Rezension über:

Elizabeth Valdez del Alamo: Palace of the Mind. The Cloister of Silos and Spanish Sculpture of the Twelfth Century, Turnhout: Brepols 2012, XX + 532 S., 16 Farb-, 300 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-51711-7, EUR 150,00
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Rezension von:
Janet Kempf
Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Philippe Cordez
Empfohlene Zitierweise:
Janet Kempf: Rezension von: Elizabeth Valdez del Alamo: Palace of the Mind. The Cloister of Silos and Spanish Sculpture of the Twelfth Century, Turnhout: Brepols 2012, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 4 [15.04.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/04/24447.html


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Elizabeth Valdez del Alamo: Palace of the Mind

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Abseits des Jakobspilgerwegs und rund 60 km von der heutigen spanischen Provinzhauptstadt Burgos entfernt, liegt das Benediktinerkloster Santo Domingo de Silos. Bekannt ist das Kloster vor allem für seinen zweigeschossigen Kreuzgang, der zu den ältesten in situ erhaltenen Kreuzgängen Europas zählt. Der bauplastischen Ausstattung dieses Kreuzgangs widmet Elizabeth Valdez del Álamo (Montclair State Universitiy, New Jersey) den vorliegenden Band.

Valdez del Álamo kann als eine Kennerin des Klosters samt seiner bildlichen und schriftlichen Schätze bezeichnet werden. Nachdem sie 1988 ihre Dissertation über die sogenannte zweite Klosterwerkstatt von Silos abgeschlossen hatte, folgten zahlreiche themenverwandte Veröffentlichungen. Es ist nur konsequent, dass sie ihre Untersuchungen nun nach dem aktuellen Forschungsstand zusammenfasst. Sie stellt hierzu methodische Überlegungen zu den verschiedenen Bauphasen des Kreuzgangs, dessen Bildprogramm und seiner Beziehung zur mozarabischen und römischen Liturgie an und untersucht ikonografisch-ikonologische Aspekte der Bauplastik. Ihre Leistung besteht darin, den eigenen Stellenwert des Silenser Klosters in der Entwicklung der mittelalterlichen Skulptur Spaniens aufzuzeigen.

Entsprechend der beiden im Kreuzgang tätigen Werkstätten gliedert die Autorin ihr Buch in zwei Teile: "Cult through construction" und "Era of expansion". Strittig ist bisher, ob die erste Kreuzgangswerkstatt ihre Arbeit bereits im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts begann und welche Rolle der Abt Domingo bei der Planung und Bauausführung einnahm. Die Diskussion kreist um zwei Befunde, die je nach Standpunkt unterschiedlich ausgelegt werden. So befindet sich in der Nordgalerie des Kreuzgangs neben dem ausgehobenen Grab des 1073 verstorbenen Domingo ein Epitaphkapitell, bei dem Valdez del Álamo davon ausgeht, dass es nicht direkt nach dem Tod des Abts, sondern einige Jahrzehnte später im Sinne der memoria entstand. Damit schließt sich Valdez del Álamo jener Meinung an, der zufolge der Kreuzgang seit den 1080er-Jahren unter dem Nachfolger Domingos, Fortunius, begonnen wurde. Bei dem zweiten Zeugnis handelt es sich um eine Inschrift, die berichtet, dass 1088 die Weihe von claustrum et ecclesia stattfand. Ferner berichtet die Autorin vom Grab des Don Muño Sánchez de Finojosa, das als überdachte Kapelle das einstige Zentrum des Innenhofs schmückte: Auf den Quadersteinen der Kapelle findet sich jenes Steinmetzzeichen wieder, welches auch die östliche und nördliche Kreuzgangsgalerie markiert. Da Valdez del Álamo zufolge der kastilische Adlige 1080 verstarb, könne demnach das Sterbejahr als terminus post quem für den Baubeginn des Kreuzgangs gelten. Tatsächlich aber verstarb er schon 1060 [1], sodass denkbar wäre, dass bereits der Abt Domingo die Arbeiten am Kreuzgang aufnahm.

Die besondere Stärke des Buches liegt in der kritischen Auseinandersetzung mit liturgischen und biblischen Texten, die als Inspirationsquelle für die Bauskulptur des Klosters dienten. Indem die Autorin beispielsweise herausstellt, dass das Bildprogramm der Nordgalerie Tod und Erlösung symbolisiert und damit einen Bezug auf die Grabstätte Domingos aufnimmt, während die Ostgalerie - welche den kommunalen Räumen vorgelegt ist - Kontrolle und Bestrafung illustriert, um die Mönchsgemeinschaft zu disziplinieren, wird offenbart, dass die bildliche Ausstattung des Kreuzgangs nicht in einer chronologischen Abfolge, sondern in einem reziproken Verhältnis zum Standort steht.

Dass das Oster- und Pfingstthema hier erstmalig in Spanien als monumentaler Bildzyklus in Stein gefasst wurde, führt die Autorin auf künstlerische Einflüsse aus Frankreich zurück - nicht Südfrankreich, sondern Burgund hätte die Vorbilder geliefert; motiviert wäre der Austausch durch die enge Verbindung Kastiliens und Leóns mit Cluny. Direkte Vergleiche mit burgundischen Werken führt die Autorin nicht aus, stattdessen beschreibt sie motivische Übereinstimmungen mit dem Codex Egberti oder dem Monumentalrelief der Externsteine. Zudem stellt sie die stilistische Ausarbeitung der Silenser Figuren den Elfenbeinarbeiten aus San Isidoro in León und aus San Millán de la Cogolla gegenüber. Da für diese Werke gleichermaßen ottonisch geprägte Künstler angenommen werden, wären vertiefende Untersuchungen zu möglichen Einflüssen aus dem Heiligen Römischen Reich wünschenswert gewesen.

Im zweiten Teil des Buches rückt die zweite Klosterwerkstatt, deren Wirken in das 12. Jahrhundert datiert wird, in den Fokus der Betrachtung. Die von Arthur Kingsley Porter bemerkten Parallelen zwischen den Kapitellen der Puerta de las Vírgenes in Santo Domingo de Silos und den Kapitellen des Querhauses von San Isidoro in León nimmt die Autorin zwar auf, führt diese jedoch nicht weiter aus. Indem sie aber das Portal in die 1120er-Jahre einordnet, komplettiert sie die Untersuchungen Frank Seehausens, der jüngst den Ausbau des Leoneser Querhauses in die Zeit von Königin Urraca II. (1109-1126) datierte. [2] Damit ist bewiesen, dass in Kastilien und León zur gleichen Zeit ein ähnlicher Stil von unterschiedlichen Künstlern favorisiert wurde.

Das fünfte Kapitel ist der Vervollständigung des Kreuzgangs gewidmet. Insgesamt zwei bis vier Künstler werden in der West- und Südgalerie für die zweite Werkstatt unterschieden. Besonders innovativ arbeitete jener Künstler, dem die Autorin das Verkündigungsrelief zuschreibt. Erstmals in Spanien verbindet er das Motiv der Verkündigung mit der Krönung Marias. Valdez del Álamo geht davon aus, dass dieser Künstler nur lose der zweiten Kreuzgangswerkstatt angehörte, dafür aber im regen Wechsel mit der Werkstatt Meister Mateos in Santiago de Compostela stand. Der Austausch, so die These, funktionierte in zwei Richtungen: Zuerst beeinflussten die Kapitelle der zweiten Silenser Werkstatt gemeinsam mit der Bauplastik an der Puerta de las Platerías in Santiago und den aus der Antike, Byzanz und Frankreich entwendeten Stilformen die neue Ästhetik des dortigen Pórtico de la Gloria. Eben diese Ästhetik wirkte dann auf Silos zurück, und gipfelte in der Darstellung eines nun knienden Engels, dessen Haupt von tief gebohrten Buckellocken geschönt ist, und dessen Körper ebenso wie jener der Maria von "barocken" voluminösen Stoffbahnen umfangen wird. Das in Silos neu eingeführte Bildmotiv hätte daraufhin als Vorbild weiterer bauplastischer Umsetzungen gedient, wie der Verkündigungsszene von San Miguel de Estella, die Claudia Rückert überzeugend in die 1140er-Jahre einordnete. [3] Da Valdez del Álamo die Kapitelle und Reliefs der West- und Südgalerie in die Zeit zwischen 1158 und 1175, das heißt später als Estella datiert, bietet auch diese These Raum für weitere Diskussionen.

Dem umfangreichen Anhang des Buches wurden eine Edition und eine englische Übersetzung des 1158 zusammengefassten Baubudgets beigefügt. Der Grundriss der mittelalterlichen Klosteranlage wird zudem in einem eigenen Beitrag beschrieben. Der teilweise mit Farbtafeln versehene Abbildungsteil umfasst 79 Seiten. Ergänzt wird der Anhang durch ein ausführliches Literaturverzeichnis und ein übersichtliches Register.

Festzuhalten ist, dass "Palace of the Mind" eine respektable Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands liefert. Vor allem die umfassende kritische Auseinandersetzung mit liturgischen Texten, die, wie Valdez del Álamo deutlich herausstellen konnte, als Inspirationsquelle für die Bauskulptur des Klosters dienten, lassen das Buch zu einem Standardwerk für alle zukünftigen Betrachtungen des Klosters werden.


Anmerkungen:

[1] Gerado Boto Varela: Ornamento sin delito. Los series imaginarios del claustro de Silos y sus ecos en la escultura románica peninsular, Silos 2000, 160-162.

[2] Frank Seehausen: Baugeschichte als dynastisches Konstrukt: Die Bauphasen und ihre Interrelation mit der Kapitellskulptur von San Isidoro in León, in: Hispaniens Norden im 11. Jahrhundert. Christliche Kunst im Umbruch, hgg. v. Achim Arbeiter et al., Petersberg 2009, 200-211.

[3] Claudia Rückert: Die Bauskulptur von San Miguel in Estella (Navarra): königliche Selbstdarstellung zwischen Innovation und Tradition im 12. Jahrhundert, Mainz 2004.

Janet Kempf