Raffaella Cribiore: Libanius the Sophist. Rhetoric, Reality, and Religion in the Fourth Century (= Townsend Lectures/ Cornell Studies in Classical Philology), Ithaca / London: Cornell University Press 2013, X + 260 S., ISBN 978-0-8014-5207-9, GBP 32,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Ralf Behrwald / Christian Witschel (Hgg.): Rom in der Spätantike. Historische Erinnerung im städischen Raum, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012
Uta Heil / Jörg Ulrich (Hgg.): Kirche und Kaiser in Antike und Spätantike, Berlin: De Gruyter 2017
Michael Hanaghan / David Woods (eds.): Ammianus Marcellinus from Soldier to Author, Leiden / Boston: Brill 2022
Raffaella Cribiore, Professor of Classics an der New York University und bereits durch eine frühere Publikation ausgewiesene Kennerin des Libanios und seiner Werke, [1] publiziert mit dem hier zu besprechenden Buch ihre Townsend Lectures an der Cornell University von 2010 (IX). Die Grundthese dieser Studie, die sich im Gegensatz zu Cribiores früheren Schriften nun hauptsächlich auf die Werke des Libanios konzentriert, die nicht direkt dem Schulbetrieb angehören, lautet, dass Libanios kein den alten Zeiten nachtrauernder Bücherwurm war, sondern den Einflüssen seiner Gegenwart grundsätzlich mit Offenheit gegenüberstand.
Die umfangreiche Einleitung (1-24) diskutiert die Probleme bei der Erfassung der Persönlichkeit des Libanios, die Gründe für Erhalt und Überlieferung seines Werkes sowie dessen Rezeption und bietet eine nützliche nach Kategorien unterteilte Liste der erhaltenen Schriften des Libanios.
Das erste Kapitel "Rhetoric and the Distortion of Reality" (25-75) zeigt, wie die Briefe des Libanios als Quelle für das Leben des Libanios und als Korrektiv zu seiner Autobiographie herangezogen werden können. Cribiore demonstriert hier weiterhin, dass die Autobiographie des Libanios von einer umfangreichen biographischen Tradition beeinflusst ist, die nicht nur aus heidnischen, sondern auch aus christlichen Werken (beispielsweise die Antoniosvita des Athanasios, Evagrios von Antiocheia und die Paulusvita des Hieronymus, die Libanios aber wohl nicht im lateinischen Original gekannt hat) besteht. Folglich bezieht sie gegen die verbreitete Annahme vom statischen Libanios Stellung und hält dem entgegen, dass dieser aktuellen Einflüssen nicht ablehnend gegenübersteht und seine Autobiographie im Kontext des Bildes des 'life of the holy man' zu verstehen ist. Desweiteren lehnt Cribiore die Annahme ab, dass die Lücke im Briefcorpus (welche die Briefe der Jahre 365 bis 388 betrifft) auf Vorsichtsmaßnahmen des Libanios zurückgeht, und nimmt an, dass diese durch den Überlieferungszufall bedingt sei.
Im zweiten Kapitel "A Rhetor and His Audience: The Role of Invective" (76-131) versucht Cribiore, die Bedeutung des Invektive für die Publikation der Reden des Libanios zu bestimmen. Sie wendet sich hierin gegen die These, dass Libanios eine Reihe von Reden aufgrund der in ihnen enthaltenen Anschuldigungen gegen Personen seiner Zeit (beispielsweise 112-113 zum Vorwurf der Kinderprostitution in den Reden 37 und 38) gewissermaßen nur für die Schublade schrieb. Cribiore nimmt an, dass es für Libanios nicht notwendig war, derartige Invektiven geheim zu halten, da diese als Teil der Rolle des Sophisten angesehen wurden und für das antike Publikum nicht in demselben Ausmaß Befremden erzeugten, wie dies bei einem heutigen Leser der Fall ist. Das Ziel sei zudem weniger die Überzeugung als vielmehr die Unterhaltung des Publikums gewesen.
Das dritte ("A Man and His Gods" (132-181)) und das vierte Kapitel ("God and the Gods" (182-228)) haben die Religiösität der Libanios zum Thema. Im dritten Kapitel zeigt Cribiore unter anderem, dass eine deutlichere Beteiligung des Libanios am Götterkult auch unter Julian nicht feststellbar ist und verweist auf die bereits von Alan Cameron ausführlich herausarbeitete Problematik, dass eine strikte Trennung von Heiden und Christen in dieser Form nicht möglich ist. Im vierten Kapitel arbeitet Cribiore den Unterschied zwischen dem Libanios der Reden, der klar und dezidiert für das Heidentum eintritt, und dem zurückhaltenderen Libanios der Briefe heraus. Sie legt dar, dass in den Briefen zahlreiche einzelne Götter für Libanios im Laufe der Zeit unwichtig werden, diese als Gruppe in ihrer Gesamtheit aber ihre Bedeutung für ihn behalten.
In einem Schlusskapitel, das eher den Eindruck eines Anhanges macht ("Conclusion: Julian's School Edict Again" (229-237)), untersucht Cribiore erneut das vieldiskutierte Rhetorenedikt Kaiser Julians. Hierzu vertritt sie zwei Thesen: Dieses Gesetz zielte nicht nur auf die Christen, sondern auch auf wenig überzeugte Heiden ab. Die Ablehnung des Libanios, die sich in seinem Schweigen zu dieser Maßnahme äußert, war folglich nicht nur darin bedingt, dass er das Lehrverbot für Christen ablehnt, sondern auch darin, dass diese einen Angriff auf die private Ausübung der heidnischen Religion bedeutete.
Die Auswahlbibliographie (239-255) ist sorgfältig zusammengestellt und enthält die meisten der wichtigsten Titel. Bedauerlich ist allerdings, dass die gesamten Forschungen von Heinz-Günther Nesselrath zu Libanios vollkommen unberücksichtigt bleiben. [2] Auch hätte man sich neben dem Namens- und Sachindex (257-260) auch ein Quellenregister gewünscht.
Cribiore legt ein Buch vor, das in mehrfacher Hinsicht positiv auffällt: Es enthält anregende neue Gedanken, von denen die Forschung profitieren kann, es ist mit einer sehr guten Quellenkenntnis geschrieben, es erweist sich auch über die eigentliche Altertumswissenschaft hinaus als belesen (siehe etwa die Bemerkungen zur Rezeption 10-17 oder das 182-183 zitierte Gedicht Cavafys) und ist zuletzt auch handwerklich sorgfältig gearbeitet (lediglich S. 206 wäre "source" statt "sournce" zu lesen). Erfreulich ist zudem, dass ihr Buch das von Nesselrath sehr gut ergänzt [2]: Während Nesselrath eine kurze Biographie des Libanios bietet, die auf alle zentralen Aspekte kurz eingeht und trotz ihrer Forschungsleistung somit eher Überblickscharakter hat, liefert Cribiore Analysen ausgewählter Aspekte, die dazu beitragen, Libanios und seine Zeit besser zu verstehen. Der Erforscher des Libanios wird an beiden Werken nicht vorübergehen können.
Anmerkungen:
[1] Raffaella Cribiore: The school of Libanius in late antique Antioch, Princeton 2007. Siehe dazu beispielsweise die Besprechungen von Bernard Schouler, in: Gnomon 81 (2009), 492-497 und Hans-Ulrich Wiemer, in: Historische Zeitschrift 287 (2008), 425-426. Die Tatsache, dass sich bislang fünfzehn weitere (und für gewöhnlich positiv urteilende) Rezensionen zu diesem Buch ermitteln ließen, bezeugen dessen Wert ebenso wie das zunehmende Interesse der Forschung an Libanios.
[2] Vor allem Heinz-Günther Nesselrath: Libanios. Zeuge einer schwindenden Welt, Stuttgart 2012.
Raphael Brendel