Rezension über:

Erk Volkmar Heyen: Verwaltete Welten. Mensch, Gemeinwesen und Amt in der europäischen Malerei, Berlin: Akademie Verlag 2013, IX + 313 S., ISBN 978-3-05-006380-5, EUR 79,80
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Rezension von:
Gabriele Hoffmann
Esslingen
Redaktionelle Betreuung:
Stefanie Lieb
Empfohlene Zitierweise:
Gabriele Hoffmann: Rezension von: Erk Volkmar Heyen: Verwaltete Welten. Mensch, Gemeinwesen und Amt in der europäischen Malerei, Berlin: Akademie Verlag 2013, in: sehepunkte 14 (2014), Nr. 5 [15.05.2014], URL: https://www.sehepunkte.de
/2014/05/25151.html


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Erk Volkmar Heyen: Verwaltete Welten

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Verwaltung, ein Gegenstand der Malerei? Diese Frage dürften sich in der Vergangenheit nur wenige Kunsthistoriker gestellt haben. Auch wenn es vermutlich Gegenwartskünstler wie Sigmar Polke waren, die Erk Volkmar Heyen, zu seinem Buch "Verwaltete Welten - Mensch, Gemeinwesen und Amt in der europäischen Malerei" inspirierten, so entdeckte der emeritierte Professor für Öffentliches Recht und Europäische Verwaltungsgeschichte die Wurzeln dieses Bildgegenstands in der frühen Neuzeit.

Im ersten Kapitel "Einheit und Gefüge" erscheinen unter dem Stichwort "Die Stadt am Horizont" Caspar David Friedrichs "Wiesen bei Greifswald" neben dem Bild "Die ganze Stadt" von Max Ernst und Paul Klees "Lagunenstadt". Hier ist es der Aspekt Stadt als Gefüge in einem Landschaftsraum, der die horizontalen Bildstrukturen generiert.

Einen anderen Blick auf die Stadt wirft der Autor, wenn er das Gemeinwesen als "Ämtergefüge" dargestellt und dabei so weit geht, dem Monumentalgemälde "Festsitzung des Staatsrates am 7. Mai 1901, dem Tag des hundertjährigen Jubiläums seit seiner Gründung" von Ilja Repin die abstrakte Raumrasterstruktur "Außenministerium (Hauptstadt)" von Sarah Morris (2002) zur Seite zu stellen.

Im Rathaus von Siena befindet sich der Bildzyklus "Allegorie und Auswirkungen der Guten und der Schlechten Regierung" (um 1285-1348) von Ambrogio Lorenzetti. Das über drei Wände gemalte Fresko lässt trotz ungeheurer Detailfülle eine grundlegende Orientierung erkennen. Dazu Heyen: "Hinsichtlich der allegorisch-narrativen Visualisierung von Wohlfahrt wirken die Fresken Lorenzettis in den folgenden Jahrhunderten beispielgebend." Eine Orientierung an Lorenzettis Tugendallegorien sieht der Autor in Andachts- und Votivbildern des 15. und 16. Jahrhunderts, in denen weltliche Amtsträger, wie der Doge Agostino Barbarigo auf einer Tafel Giovanni Bellinis, die Gottesmutter um ihre Fürsprache bitten. Eine deutliche Wende erfährt die Tugendallegorie in Rubens Bild "Die glückliche Regentschaft" von 1625; hier ist Tugend nur mehr Tünche für die Machtgelüste der französischen Regentin. Sie ist Vormund des Thronfolgers Louis XIII.

Zu den Bildern, die Heyen einem nicht mehr religiös-ethisch geprägten Gerechtigkeitsverständnis zuordnet, gehört das Gemälde "Die Gesandten" von Hans Holbein d.J. Im Streit zwischen König Heinrich VIII. und Papst Clemens VII. wegen der vollzogenen Ehe des Königs mit Anne Boleyn stehen sich Kirche und Staat als unversöhnliche Mächte gegenüber. Der Autor weist an dieser Stelle darauf hin, wie absolut notwendig es für die Analyse eines Bildes ist, möglichst viele Einzelheiten in der Darstellung der Personen und der sie kennzeichnenden Gegenstände zu beachten. Das spiele auch bei der Auseinandersetzung mit Rembrandts "Anatomie des Dr. Nicolaes Tulp" eine entscheidende Rolle. Werner Tübkes Bilderfolge "Arbeiterklasse und Intelligenz" ist ein interessantes Beispiel für einen geradezu wissenschaftlich fundierten Handlungsmaßstab in einigen Bildern des 20. Jahrhunderts.

Richtet sich im zweiten Kapitel des Buches der Blick auf unterschiedliche Orientierungsmaßstäbe politisch-administrativen Handelns, so wird im dritten Kapitel der unscharfe Begriff "Wohlfahrt" unter Aspekten wie "Sicherheit und Freiheit", "Soziale Fürsorge" und "Primarschule" geschärft.

Der Komplex "Sicherheit und Freiheit" versammelt Bilder, in denen die Vertreter der Staatsmacht einen Menschen - sei es die Kindsmörderin im Bild von Erik Henningsen oder "Albertine im Warteraum des Polizeiarztes" (Christian Krogh) - spüren lassen, dass er machtlos ist, dass er nicht zählt.

Im letzten Kapitel "Mensch und Amt" wird zwischen Selbstdarstellung und Fremddarstellung unterschieden. Zweifel an einer Fremddarstellung hat Heyen bei Giovanni Bellinis Porträt "Leonardo Loredan". So unhinterfragt würdevoll wie auf diesem Bild könne sich der aus einer adligen Kaufmannsfamilie stammende Doge nur selbst gesehen haben. Joseph-Étienne Roulin, der Lageraufseher bei der Post im Bahnhof von Arles, hatte Glück. Van Gogh interessierte sich für ihn, und es entstanden vier Porträts von seiner Hand.

Unter dem Titel "Sonnenfinsternis" versammelt der Satiriker George Grosz 1926 die politische Crème de la Crème um einen Tisch, an dem Reichspräsident von Hindenburg den Vorsitz hat. Er malt sie als kopflose Amtsinhaber.

Durch eine komplexe, dabei gut lesbare Darstellung, dazu reich an Bildbeispielen, ist das Buch ein Gewinn nicht nur für die Kunstgeschichte.

Gabriele Hoffmann