowie auf die Memoiren von Akteuren und die seitdem publizierten Akten. Dazu kommen umfangreiche eigene Zeitzeugen-Befragungen.
Gewünscht hätte man sich von der Autorin etwas mehr gedanklichen Abstand zu der Fülle des von ihr zusammengetragenen Materials. Selbst eine gewisse quellenkritische Distanz zu den zahlreichen Memoiren und Interviews, die sie herangezogen hat, ist kaum zu erkennen. Deshalb bleiben auch Bilanz und Ausblick etwas nichtssagend-banal, als hätte die Autorin am Schluss der Mut verlassen.
Gleichwohl lassen sich der Arbeit eine Fülle an Erkenntnissen zum historischen Ablauf jener Schlüsselphase der deutschen Zeitgeschichte entnehmen, die es dem historisch-politisch interessierten Leser erlauben, die vielen, oft interessengeleiteten Urteile über die neueren deutsch-amerikanischen Beziehungen in einen historisch gesicherten Kontext einzuordnen. Allein das ist ein bedeutendes wissenschaftliches Verdienst. An Pia Molitors Buch kommt niemand vorbei, der sich eingehender mit der Geschichte der amerikanisch-deutschen Beziehungen seit dem Ende des Ost-West-Konflikts befassen will.
Jens van Scherpenberg