Rezension über:

Renata Ago: Gusto for Things. A History of Objects in Seventeenth-Century Rome, Chicago: University of Chicago Press 2013, XXXVII + 314 S., ISBN 978-0-226-01057-1, GBP 38,50
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Rezension von:
Annette Cremer
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Julia A. Schmidt-Funke
Empfohlene Zitierweise:
Annette Cremer: Rezension von: Renata Ago: Gusto for Things. A History of Objects in Seventeenth-Century Rome, Chicago: University of Chicago Press 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/23592.html


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Renata Ago: Gusto for Things

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Renata Agos Gusto erschien erstmals 2006 im italienischen Original und liegt nun in englischer Übersetzung vor. Ago befasst sich mit der Beziehung zwischen Menschen und Dingen am Beispiel beweglicher Habe im Rom des 17. Jahrhundert. Anhand von 80 Inventaren, 20 Hausbüchern und 100 Testamenten analysiert sie mit Hilfe empirischer Methoden Objektbesitz, Umgangsweisen und Bedeutungszuschreibungen in allen sozialen Schichten oberhalb der Armutsgrenze. Der Fokus der Analyse liegt auf der "middling class" (Rechtsanwälte, Händler, Kunsthandwerker). Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Während sich der erste Teil mit unterschiedlichen Funktionen von Objekten beschäftigt, handeln der zweite und dritte Teil von "material goods" und "immaterial things". Gusto ist eine textgestützte Studie zur frühneuzeitlichen materiellen Kultur.

In Rom, geprägt durch Vatikan, Aristokratie und Künstler, lässt sich im Laufe des 17. Jahrhunderts auf breiter sozialer Basis ein quantitativer Anstieg der Konsumgüter und eine Ausdifferenzierung der Güterarten feststellen. Ago erklärt diese Beobachtung mit dem verstärkten Wunsch, Gegenstände anzusammeln, weitestgehend unabhängig oder sogar entgegen der finanziellen Möglichkeiten und des Marktdiktats. Trotz dieser neuen Stimmung handelte es sich um eine Gesellschaft mit begrenztem Sachbesitz, die stets Ersatzlösungen für Fehlendes parat haben musste.

Diese Ausgangssituation, nämlich der relativ beschränkte Güterbesitz einerseits und zugleich das Bedürfnis nach Dingansammlung führte zur Ausweitung der Praxis der Güterzirkulation (Kaufen, gebraucht Verkaufen, Leihen, Verleihen, Verpfänden, Auslösen, Tauschen). Dabei sei es den unterschiedlichen sozialen Gruppierungen aufgrund der Güter- und Qualitätsvielfalt gelungen, ein materielles Portrait ihres Standes zu entwerfen ("tangible sights of their own identity and status" 8). Besitz visualisiere und kommuniziere die Identität des Individuums und etabliere zugleich den sozialen Status seiner Besitzer. Wohlhabende hatten dabei eine andere Beziehung zu "ihren" Dingen als Mittellose. Die Kategorie der Nützlichkeit war zentral, da der Besitz nutzloser Dinge finanzielle Ressourcen band. Die reicheren Schichten transformierten ihren Wohlstand in Gegenstände, mit dem Ziel, zu Lebzeiten Ehre, Ruhm und Anerkennung zu erwirtschaften und zugleich die eigene Memoria zu sichern.

An unterschiedlichen Sachbesitzgruppen diskutiert Ago die paradigmatische These der Nachahmung der Eliten durch die niedereren Schichten. Dabei kann sie zeigen, dass der 'Trickle-down-Effekt' nur bedingt griff. Vielmehr begann der Erfolg mancher Objekte oder Gattungen in den unteren Schichten (wie z.B. im Fall von Romanen) und setzte sich in der langsamen Anerkennung durch die Eliten fort. Händler und Kunsthandwerker befanden sich dabei in einer Mittlerposition, die sowohl Geschmack als auch 'lifestyle' nach oben und nach unten transportierten. Die materielle Kultur erhielt dadurch die Rolle als Mediator von Beziehungen zwischen den Schichten.

Ago entscheidet sich für eine streitbare Kategorisierung von Objektgruppen in materielle Güter (Möbel, Ausstattungen, Kleidung) und immaterielle Güter, die der Bildung des ästhetischen Geschmacks dienen (Sammlungen, Gemälde, Bücher). Anhand von Wohnungszuschnitten, Raumfunktionen und Dingbesitz beleuchtet sie unterschiedliche städtische Lebensweisen.

Das Buch befasst sich in seinem ersten Teil mit der Natur der Güter und ihrer Funktion, also ihrem tatsächlichen, ihrem symbolischen, ihrem emotionalen oder ihrem Tauschwert. Die Natur eines Dings oszilliere zwischen dessen monetärem und intrinsischem Wert (35). Objekte waren entweder grundsätzlich verkäuflich (Haushaltsgegenstände) oder unverkäuflich (Juwelen, Silber, Textilien), konnten jedoch durch den Verlust von persönlicher Bedeutung, durch Erbanfall oder in finanziellen Notsituationen von einer Kategorie in die andere wechseln. Dabei definierten abstrakte Charakteristika wie Schönheit oder Neuheit den Status eines Objekts als erhaltenswert und unverkäuflich. An den jeweiligen Status band sich in unterschiedlicher Weise Bedeutung und personalisierte Aufladung. Zu einem Sammlungsstück gehörte zum Beispiel unbedingt seine Personalisierung, also die Information, wer es besessen hatte, während ebendiese bei alltäglicheren Gegenständen durch den erneuten Verkauf verloren ging.

Die Autorin konstatiert eine komplexe Beziehung zwischen dem Besitz und der Nutzung von Dingen. Während einerseits die Besitzrechte immer wieder neu bestätigt werden mussten, nutzten viele Menschen Dinge, die sie geliehen hatten oder an denen sie Nießbrauchrechte hatten, die sie aber nicht besaßen. Ausgehend von der These, dass Kultur und materielle Kultur sich gegenseitig bedingten ("people define themselves in terms of their possessions", 219) leitet Ago eine soziale Stratifizierung vom Objektbesitz und zugleich die Selbstsicht des Kollektives ab. Allerdings korreliere ein bestimmter Objektbesitz nicht zwingend mit finanziellen Möglichkeiten, Grundbesitz oder Beruf, sondern erweise sich vielmehr der 'lifestyle' der sozialen Bezugsgruppe als ausschlaggebend. Diese These ist folgenreich für die Vorstellung vom Paradigma der vielbeschworenen "klugen Haushaltung", das damit kritisch zu prüfen wäre.

Neben der Gruppe des Adels, traditionell der Gruppe mit dem größten Sachbesitz, deren Besitztümer als "ritual accessories" (222) Vehikel des Sozialen waren und primär der Selbstausstellung dienten, unterteilt Ago die Objektbesitzer in zwei Gruppen ein. Eine, die sie als kultiviert, 'refined' und aufmerksam gegenüber Neuheiten charakterisiert, und eine zweite, die sie als "culturally withdrawn" (219) bezeichnet und bei der - wie bereits erwähnt - die Kategorie der Nützlichkeit von Objekten bestimmend war. Diese Zuordnungen ergaben sich für Ago weniger aufgrund abstrakter Ideen sondern vielmehr anhand von sozialer Praxis, die sie aus dem Besitz von differenzierten Objektgattungen, dem unterschiedlich gehäuften Vorkommen von Dingen, ihrem qualitativen Zuschnitt und Wiederverkaufswert und ihren spezifischen Zirkulationswegen ableitet. Dabei zeigt sich in Rom eine besondere Vorliebe für Gemälde, die in jedem Haushalt vorhanden waren.

Große Differenzen in Bezug auf Objektbesitz und Umgang innerhalb der einzelnen Schichten lassen sich zwischen Männern und Frauen zeigen. Frauen hatten kleinere Häuser mit weniger Zimmern als Männer. Insgesamt seien die Räume jedoch voller als die der Männer gewesen. Sie verfügten nicht nur über weniger Möbel von schlechterer Qualität, sondern auch über andere Möbeltypen (Kaffeetisch statt Esstisch, 71), ihr Besitz bestand eher aus Objektkategorien, die leicht wiederzuverkaufen waren. Männer dagegen hätten mehr Kleidungsstücke und qualitätsvollere Möbel als Frauen besessen. Ago vermutet die Begründung hierfür in dem grundsätzlich privateren Charakter der weiblichen Räume. Frauen, so Ago, seien insgesamt mehr nutzenorientiert und weniger an der Kultivierung des Überflusses interessiert gewesen, allerdings ermöglichten religiöse oder dynastische Motive die Abkehr vom funktionalen Zugang. Für Frauen war der Besitz ihr Schatz, ihre Rückversicherung, weil sie nur schwer "ehrenhafte" Arbeit finden konnten. Der Besitz von Frauen gehörte deshalb meist zu Arten von Sachbesitz, der gut zu verpfänden oder schnell auf dem Secondhandmarkt zu verkaufen war.

Ago gelangt durch die Betrachtung des Umgangs mit Dingen zu neuen Erkenntnissen über die römische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, die sich bedingt verallgemeinern lassen. Das Fehlen von Koch- und Essgeschirr weist zum Beispiel auf den Brauch, alltäglich außerhäuslich zu essen oder sich Essen liefern zu lassen. Tagelöhner oder Familien mit geringen Einkommen besaßen keinen Herd und auch keine Lagermöglichkeiten für Nahrung in ihrer Wohnung. Die Verzeichnung des eigenen Besitzes in Haushaltsbüchern wurde zur Lebenspraxis nicht nur von Hausvorständen, sondern stärker von Frauen, Kindern, Witwen, Angestellten. Auch die Bedeutung von Gegenständen als Tauschobjekte und Kapitalanlagen und damit der Hinweis auf einen florierenden Gebrauchtwarenhandel kann Ago überzeugend darstellen. Etwas unbefriedigend fügt sich die Behandlung von Häusern in die Analyse ein, die Ago als ultimative Symbole sozialer Distinktion bezeichnet (31). Die Objektgattung ist als Identitätsstifter von Kollektiven zu bedeutsam und sollten nicht in einem Atemzug mit dem Umgang mit Tulpen genannt werden.

Gusto analysiert kenntnisreich, wie Menschen in Texten ihre Nähe zu und ihren Umgang mit Objekten beschreiben. Agos Buch ist gut und eingängig geschrieben. Sie legt mit Gusto eine umsichtige und differenzierte Studie vor, die nun auch durch die englische Übersetzung breit anschlussfähig ist. Gusto muss als Teil der transdisziplinären 'Material Culture Studies' verstanden werden. Dass Gusto sieben Jahre nach seinem ersten Erscheinen übersetzt wurde, ist Ausdruck der weltweiten Popularität des Ansatzes, der sich in einem 'material turn' zeigt. Ago macht in Gusto Dinge zum Thema und zugleich zur Quelle, um Erkenntnisse über eine historische Gesellschaft zu erlangen. Das Buch wurde übersetzt von Bradford Bouley, Corey Tazzara und Paula Findlen (Stanford), einer Spezialistin für italienische Sammlungsgeschichte, die Agos Gusto ein Vorwort voranstellte. Mit diesem Vorwort erhält das Buch bereits seinen Ritterschlag, den uns Lesern nachzuvollziehen aufgegeben ist.

Annette Cremer