Philippe Josserand / Mathieu Olivier (eds.): La mémoire des origines dans les ordres religieux-militaires au Moyen Age . Actes des journées d'études de Göttingen (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter. Abhandlungen; Bd. 51), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2012, IV + 282 S., ISBN 978-3-643-12008-3 , EUR 29,90
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Die geistlichen Ritterorden des Mittelalters maßen ihren historischen und legendären Ursprüngen große Bedeutung bei. Diese Thematik ist in zwei Fällen besonders eingehend untersucht worden: zum einen anhand des Johanniterkomturs auf Zypern, Guillaume de Saint-Estène, der um 1303 ein Exordium Hospitalis verfasste, zum anderen am Beispiel des Deutschen Ordens, der im 14. Jahrhundert eine Reihe von Werken zur eigenen Geschichte, seiner Gründung und seiner Ankunft in Preußen in Auftrag gab. Die Problematik einer Erinnerung an die Ursprünge ist weitreichend, betrifft auch andere Ritterorden und historische Epochen und beinhaltet eine Vielzahl von Einzelfragen und Details, so dass sich die Forschung glücklich schätzen kann, dass die Vorträge, die auf einer im Juni 2009 von der Französischen Historischen Mission in Göttingen veranstalteten Tagung gehalten worden sind, nun im Druck vorliegen.
Der Band besteht aus drei Themenblöcken mit insgesamt 13 Beiträgen, sieben auf Französisch und sechs auf Deutsch (Zusammenfassungen in anderen Sprachen wurden leider nicht erstellt).
Nach einer Einleitung von Mathieu Olivier (1-6) wird zunächst ein Überblick über die Problematik gegeben, mit Beiträgen von Véronique Lamazou-Duplan über die Erinnerung an die Ursprünge in den Städten des Spätmittelalters mit ihren unterschiedlichen Gründungsgeschichten und politischen und genealogischen Quellen (9-21), von Florent Cygler über die unterschiedlichen mittelalterlichen Ordensgemeinschaften (23-42) und von Jürgen Sarnowsky über die Entwicklung des historischen Selbstverständnisses in den geistlichen Ritterorden. Damit werden die thematischen Grundlinien des gesamten Bandes abgesteckt (43-58).
Der zweite Block richtet den Blick auf einzelne schriftliche Quellen, so Antoine Calvet auf die Gründungslegenden des Johanniterordens (61-71), Jarosław Wenta auf die Berichte über die Gründung des Deutschen Ordens und des Ordenslandes in Preußen (83-94) und Udo Arnold auf die Chronik Narratio de primordiis Ordinis Theutonici, die von ihm jetzt auf die Zeit nach 1252 datiert wird (95-120). Philippe Josserand behandelt den Orden von Santiago (121-134), während Alain Demurger die Frage stellt, weshalb die Templer keinen Ursprungsmythos besessen haben (73-82). Der dritte Teil des Buches ist der Textinterpretation gewidmet: es geht um Formen, Gebrauchssituationen und Kontexte von Ursprungserinnerungen. Fünf Texte behandeln ganz unterschiedliche Fragen: Damien Carraz untersucht die Ursprünge der Johanniterkommende von Manosque auf der Grundlage des vorhandenen Quellenmaterials (137-177, mit einer Quellenliste im Anhang), Thomas Krämer den Weg zur Exemption des Deutschen Ordens im Kontext der Erinnerung an seine Ursprünge - beispielsweise die Lösung von der Gewalt der Diözesanbischöfe im Verlauf des 13. Jahrhunderts - (179-197), während Sylvain Gougenheim den Blick auf eine der wichtigsten Urkunden in der Geschichte des Deutschen Ordens richtet, die Bulle Etsi neque Honorius' III. vom Dezember 1220 (199-225). Axel Ehlers geht der Bedeutung des Ablasses für die Erinnerung an die Ursprünge des Deutschen Ordens und anderer monastischer Gemeinschaften im Spätmittelalter nach (227-236), während Annika Souhr die Verwendung historischer Argumentationsmuster in der Rhetorik des Deutschen Ordens bei seinen politischen Kämpfen im 15. Jahrhundert analysiert (237-268). Schlussfolgerungen von Mathieu Olivier runden die Aufsatzsammlung ab (269-282).
Das Thema dieses Sammelbandes ist von großem wissenschaftlichem Interesse, da in ihm geistliche Ritterorden als eine Art von "Kontaktraum" zwischen weltlichen und geistlichen Elementen innerhalb der Gesellschaft verstanden werden und die Problematik von Ursprungserinnerungen zurecht an der Schnittstelle von Historiographie und Spiritualität verortet wird. Der Schwerpunkt liegt klar auf dem späten Mittelalter. Erfreulicherweise werden eine Reihe neuer Quellen vorgestellt und untersucht. Wie Mathieu Oliver betont, gibt es eine Fülle gemeinsamer Elemente in den verschiedenen Ursprungsgeschichten der Ritterorden, so z.B. die Rolle des Heiligen Landes als Ursprungsort oder die Legitimierung durch Papst und weltliche Mächte. Die Bedeutung der Einflüsse von "außerhalb" wird, wie z.B. im Fall des Ordens von Santiago, deutlich sichtbar. Im Selbstbewusstsein der Ritterorden gab es keinen Raum für die Idee eines gemeinsamen Ursprungs, jeder Orden verfolgte seinen eigenen Weg, so dass man eher von einer "gemeinsamen Erinnerung an die Ursprünge" als von einer "Erinnerung an gemeinsame Ursprünge" sprechen sollte (282).
Dieses Buch stellt den Prozess einer "Konstruktion von eigener Geschichte" durch die geistlichen Ritterorden, besonders in der Zeit nach dem Fall Akkons, und die Instrumentalisierung von Vergangenheit im Dienst der Gegenwart dar. Man darf den Autoren dankbar dafür sein, dass dieses Unternehmen sich nicht in terminologischer und sozialwissenschaftlicher Abstraktion verliert, sondern klar und fest in der Methodologie der Geschichtsforschung wurzelt.
Es kann hier natürlich nur um einen ersten Schritt auf dem Weg zur Behandlung eines neuen Themenkomplexes gehen - manches ließe sich noch hinzufügen. Der Band ist stark an der spezifischen Problematik des Deutschen Ordens - des am besten studierten geistlichen Ritterordens des Mittelalters - ausgerichtet, andere Ritterorden werden nur am Rande (so die "großen" Orden der Templer, Johanniter oder die Santiagoritter) bzw. überhaupt nicht behandelt (so die zahlreichen kleineren geistlichen Ritterorden). Man vermisst einzelne wichtige Themengebiete wie z.B. die Fälschung von Ordensprivilegien oder die kunsthistorischen Zeugnisse. Es fehlt eine Verbindung zur Problematik mittelalterlicher Staatgründungen und der Entstehung lokaler Identitäten: Die "Suche nach den eigenen Ursprüngen" begleitete bei den Ritterorden ganz klar den Prozess der Territorialisierung - in Zypern und auf Rhodos, in Preußen und anderswo. Hier hätte eine Fülle von Vergleichsmaterial zur Verfügung gestanden: nicht nur Städte (die im Beitrag Véronique Lamazou-Duplan zu ihrem Recht kommen) und Territorialstaaten wie z.B. Frankreich und England, sondern auch einzelne Adelsfamilien (wie die Anjou), die ihre Geschichte aufgeschrieben haben. Im Fall der Johanniter und des Deutschen Ordens diente die Geschichtsschreibung nicht nur dem Orden selbst, sondern auch dessen Staatengründung - vielleicht war es kein Zufall, dass die vergleichsweise "erinnerungslosen" Templer kein eigenes Territorium besaßen. Dies sind jedoch weiterführende Fragen, die hoffentlich in naher Zukunft Behandlung finden werden.
Kristian Toomaspoeg