Rezension über:

Petr Novák: Die Dolche in Tschechien (= Prähistorische Bronzefunde, Abt. VI; Bd. 13), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, VIII + 162 S., ISBN 978-3-515-10121-9, EUR 98,00
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Rezension von:
Thomas Zimmermann
Bilkent-Universität, Ankara
Redaktionelle Betreuung:
Christoph Schutte
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Zimmermann: Rezension von: Petr Novák: Die Dolche in Tschechien, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 2 [15.02.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/02/24654.html


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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Petr Novák: Die Dolche in Tschechien

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Der metallene Dolch nimmt innerhalb der zahlreichen vorgeschichtlichen Waffengattungen fraglos eine besondere Stellung ein: Zum einen lassen sich an solch zweischneidigen Klingen technische Innovationen im Bereich von Legierungs-, Guss- und Schmiedetechnik hervorragend studieren, andererseits ist die seit der Kupferzeit belegte Präsenz des Dolches im Grabritus ein wichtiger Indikator für die hervorgehobene Stellung des bestatteten Individuums. Soziale Phänomene wie die Herausbildung früher Eliten lassen sich anhand solcher Schlüsselartefakte regionalübergreifend erfassen und diachronisch diskutieren. Grundvoraussetzung für eine methodisch einwandfreie Würdigung derart weitgreifender soziokultureller Fragestellungen ist jedoch eine breite, gut publizierte Quellenbasis. Es ist ebendieser Verdienst des von Hermann Müller-Karpe in den 1960er Jahren ins Leben gerufenen Forschungsprojektes "Prähistorische Bronzefunde", nach Regionen und Sachgruppen gegliederte, über zahllose museale Sammlungen verstreute bronzezeitliche Metallobjekte möglichst vollständig zu erfassen, zeichnerisch und metrisch neu aufzunehmen sowie detailliert und umfassend zu veröffentlichen.

Die hier von Petr Novák vorgelegte Monografie zu den kupfer- ("äneolitischen") und bronzezeitlichen Dolchen Tschechiens schließt eine langjährige, schmerzlich wahrgenommene Lücke innerhalb dieser Fundgattung. Der erste Eindruck des Werkes bestätigt auch zunächst die hohen Qualitätsansprüche, die Herausgeber und Verlag (nach langjähriger Zusammenarbeit mit Beck in München liegt die drucktechnische Realisierung der "Prähistorischen Bronzefunde" (PBF) seit 1991 in den Händen von Steiner in Stuttgart) an sich selbst und die Buchreihe stellen. Auch eine mehrmalige Inspektion von Druckbild und Grammatik erbrachte trotz der thematisch bedingten Fülle an diakritischen Zeichen keine nennenswerten Ungereimtheiten oder sinnentstellenden Unterlassungen. Ebenso besticht das Kernstück jeder PBF-Publikation, der in diesem Falle 83 (Falt-)seiten umfassende Tafelteil, durch die traditionell hochqualitative und präzise grafische Wiedergabe der aufgenommenen Dolchklingen. Neben grundlegenden Informationen wie Querschnitte von Klinge, Heft und gegebenenfalls Griff wurden auch komplexe technische Details mehrteilig gegossener Vollgriffdolche (vergleiche Tafel 17-21) überzeugend zweidimensional zu Papier gebracht.

In seinem strukturellen Aufbau folgt der vorliegende Band dem bewährten Schema der Reihe. Einem kurzen Abriss zu Forschungsgeschichte, Quellenlage sowie zeitlicher und kultureller Einbettung folgt ein hier selbst für eine Reihe mit dezidiert antiquarischer Ausrichtung sehr knapp gehaltener Überblick zur Fertigung kupfer- und bronzezeitlicher Dolche sowie ihrer nach wie vor nur unzureichend gewürdigten archäometrischen Dimension. Daran schließt die traditionelle, vom Autor typologisch untergliederte Katalogvorlage der kupferzeitlichen sowie früh-, mittel- und spätbronzezeitlichen Dolche an, mit gewohnt im Telegrammstil gehaltenen Informationen zu Kontext, eventuellen Beifunden und weiterführender Literatur. Weitergehende soziokulturelle Interpretationen des Fundstoffes entsprechen nicht dem Selbstverständnis dieser Reihe und bleiben demnach weitgehend unberücksichtigt. Somit wäre der hier zu besprechende Band eine wenngleich konservativ verfasste, so doch hochwillkommene und letztendlich seit langem überfällige Bereicherung des Literaturangebots zu prähistorischen Bronzefunden Mitteleuropas.

Ein eklatantes Problem wird jedoch bereits bei der Lektüre des unpaginierten Vorworts des Autors sowie der Herausgeber Albrecht Jockenhövel und Ute-Luise Dietz offenbar: Das bereits 1976 (!) begonnene Forschungsvorhaben, namentlich die möglichst vollständige Erfassung und Vorlage der Dolche aus Tschechien, wurde als Manuskript im Jahr 1992 (!!) abgeschlossen und anschließend ins Deutsche übersetzt. In den verbleibenden 19 Jahren bis zur endgültigen Drucklegung konnten zwar durch eine redaktionelle Neuorganisation ab 2006 etwa 200 Nachträge des Autors eingearbeitet sowie der politischen Umwälzungen im Bearbeitungsgebiet mit einer kompletten Neustrukturierung und -nummerierung des Katalogs Rechnung getragen werden. Als unmittelbare Folge dieser - von den Herausgebern freilich nur bedingt kompensierbaren - enorm zerdehnten Realisierung der vorliegenden Studie blieben neben einem zuweilen etwas holprig anmutenden Sprachfluss, welcher zweifelsohne der Übersetzung aus dem Tschechischen geschuldet ist, einige methodologische Verwerfungen bestehen. Für die abschließende Auswertung des Fundstoffs fanden beispielweise etliche seit 1990 erschienene Beiträge zum Thema, darunter das Arbeitsgebiet unmittelbar betreffende, grundlegende monografische Arbeiten von Martin Bartelheim, Stefan Schwenzer und Thomas Zimmermann, keine inhaltliche Berücksichtigung (3), wurden aber zumindest ins Literaturverzeichnis übernommen und im Katalogteil zitiert. Weitaus schwerer wiegt jedoch, dass die Beiträge von Ivan Vajsov [1] sowie Irenäus Matuschik [2] vollkommen unbeachtet blieben, obwohl sie wichtige Diskussionsbeiträge zur Chronologie und Chorologie vor allem des kupferzeitlichen Fundstoffs liefern, die seit ihrer Veröffentlichung auch generell in einschlägigen Publikationen Beachtung finden. Diese Lücken in der Literatursichtung haben beispielsweise zur Folge, dass ein offenkundig für metallurgische Arbeiten verwendeter Kalksteinstößel (31, Nummer 17 Stehel čeves), in der neueren Fachliteratur gemeinhin als Teil eines Werkzeugsatzes interpretiert, im vorliegenden Band einer alten und letztendlich als überholt geltenden Lehrmeinung folgend als "Kalksteinidol" verbucht wird.

Abschließend ist jedoch sowohl Redaktion als auch Herausgebern ein großes Lob auszusprechen, trotz der bereits angesprochenen mannigfaltigen Probleme und Verzögerungen doch noch die endgültige Vorlage des Fundstoffes gestemmt zu haben. So liegt hier trotz aller Kritik ein Standardwerk vor, das nicht zuletzt wegen seines Karten- und Tafelteils vor jeder tiefergehenden Beschäftigung mit metallzeitlichen Stichwaffen Mittel- und Osteuropas zwingend konsultiert werden sollte.


Anmerkungen:

[1] Ivan Vajsov: Die frühesten Metalldolche Südost- und Mitteleuropas, in: Prähistorische Zeitschrift 68 (1993), 103-145.

[2] Irenäus Matuschik: Kupferfunde und Metallurgiebelege, zugleich ein Beitrag zur Geschichte der kupferzeitlichen Dolche Mittel-, Ost- und Südeuropas, in: Das Moordorf von Reute. Archäologische Untersuchungen in der jungneolithischen Siedlung Reute-Schorrenried, hg. von Martin Mainberger, Staufen i. Br. 1998, 207-261.

[3] Jozef Bátora: Štúdie ku komunikácii medzi Strednou a Východnou Európou v dobe bronzovej [Studien zur Kommunikation zwischen Mittel- und Osteuropa in der Bronzezeit], Bratislava 2006, 87ff.; Thomas Zimmermann: Die ältesten kupferzeitlichen Bestattungen mit Dolchbeigabe, Mainz 2007, 86ff.

Thomas Zimmermann