Barbara Kowalzig / Peter Wilson (eds.): Dithyramb in Context, Oxford: Oxford University Press 2013, XVIII + 488 S., 35 Abb., ISBN 978-0-19-957468-1, GBP 110,00
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Dithyrambos und vor allem das Adjektiv 'dithyrambisch' sind aus der Literaturtheorie von der Antike bis in die Moderne nicht wegzudenken. Die Form galt als Ausdruck eines alles mitreißenden Originalgenies, das in freien Rhythmen kühne Komposition schuf (Horaz, Ode IV 2, 1-12), als Ausdruck einer urtümlichen, noch ungezähmten Dichtung (Herder, Goethe), als poetische Manifestation des Dionysischen (Nietzsche), aber auch als Metapher für Schwulst und Bombast (Aristophanes, Platon; vgl. Zimmermann [1]). Angesichts dieser Bedeutung in Literatur und Literaturtheorie war die wissenschaftliche Beschäftigung mit der chorlyrischen Form eher marginal - selbst nach der Wiederentdeckung der Dithyramben des Bakchylides (1897) und umfangreicher Reste pindarischer Dithyramben im Sande Ägyptens. Standardwerk war A. Pickard-Cambridges Dithyramb [2], dazu kamen einige Arbeiten G.A. Priviteras aus den 60er bis 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Das umfangreiche Literaturverzeichnis des zu besprechenden Bandes (424-464) dokumentiert gründlich die Forschungsgeschichte. Erst seit den 90er Jahren ist eine Trendwende festzustellen: die kleinen chorlyrischen Gattungen rückten mehr und mehr ins Zentrum des Forschungsinteresses, bedingt durch die Bedeutung, die man nun dem 'Sitz im Leben' dieser Formen, der Interdependenz von Kult und Literatur ('ritual poetics') und den performativen Aspekten von Choraufführungen beimaß. Zusätzliche Impulse bekam die Dithyrambos-Forschung von den 'documentary studies', die durch die Aufarbeitung aller zur Verfügung stehender Testimonien - von Texten, Inschriften, archäologischen Befunden - den Aufführungskontext und institutionellen Rahmen der chorlyrischen Genera zu rekonstruieren versuchen, und dies mit einem nicht nur Athen, sondern die ganze griechische Oikumene in den Blick nehmenden Ansatz.
Der vorliegende Band ist eine exzellente Bestandsaufnahme der Forschungen der letzten Jahrzehnte. Die Herausgeber eröffnen den Band mit einer konzisen Forschungsgeschichte (1-27). In fünf Kapiteln werden die Schwerpunkte der Dithyrambenforschung in einer Vielzahl origineller, innovativer Beiträge abgehandelt: der soziale und religiöse Kontext (29-110), das Problem der Bestimmung der schwer zu greifenden Gattung (111-209), die Bedeutung der Musik in einer Dithyrambenaufführung, insbesondere die von Aristophanes immer wieder parodierte sogenannte Neue Musik (211-309), die dithyrambische Poetik (311-386) sowie Dithyramben im Imperium Romanum (387-423). Der Band ist bestens durch drei Indices erschlossen und - dies muss man mit Nachdruck betonen- das neue Standardwerk zu einer nun nicht mehr so schattenhaften Gattung dar.
Anmerkungen:
[1] B. Zimmermann: Dithyrambos, 2. Aufl., Berlin 2008, 11-20.
[2] A. Pickard-Cambridges: Dithyramb. Tragedy & comedy (rev. by T.B.L. Webster), 2. Aufl., Oxford 1966.
Bernhard Zimmermann