Philip Rosin: Die Schweiz im KSZE-Prozeß 1972-1983. Einfluß durch Neutralität (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; Bd. 99), München: Oldenbourg 2014, X + 353 S., ISBN 978-3-486-70507-2, EUR 44,95
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Außenpolitiken haben in der Regel zwei Seiten, eine äußere und eine innere, und beide stimmen in der zeitgenössischen Selbstdarstellung wie in der unmittelbaren Außenwahrnehmung nicht immer überein. Hinzu kommt die Problematik, dass die spätere historiographische Aufarbeitung von Außenpolitiken möglicherweise anders ausfällt, ob sie von Innen oder von Außen vorgenommen wird. Die Selbstanalysen können Bedeutung unterschätzen wie überschätzen. Darf man von Fremdanalysen Besseres erwarten? Im Falle der schweizerischen kleinstaatlichen Außenpolitik der Schweiz besteht im eigenen Land die Tendenz, diese kleiner zu machen, als sie ist. Es gibt aber auch das Bestreben, dieses Kleine zugleich doch auch als groß darzustellen, das heißt im Konkreten: aufzuzeigen, dass neutrale Zurückhaltung nicht einfach nichts ist und dass mit ihr zuweilen recht viel bewegt werden kann.
Während die Außenpolitiken gewichtiger Mächte von außen, das heißt Analytikern mit anderen Nationalitäten beobachtet und untersucht werden, wird die Außenpolitik von Kleinstaaten weitgehend nur von eigenen Leuten aufgearbeitet. Umso erfreulicher ist es aus schweizerischer Sicht, wenn "Schweiz" ausnahmsweise auch einmal von außen betrachtet wird. Philip Rosin hat sich mit seiner Bonner Dissertation das schweizerische Engagement im Feld der KSZE-Politik untersucht und, wie im Untertitel hervorgehoben, den schweizerischen "Einfluss durch Neutralität" herausgearbeitet. Der Verfasser muss dabei aber über lange Strecken doch wiederum den binnenschweizerischen Verständigungen über die eigenen Außenbeziehungen folgen und rekapituliert, was von schweizerischer Seite in der Zeit selbst und in rückblickenden Betrachtungen dazu bereits gesagt worden ist. In der abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung zur "Rolle der Schweiz" wird deren Bedeutung durchaus klar, zutreffend und prägnant umschrieben - leider aber nicht im erhofften Ausmaß mit dem Blick von Außen. Noch die Schlusswürdigung stützt sich weitgehend auf schweizerische Kronzeugen, einmal sogar auf Paul Schweizer, den Erzvater der schweizerischen Neutralitätshistoriographie, mit einem Zitat aus dem Jahr 1895.
Am nächsten zur gewählten Fragestellung liegen die Ausführungen zum schweizerischen Wirken innerhalb der Gruppe der N+N-Staaten. "Einfluss durch Neutralität" kam da ein wenig zustande, weil sich Neutrals and Nonaligned im Spannungsverhältnis zwischen Ost und West eine eigene Position aufbauten, jedoch nur in der KSZE-Politik. Von einem "eigenständigen Machtfaktor" zu sprechen oder der Gruppe "beinahe weltpolitische Bedeutung" zuzusprechen (Hildebrand 2003), scheint mir aber doch etwas zu hoch gegriffen. Die Initiative für die engere Kooperation unter den Neutralen kam aber nicht von der Schweiz, sondern von Finnland (146). Aus schweizerischer Sicht war gemeinsame Politik in einer solchen Formation alles andere als selbstverständlich, gingen doch Anhänger des helvetischen Sonderfalls davon aus, dass die schweizerische Neutralität unvergleichlich und entsprechend unvereinbar sei mit billigeren Neutralitätsvarianten und Blockfreiheit schon gar nicht ihren hohen Neutralitätsstandards entsprach. Die N+N beschränkten sich nicht auf Vermittlung und auch nicht auf bloß prozedurale Fragen, sie entwickelten auch eigene Vorschläge mit politischer Substanz. Glücklos blieb dabei die Schweiz jedoch mit ihrem Projekt, die friedliche Streitschlichtung zu einem allgemein anerkannten Prinzip zu machen.
Wichtig ist die von Rosin möglich gemachte Erkenntnis, dass die multilaterale Konferenzdiplomatie zu einer allgemeinen Intensivierung der bilateralen Gesprächskontakte und im vorliegenden Fall während der Spätphase des KSZE-Prozesses insbesondere zwischen Bern und Washington führte. Der Autor kommt zum Schluss, dass die schweizerische Mitwirkung in der KSZE nicht primär die Begrenzungen, sondern die durchaus auch genutzten Möglichkeiten der Neutralität aufzeigt, dass dies aber in der innenpolitischen Präsentation mit unzutreffenden Kontinuitätsparolen unsichtbar gemacht wurde. Philip Rosin holt diesbezüglich ausnahmsweise sogar zu einer kritischen Bemerkung aus, wenn er sagt, dass mit diesem verschleiernden Diskurs über die eigenen Politik der Bevölkerung nicht klar gemacht wurde, dass sich die Schweiz vermehrt in die multilaterale Welt (UNO/EWR) hineinbegeben müsste. Man kann dem - und sogar allem, was das Buch vermittelt - zustimmen und dem Autor dankbar sein, dass er mit einer soliden, gut strukturierten und gut dokumentierten Abhandlung diese instruktive Phase der schweizerischen Außenpolitik sowohl dem schweizerischen als auch dem nichtschweizerischen Publikum erneut vor Augen führt.
Georg Kreis