Andreas Zerndl: Generationenbewußtsein, Generationenwechsel und Generationenkonflikte in der Aristokratie des spätrepublikanischen Rom (= Studien zur Geschichtsforschung des Altertums; Bd. 25), Hamburg: Verlag Dr. Kovač 2012, 432 S., ISBN 978-3-8300-6532-6, EUR 98,80
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Seit 2004 beherbergt die Universität Bamberg das DFG-Graduiertenkolleg 1047 mit dem Titel "Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter". Wie der Titel bereits nahe legt, handelt es sich bei vorliegender Arbeit um ein eng mit der Aktivität des Kollegs verbundenes Forschungsprojekt, welches gleichzeitig auch den Schlusspunkt eines seit 2008 begonnenen Dissertationsvorhabens darstellt, dessen genauere Rahmenbedingungen vom Autor aber leider nicht erwähnt werden, da das hierzu sonst allgemein übliche Vorwort mit Danksagungen und präziseren Angaben fehlt. Immerhin scheint die Arbeit in Anbetracht des Erscheinungsdatums des Buchs (2012) in Rekordzeit geschrieben, verteidigt und für den Druck vorbereitet worden zu sein, was vielleicht einige der nachfolgend aufgeführten Schwächen erklären könnte.
Ausgangsfrage des Forschungsprojekts war, inwieweit zum einen in der aristokratischen Oberschicht Roms tatsächlich ein Generationenbewusstsein angenommen werden kann, zum anderen, bis zu welchem Grade die Auseinandersetzungen zwischen Optimaten und Popularen in der späten Republik als Generationenkonflikt verstanden werden können. Dementsprechend fällt die Gliederung des Buches aus, wenn der Leser auch eine präzisere methodologische Selbstreflexion und Rechtfertigung der spezifischen Arbeitsweise vermissen dürfte und fast unmittelbar in medias res katapultiert wird.
Auf eine kurze Einleitung (9-14) folgt daher sofort ein erstes einführendes Kapitel mit der Bezeichnung "B Hintergründe" (15-84). Zerndl liefert hier zunächst einen äußerst kurzen Überblick (15-24) über moderne Generationentheorien unter besonderer Berücksichtigung von Karl Mannheim; ein Versuch, auch den psychologischen, anthropologischen oder psychoanalytischen Ansatz zu berücksichtigen, wird leider nicht unternommen. Hierauf folgt eine generelle Übersicht über das "Konzept der Generationen und die Römische Republik" (25-84), ein etwas heterogener Teil, der sowohl Forschungsstand als auch einen Überblick über die römischen staatlichen Institutionen, eine historische Rekapitulation der späten römischen Republik und eine Auseinandersetzung mit den politischen Argumenten und Machtmitteln der Popularen und Optimaten liefert.
Hieran schließt sich der eigentliche Hauptteil des Werks, welcher "C Antike Historiographie im Licht der Generationenforschung" betitelt ist (85-372) und hiermit deutlich zeigt, dass der Fokus von Zerndls Studie nicht so sehr in einer Rekonstruktion "realer" historischer Situationen liegt, sondern in der Darstellung der individuellen Standpunkte einzelner Autoren. Dies birgt freilich in sich keineswegs Grund zur Kritik; bedenklich wird es aber, wenn Zerndl sich dadurch rechtfertigt, "dass der historische Ansatz aufgrund der Divergenz der uns überlieferten Quellen [!] nicht vielversprechend ist" (85), denn genau dieses Problem - also die Trennung zwischen Quellenstandpunkt und Realität - lässt sich ja auch dann nicht ausblenden, wenn jeder Autor für sich betrachtet wird, müssten doch auch hier sowohl Parallelstellen als auch Rekonstruktion dessen, "wie es eigentlich gewesen ist", einbezogen werden, um einen stimmigen Kontext zu schaffen.
Zudem ist anzumerken, dass die behandelten Autoren seltsamerweise durchaus nicht ausschließlich der eigentlich untersuchten spätrepublikanischen Epoche zuzurechnen sind und außerdem in seltsam unchronologischer Reihenfolge Beachtung finden, handelt es sich bei den untersuchten Quellen doch um Sallust, Appian, Plutarch und Cicero. Kriterien für diese Auswahl fehlen, nimmt man den für eine Dissertation eigentlich ein wenig unüblichen Wunsch aus, "die Arbeit in einem überschaubaren Rahmen zu halten" (86). Wieso Zerndl dabei noch erklärt, eine Untersuchung der Komödie würde "sich ebenfalls für das Thema anbieten" (86), also den titelgebenden Generationenkonflikt der späten Republik, verschließt sich mir in Anbetracht der Lebenszeit von Plautus und Terenz. Und wenn hier auch keineswegs der Wert einer bloß exemplarischen Untersuchung abgestritten werden soll, ist es doch seltsam, dass zum einen mit Cassius Dio einer unserer Hauptzeugen für die späte Republik ausgeblendet wird, wo doch immerhin der auch schon recht späte Plutarch zu Worte kommt, zum anderen ein so bedeutsamer Historiker wie Livius völlig ignoriert wird. Freilich sind Livius' zeithistorische Bücher allesamt verloren; eine Untersuchung seiner unweigerlich vom Geiste der späten Republik zeugenden Literarisierung der frühen Republik hätte aber sicherlich die erwähnten Autoren um eine wichtige Stimme bereichert.
Zudem scheint Zerndl zu glauben, sich dank der Fokussierung auf die subjektive Wahrnehmung des Generationenproblems bei einzelnen Autoren jeglicher Verpflichtung entziehen zu können, das Verhältnis eines jeden Autors gegenüber seinem eigenen Material zu diskutieren, sodass man einen quellenkritischen Ansatz vergeblich suchen bzw. höchstens in eher sinnfreien Allgemeinplätzen finden wird wie "Sicherlich [!] ist Sallust aber auch von zahlreichen römischen Traditionen beeinflusst" (92; ähnlich, für Appian, Anm. 645, Seite 131). In dieser Hinsicht ist ebenso bezeichnend wie für eine althistorische Dissertation eigentlich erschreckend, dass das gesamte, Plutarch gewidmete Kapitel, das immerhin ungefähr 100 Seiten (167-268) und 424 Fußnoten zählt, nur 16 (!) Verweise auf Quellen außerhalb des Plutarchischen Œuvre zu bieten hat (neben einer Inschrift ausschließlich Appian und Cicero). So "exotische" Literatur wie die Fragmentensammlungen von Jacoby oder von Beck / Walter bzw. Chassignet (um von den Fragmenten der hellenistischen Philosophie ganz zu schweigen) wird man daher im Literaturverzeichnis vergebens suchen.
Der Leser wird wohl ahnen, dass die große Anzahl methodischer Bedenken sich auch im Inhaltlichen niederschlägt. Freilich soll nicht bestritten werden, dass Zerndl eine durchaus nützliche Zusammenstellung und Kommentierung diverser Passagen gelungen ist, in welchen die vier besagten Autoren sich in der einen oder anderen Weise über zwischengenerationelle Themen äußern. Doch bleibt die Darstellung meist rein deskriptiv, indem bloß zitiert, paraphrasiert und kontextualisiert wird, das Material aber nie wirklich analysiert, mit anderen Quellen verglichen und in die kulturelle und gesellschaftliche Lebenswelt der Antike und ihre komplexe Dynamik eingeordnet wird. Zudem leidet das Buch oft unter einer gewissen Trennschärfe, da neben allgegenwärtigen und kaum OCD-Niveau übersteigenden Überblicksexkursen über Leben und Werk der betreffenden Autoren und auftretenden politischen Personen auch viel Material einfließt, das kaum einen wirklichen Bezug zur Untersuchung hat, wie etwa die sich über fast 20 Seiten erstreckende detaillierte Beschreibung von Plutarchs diversen Äußerungen zu Heiratsbeziehungen, Geschwisterbeziehungen und Freundschaftsbanden (195-212), die zudem ohne jede Bemühung weiterer antiker Quellen auskommt. Dementsprechend vage fallen dann auch die Schlussfolgerungen aus, die sich meist in eher schülerhaft formulierten Allgemeinplätzen erschöpfen.
Beschlossen wird das Buch von einer "D Schlussteil" (373-394) bezeichneten Sektion, welche die Resultate der Untersuchung zusammenfasst. Die Bibliografie findet sich unter "E Quellen-, Literatur- und Internetverzeichnis" (395-438); ein Index der Eigennamen und vor allem der Stellen fehlt leider, was die Arbeit auch als Quellensammlung nur schwer nutzbar machen wird.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass es sich bei vorliegender Studie um eine in Ansätzen zwar anregende, aber sowohl von der Methodologie als auch vom Inhaltlichen her kaum ausgereifte Dissertation handelt, welche nur selten das argumentative Niveau einer guten Hauptseminararbeit übersteigt, an einem deutlichen Mangel an themenübergreifendem Quellenbewusstsein leidet und daher weitgehend deskriptiv und additiv verfährt, ohne wirkliche Analysen zu bieten. Auch der Stil leidet unter denselben Prämissen, da neben einer inflationären Benutzung der ersten Person Singular leider auch der offensichtliche Versuch ins Auge fällt, möglichst auf Nebensätze zu verzichten, sodass komplexere Sinnzusammenhänge nur durch additive Satzreihen wiedergegeben werden und einen etwas simplistischen Eindruck erwecken. Sicherlich stellt Zerndls Untersuchung eine willkommene Bereicherung der immer noch spärlichen Literatur zu Generationenkonzepten in der klassischen Antike dar, doch eben nur im Sinne der bekannten Wittgenstein'schen Leiter.
David Engels