Gerrit Deutschländer / Marc von der Höh / Andreas Ranft (Hgg.): Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (= Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit; Bd. 9), Berlin: Akademie Verlag 2013, 296 S., 22 Farb-,22 s/w-Abb., ISBN 978-3-05-004141-4, EUR 79,80
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Andreas Ranft (Hg.): Der Hoftag von Quedlinburg. Von den historischen Wurzeln zum Neuen Europa, Berlin: Akademie Verlag 2006
Ralf Lusiardi / Andreas Ranft (Hgg.): Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe. Teil 5 (1426-1513), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015
Matthias Meinhardt / Andreas Ranft (Hgg.): Die Sozialstruktur und Sozialtopographie vorindustrieller Städte. Beiträge eines Workshops am Institut für Geschichte der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 27. und 28. Januar 2000, Berlin: Akademie Verlag 2005
Stadt, Hof, Residenz und die Frage, wie zwei zueinander vermeintlich diametrale Sphären in einem gemeinsamen Raum aufeinandertreffen. Intensiv beschäftigt sich die Forschung derzeit damit, was passiert, wenn eine spätmittelalterliche oder frühneuzeitliche Stadt zur Residenzstadt wird. Wie en vogue das Thema derzeit ist, belegt unter anderem das neue Projekt der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, das sich den Residenzstädten im alten Reich widmet. [1]
In einem Forschungsprojekt liegt auch der Ursprung des vorliegenden Bandes, der die Vorträge der Abschlusstagung des halleschen Projektes "Stadt und Residenz im mitteldeutschen Raum" versammelt. Die Überlegung eine eigene Tagung zu der Frage nach der Interaktion zwischen Hof und Stadt zu veranstalten, ergab sich laut den Herausgebern wiederum auf dem Symposium der Residenzen-Kommission "Der Hof und die Stadt" im Jahr 2004, auf dem sich herausgestellt habe, welcher Analysebedarf mit dem Thema grundsätzlich noch verbunden sei (7). Insofern möchte und darf sich der Band durchaus als Auftakt zur systematischen Beschäftigung mit diesem Aspekt verstehen.
Marc von der Höh erfasst in seiner Einleitung den überaus breit gesteckten Rahmen des Forschungsfeldes und verbindet dies mit einer recht ausführlichen Vorschau auf die Beiträge, so dass die einführenden Worte beinahe den Charakter einer Zusammenfassung entwickeln. Interaktion ist nach von der Höh zu verstehen als ein "wechselseitig aneinander orientiertes und aufeinander bezogenes Handeln von Personen oder Gruppen" (13).
Der Band erstreckt sich in den folgenden neun Beiträgen sodann auf ein ganzes Bündel von Fragen zum zeichenhaften Handeln bis hin zum Handeln mit Zeichen (13). Das Spektrum der Beiträge ist sehr umfassend, und zwar sowohl was die zeitliche und räumliche Dimension als auch was die angeführten Quellentypen und nicht zuletzt die Herausstellung verschiedener Akteure in und zwischen den Sphären Hof und Stadt betrifft.
Wer es angeht, die ersten Schritte zur Beantwortung neuer Forschungsfragen zu tun, kann eigentlich nur exemplarisch vorgehen. Aus verschiedenen Disziplinen und Perspektiven wird der Blick auf die Residenzstädte Torgau, Freiberg, Güstrow, Marburg, Konstanz, Göttingen, Frankenberg, Landshut, Würzburg, Mainz, Dresden, Dessau und Halle sowie Städte der Herrschaft Österreich gelenkt.
Fünf Beiträge stellen vor allem das Handeln mit Zeichen und damit die Analyse von Sachquellen in den Vordergrund: In dem Beitrag von Matthias Müller werden die spezifische Darstellung von Fürsten im 16. Jahrhundert sowie die besonderen Funktionen der Anbringung dieser Bildnisse am Rathauserker ebenso wie die Bedeutung der Schlosstore und der an ihnen angebrachten fürstlichen Abzeichen dargestellt. Arend Mindermann untersucht die Siedlungsentwicklung Göttingens und kann konkrete Orte der Begegnung und Herrschaftsausübung sowie in späteren Jahren eine kommunale Gegenbewegung im Ausbau der Stadt ausmachen. Besonders eindrücklich gelingt dies am Beispiel der Jacobi-Kirche und ihrem Wandel von "der Burgkirche zur 'Bürgerkirche'" (104). Der adligen Präsenz im Bild österreichischer Städte widmet sich Andreas H. Zajic, indem er Inschriften als Medien, nicht nur an Grablegen, sondern auch an Torgebäuden und an verschiedenen Gegenständen wie etwa Pokalen, in den Blick nimmt. Gerrit Deutschländer wertet die Bedeutung der Schloss- und Stadtkirche in Dessau als Ort der Begegnung von Stadt und Hof aus, Matthias Meinhardt analysiert die Stadttore, Wehranlagen und andere repräsentative Bauten der Herrschaft und ihre Lage in der Stadt. Beide Verfasser betrachten auch die performativen Akte, die an diesen symbolaufgeladenen Räumen etwa im Gottesdienst oder im Leichenbegängnis stattfanden.
Mit den performativen Aspekten der Interaktion, also dem zeichenhaften Handeln, dem sich in den schriftlichen Quellen nachspüren lässt, beschäftigen sich zum einen Andreas Bihrer, der die Rituale zu den Amtseinführungen der Konstanzer Bischöfe auf die Interaktion mit den Städtern hin durchleuchtet. Des Weiteren untersucht Joachim Schneider auf der Grundlage der Chronistik Symbole während und nach Konflikten zwischen Stadtherr und Stadt. Beide, Bihrer und Schneider, weisen auf die hohe Symbolkraft von Herrschereinzügen in die Stadt hin. Jan Bademann versteht Interaktion vor allem als Kommunikation und arbeitet heraus, auf wie vielen verschiedenen Ebenen und zwischen welchen Akteuren eine solche entstehen konnte. Und auch Michael Hecht stellt unter der Überlegung der "Residenzstadt als urbane[n] Sonderform" (250) am Beispiel des Lehnstafelhaltens und der Salzgräfenwahl noch einmal die Handelnden selbst in den Vordergrund seines Beitrages.
Die Beiträge belegen insgesamt: Gegenüber stehen sich zwar zwei von Grund auf unterschiedliche soziale Systeme, gleichwohl sind der hierarchisch geprägte Hof und die genossenschaftliche Stadt durch rege Wechselbeziehungen miteinander verbunden, die sich nicht zuletzt in nicht-alltäglichen Ritualen wie etwa Prozessionen immer wieder überliefert finden. Die in der Geschichtsforschung bereits ertragreich erprobte Erforschung von Ritual, Zeremoniell, Memoria oder Repräsentation wird auch hier mit Gewinn angewandt. Dass aufeinanderstoßende höfische und städtische Interessen jedoch durchaus auch Konfliktpotential besaßen, zeigen Mindermann für Göttingen, Schneider für Würzburg sowie Hecht und Bademann für Halle, die auch daran erinnern, dass es durchaus nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der vermeintlichen Lager, Unstimmigkeiten gab.
Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass sich die symbolische Interaktion in allen untersuchten Residenzstädten, sei es in Städten der sächsischen Kurfürsten, der Grafen von Isenburg oder des Bischofs von Konstanz, zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert in ihrer je unterschiedlichen Ausgestaltung aufspüren lässt. Sowohl bei der Tagung als auch im Band wurde auf die Einteilung in thematische Blöcke verzichtet, was ebenfalls unterstreicht, dass die diversen Aspekte symbolischer Interaktion in verschiedenen Zusammenhängen auftreten, die sich nicht immer voneinander trennen lassen. Stephan Selzer bringt all dies in seinem explizit als "Bestandsaufnahme" (273) betitelten Schlusswort auf den Punkt und schließt gleichzeitig weiterführende Überlegungen zum Symbolaustausch zwischen Hof und Stadt, "gesunkenen Symbolen" (218) oder auch Gegenzeichen an, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der vorliegende Band ist vielfältig und sehr lesenswert. Mit den Beiträgen der Hallenser Tagung sind die anregenden ersten und wahrlich nicht die letzten Kapitel zum Thema geschrieben worden.
Anmerkung:
[1] Vgl. Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge: Stadt und Hof, 1 (2012), vor allem 7-16.
Anja Voßhall