Verena Türck: Beherrschter Raum und anerkannte Herrschaft. Friedrich I. Barbarossa und das Königreich Burgund (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 42), Ostfildern: Thorbecke 2013, 382 S., 14 Abb., ISBN 978-3-7995-4361-3, EUR 49,00
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Die vorliegende Heidelberger Dissertation vom Wintersemester 2011/12 behandelt mit der Herrschaft Barbarossas in Burgund ein Thema, das trotz der vielfältigen Beschäftigung mit Friedrich I. in der deutschen Forschung bisher nur selten im Fokus gestanden hat. Es gelingt indes nicht, das Potential des Themas auszuschöpfen.
In der kurzen Einleitung (11-18) wird als Ziel formuliert, "die Herrschaft des römisch-deutschen Königs in Burgund und nicht die Geschichte des burgundischen Raumes" zu analysieren (12). Im zweiten Kapitel (19-54) erläutert Türck, wie sie die Begriffe Herrschaft (19-24) und Raum (25-34) verwenden will, wobei sie den Begriff des "sozialen Raumes" als den Bereich verstanden haben möchte, in dem der Herrscher mit beherrschten Personen interagiert. Sie umreißt im dritten Kapitel (55-79) den Raum "Burgundia" in der Vorstellung der Zeitgenossen und stellt im vierten Kapitel (81-95) den Beginn der Herrschaft Barbarossas in Burgund dar.
Erst nach knapp einem Drittel des Bandes steht im fünften Kapitel (97-248) das eigentliche Thema der Arbeit im Fokus: Aus dem "Blickwinkel Friedrichs" (97) werden "gleichberechtigt diplomatische und historiographische Quellen nebeneinandergestellt" (98), um Friedrichs herrscherliches Handeln unter den Aspekten Präsenz (98-132), Stellvertreter (132-160), personelle Kontakte (160-227) und Inszenierungen (227-245) zu beleuchten. Diese Punkte werden von Türck systematisch angegangen, allerdings mit einigen Schwächen und Lücken. Im Kapitel zur Herrscherpräsenz zeigt sich bei der Behandlung der Tage von Saint-Jean-de-Losne und Besançon 1162 etwa (116-125), dass die unreflektierte "gleichberechtigte Behandlung" von diplomatischen und chronikalischen Quellen zu Fehlschlüssen verleiten kann. Die geplante Herrscherbegegnung von Saint-Jean-de-Losne zwischen Ludwig VII. und Barbarossa ebenso wie der Hoftag von Besançon im selben Jahr, auf dem der dänische König Waldemar erschien, fand ein breites Echo in den Quellen, das von Türck als Beweis für die Bedeutung dieser Hoftage für Burgund und für Friedrichs Intention zur Herrschaft in Burgund überschätzt wird. Es mag durchaus sein, dass 1162 so Reichsfürsten "allein durch ihren Aufenthalt [...] das Königreich Burgund als Raum und Teil des Reichs" (123) wahrnahmen, primäre Motivation für Barbarossa dürfte dies bei der Planung der Herrschertreffen aber nicht gewesen sein, was dadurch bezeugt wird, dass wir die burgundischen Angelegenheiten 1162 eben nur in den Urkunden fassen können.
Herrschaft durch Stellvertreter macht Türck nicht nur an Personen wie den Legaten fest (132-146), sondern auch an Pfalzen (146-150), Siegeln (151-156) und Münzen (156-160). Den Bau einer Pfalz in Dole kann Türck überzeugend als unwahrscheinlich erweisen. Bei den Siegeln wird man ihr indes kaum zustimmen können, dass die auffällige Vorliebe der Empfänger aus Niederburgund für Goldsiegel nichts mit einer Bezugnahme auf das Imperium zu tun habe (155). Die Formulierungen der Arengen in den goldbullierten Urkunden lassen im Gegenteil den Zusammenhang zwischen kaiserlichem Anspruch und Verwendung von goldenen Bullen hervortreten - und dies auch bei anderen Staufern. [1]
Auf der Ebene der personellen Kontakte unterscheidet Türck drei Zonen: Die Grafschaft und den Norden (161-171), die Dauphiné (186-205) sowie die Provence (205-222) und differenziert nach geistlichen und weltlichen Hofbesuchern. Während Kontakte im Norden und der Freigrafschaft relativ regelmäßig waren, mit Heribert von Besançon sogar ein Vertrauter Friedrichs zu nennen ist, waren die Kontakte zur Dauphiné und Provence deutlich weniger intensiv, so dass Türck "klare Disparitäten zwischen Nord und Süd" feststellt (292). Wie Türck selber einräumt, hat sie indes die personellen Kontakte nicht in ihrer Gänze aufbereitet, sondern nur "wichtige Vertreter" (160) in den Blick genommen, obwohl auch vereinzelte Kontakte bestimmter Gruppen in quantifizierender Analyse Aufschluss über die herrscherliche Durchdringung hätten geben können.
Der sorgfältigen Strukturierung personeller Kontakte nach Stand, Status und geographischer Lage steht allerdings keine umfassende Analyse der Urkundeninhalte gegenüber, die etwa den Zusammenhang zwischen Zeugen, Bezugsgebiet, Empfänger, Ausstellungsort und Art der Privilegien nicht nur an einzelnen Beispielen in den Blick nimmt. Man vermisst ebenfalls eine genauere Untersuchung des Urkundenformulars, die nur in Bezug auf die Benennung von Lehnsverhältnissen in Urkunden für Empfänger in der Dauphiné und der Provence erfolgt (222-227). Bei aller Vorsicht im Umgang mit Urkunden, die von Türck in ermüdender Wiederholung angemahnt wird, sind sie für Burgund nun einmal die einzigen aussagekräftigen Quellen. Da es schlechterdings unmöglich ist, Erkenntnisse aus nicht vorhandenen Quellen zu schöpfen, werden wir uns auch in Zukunft mit dem aus Urkunden zu gewinnenden Ergebnissen bescheiden müssen. Von vorneherein auf diese möglichen Ergebnisse zu verzichten, ist kaum ein methodisches Gebot, das sich aus den hinlänglich bekannten Problemen bei der Verwertung von Urkunden ergibt.
Als Beispiele für die Inszenierung von Herrschaft nimmt Türck die Hochzeit und Krönung von Beatrix (227-234), die Krönungen in Arles und Vienne 1178 (234-243) und die Festkrönung 1186 in Mailand unter Beteiligung des Erzbischofs von Vienne, der Friedrich krönte (243-245).
Im sechsten Kapitel (249-269) richtet Türck den Blick auf die Begünstigten (254-261), für die sie - wenig erstaunlich - einen "klare[n] Zusammenhang zwischen königlicher Präsenz und Anerkennung des Königs" konstatiert (261). In Privaturkunden (261-269) bemerkt sie, dass in der Freigrafschaft in den Datierungen wenig Bezug auf Barbarossa genommen wurde, während in Niederburgund vor allem staufernahe Personen nach Friedrichs Königsjahren datierten.
Im kurzen siebten Kapitel (271-282) gibt Türck einen Überblick über das Verhalten der Geistlichkeit während des alexandrinischen Schismas, ehe sie im achten Kapitel (283-293) ihre Ergebnisse zusammenfasst. Dass Friedrich I. seine Herrschaft in Burgund - auch durch relativ kontinuierliche eigene Anwesenheit und den Einsatz von Beauftragten - stärker zur Geltung brachte als seine Vorgänger, und dass die Heirat mit Beatrix hier eine bedeutende Rolle zukommt, entspricht durchaus dem Konsens der Forschung. Dass Türck darüber hinaus "wichtige Erkenntnisse für den Entstehungsprozess der Urkunden" gewonnen habe (so 290), wird man füglich bezweifeln dürfen. Dass der Vorgang der Urkundenausstellung von mündlichen Akten begleitet war, von Empfängern angestoßen werden konnte, zum Teil erst deutlich später erfolgte und dass Rechtshandlungen möglicherweise gar nicht verschriftlicht wurden (290f.), ist keineswegs neu. Und dass Diplome "keine Instrumente einer herrscherlichen Strategie oder Politik waren" (291), wird in dieser Zuspitzung nicht uneingeschränkte Zustimmung hervorrufen. Anhänge über das Itinerar Friedrichs I. in Burgund, die Urkunden für burgundische Empfänger, Legatenurkunden für burgundische Empfänger, die für Kapitel 5.4.6. relevanten Urkunden mit lehnsrechtlichen Begriffen, elf Karten, drei Abbildungen, ein Literaturverzeichnis und ein Register beschließen den Band.
Anmerkung:
[1] Johannes Fried: Friedrich Barbarossas Krönung in Arles, in: Historisches Jahrbuch 103 (1983), 347-371, hier 354; Alheydis Plassmann: Herrschaftspraxis und Legitimation. Möglichkeiten und Grenzen der Urkundenauswertung am Beispiel der Staufer in Burgund, in: Archiv für Diplomatik 56 (2010), 43-63, hier 60-63.
Alheydis Plassmann