Gudula Metze (Hg.): Ars Nova. Frühe Kupferstiche aus Italien. Katalog der italienischen Kupferstiche von den Anfängen bis um 1530 in der Sammlung des Dresdener Kupferstich-Kabinetts, Petersberg: Michael Imhof Verlag 2013, 304 S., 280 Farb-, 88 s/w-Abb., ISBN 978-3-86568-914-6, EUR 29,95
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Mit dem Katalog "Ars Nova. Frühe Kupferstiche aus Italien" publizieren die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erstmals ihren bedeutenden Bestand an frühen italienischen Kupferstichen. Trotz der Digitalisierung und Bereitstellung von Grafik in Datenbanken, wie sie viele Museen mittlerweile vorantreiben, sind gedruckte Kataloge, welche die Werke kommentieren sowie unter bestimmten Fragestellungen kontextualisieren, weiterhin von großer Bedeutung. Denn sie machen Druckgrafik nicht nur der Wissenschaft, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Der Dresdner Katalog ist in dieser Hinsicht ein exemplarischer Beitrag.
Die beiden Aufsätze der Herausgeberin Gudula Metze bilden den Rahmen für die Beiträge der externen Co-Autorinnen Beate Böckem, Susanne Pollack und Barbara Stoltz, die wertvolle Einblicke in ihre aktuellen Forschungsprojekte geben. Metze beleuchtet vor allem die Spezifika des Dresdner Bestandes und führt konzise in die Sammlungsgeschichte ein. Dabei wird vermittelt, wie bedeutend dieses Kupferstichkabinett und die dort tätigen Wissenschaftler für die Erforschung der Druckgrafik seit dem 18. Jahrhundert waren. Die Herausgeberin steckt in ihrem einleitenden Beitrag den Gegenstandsbereich des Bandes ab: hinsichtlich der als "früh" zu definierenden Stiche wird für die Katalogisierung auf Arthur M. Hinds "Early Italian Engraving" (1938-48) zurückgegriffen. [1] Die Orientierung an diesem Standardwerk ist verständlich, um zu einer Eingrenzung zu kommen. Es wird aber nicht klar, welches Material innerhalb des gewählten zeitlichen Rahmens dadurch unpubliziert bleibt. [2] Denn Hind begrenzt seine frühen italienischen Kupferstiche auf "engravers who preceded Marcantonio". [3] Es ist zu fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, diese Struktur aufzubrechen, um ein vollständigeres Bild der frühen italienischen Druckgrafik zu erhalten. Wenn letztendlich doch Kupferstiche bis in die 1530er inkludiert werden, wäre es sinnvoll, u.a. das Frühwerk von Raimondi miteinzubeziehen, auch wenn man sein Œuvre hierzu aufspalten müsste. Deutlich wird dies z.B. an Marcello Fogolinos "Marc Aurel". Während der in den 1530ern geschaffene Stich Bestandteil des Katalog ist, wird Raimondis schon 1506 entstandenes Blatt nach dieser Plastik, das im Dresdener Kabinett ebenfalls vorhanden ist, zwar zum Vergleich herangezogen, aber nicht katalogisiert (248). Dass Raimondis Stich Fogolino als Vorlage gedient haben muss, verdeutlicht umso mehr, wie wenig sinnvoll es ist, Fogolino zur frühen italienischen Druckgrafik hinzuzurechnen, Raimondis frühe Werke aber auszuklammern. Positiv hervorzuheben ist jedoch die im Vergleich zu Hind und anderen früheren Katalogen (z.B. National Gallery Washington, 1973) vorgenommene neue Strukturierung des Materials [4]: Die Kupferstiche werden zu Gruppen zusammengestellt, die nicht nur auf Zuschreibung oder Chronologie basieren, sondern auch auf der Rolle, die sie für technische, motivisch-inhaltliche oder auch organisatorische Entwicklungen spielten. Gerade diese Strukturierung würde ermöglichen, einzelne Œuvres aufzubrechen und eben nur einen Teil davon der "frühen Druckgrafik" zuzuordnen.
Der Titel des Kataloges - "Ars Nova" - erklärt sich aus Barbara Stoltz' Essay "Ars Nova? Die neue Kunst? Die Bedeutung der Druckgrafik in der Kunstliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts" (18-29). Der aus der Musikgeschichte stammende Begriff, den die Kunstgeschichte mit Panofsky für die altniederländische Malerei appropriierte, macht in seiner Anwendung auf die frühe Druckgrafik mehr Sinn: Als "Ars Nova" bezeichnete bereits der Humanist Pomponius Gauricus 1504 das Werk des Stechers Giulio Campagnola. Stoltz zieht u.a. daraus den Schluss, dass zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine klare Zuordnung bestanden habe: Gauricus hätte in der Druckgrafik eine neue, eigenständige Kunstgattung gesehen (26), anders als später Vasari, der sie als "disegni stampati" charakterisierte. Die wichtige und immer noch offene Frage, warum die Druckgrafik in der Kunstliteratur und -theorie des 15. und 16. Jahrhunderts nicht präsenter war, beantwortet die Autorin mit der ambivalenten Position eines "gespaltenen Kunstwerks" (20f.): Es entstünden zwei Bilder, das Bildwerk auf der Druckplatte und der Abdruck. Zudem seien häufig mehrere Urheber beteiligt (Entwerfer, Stecher, Drucker) (22). Die sich hieraus ergebende Spannung zwischen den Kunstgattungen sieht Stoltz auch im Druckbild, das als gedruckte Zeichnung erscheine, jedoch ein vollendetes, mit dem Gemälde konkurrierendes Bildwerk sei. Fraglich ist allerdings, ob das Schweigen der Theorie / Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts zur Druckgrafik nicht genau darin begründet liegt, dass diese hinsichtlich ihrer mimetischen Qualitäten das Gemälde eben nicht erreichen konnte: Mit der Technik des Kupferstichs war es letztendlich nicht möglich, der Malerei hinsichtlich Naturnachahmung und Illusionismus nahezukommen. [5]
Susanne Pollack beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit den Funktionen der frühen Druckgrafik, wobei es vor allem um die Praxis der Bildreproduktion vor der eigentlichen Reproduktionsgrafik (30-41) geht. Anschaulich beschreibt die Autorin die vielfältigen Funktionen früher Kupferstiche und die kommerziellen Strategien ihrer Urheber, wobei der Schwerpunkt auf religiösen Bildthemen und kultischem Gebrauch liegt. Hinsichtlich der Funktion von Druckgrafik wäre allerdings auch ein Blick auf profane Themen aufschlussreich gewesen. Positiv hervorzuheben ist, dass Pollack auch weniger beachtete Werke analysiert. Sie weist auf interessante Zusammenhänge zwischen Vorbild und Reproduktion hin wie z.B. dem Fresko der Verkündigung von Pontremoli und dem anonymen Nachstich. Mit dem Blatt habe der Pilger einen "Abglanz der Heilswirkung" erwerben können (33f.), was sicher theologisch noch genauer begründet werden müsste. Im letzten Teil ihres Beitrages kommt Pollack auf Kupferstiche nicht als Nachbilder, sondern als "Vorbilder", als dezidierte Vorlagen, zu sprechen (38f.). Bildinterne Strategien werden durch diese Funktion verständlich. Pollack stellt die vieldiskutierten "Tarock-Karten" in diesen Kontext: Sie seien von Beginn an als "Vorbilderbuch" konzipiert worden (39). Dies ist bedeutend für die Frage nach ihrer Rezeption - Pollack formuliert die These, dass die "Tarock-Karten" als Vorlage für die Darstellung von mythologischen Figuren und Personifikationen sowie deren jeweiligen Attributen im 15. und 16. Jahrhundert genauso einflussreich waren wie Cesare Ripas 1593 erschienene "Iconologia" für die folgenden Jahrhunderte (40).
Beate Böckem widmet sich mit Jacopo de' Barbari einem der bedeutendsten "Peintre-Graveurs" des frühen italienischen Kupferstichs. Der wohl aus Venedig stammende Künstler ging vom Süden in den Norden und konnte sich dort nach einjähriger Tätigkeit für Maximilian I. an weiteren bedeutenden Fürstenhöfen etablieren. Barbari ist in der Dresdner Sammlung prominent vertreten (vgl. Kat. 160-175). Es bietet sich daher an, ihm und nicht den sonst meist im Vordergrund stehenden Künstlern Pollaiuolo und Mantegna einen eigenen Aufsatz zu widmen. Böckem stellt eine weitere wichtige Funktion des Kupferstiches in den Vordergrund: Den Transport von Bildideen und künstlerischen Techniken im Sinne eines Kulturtransfers, der sich gerade an Barbaris Werken gut aufzeigen lässt.
Der Anmerkungsapparat ist in allen Aufsätzen sehr, ja zu knapp gehalten. Auch im Katalogteil mussten bei der Angabe der bisher erschienenen Literatur wohl Einschränkungen gemacht werden. [6] Der Druckgrafikforscher wird ältere Publikationen wie den Washingtoner Katalog in dieser Hinsicht ergänzend heranziehen. Nichtsdestotrotz gelingt eine informative, sehr gut lesbare Publikation, die der druckgrafischen Forschung neue Perspektiven erschließt und mit der innovativen Gruppierung der Werke das Material gerade auch dem nicht spezialisierten Leser anschaulich präsentiert.
Anmerkungen:
[1] Arthur M. Hind: Early Italian Engraving, 7 Bde., London 1938-1948.
[2] Einen problematischen Fall thematisiert Metze selbst, den Stich "Zwei Sibyllen, ein Engel und ein Engelsputto", von einem anon. Stecher nach 1520 nach Raffaels Fresko in Santa Maria della Pace, Rom. Da dieser von Hind keine eigene Nummer erhalten hat, wird er auch im Dresdner Katalog nicht aufgeführt, obwohl ein Abzug vorhanden ist (12 und Abb. 3). Das Giovanni Antonio da Brescia zugeschriebene Pendant dagegen, ebenfalls um 1520 datiert, ist im Katalog verzeichnet.
[3] Wie Anm. 1, Bd. 1, 2.
[4] Jay A. Levenson / Konrad Oberhuber / Jacqueline L. Sheehan: Early Italian Engravings from the National Gallery of Art, Washington 1973.
[5] Vgl. hierzu Anne Bloemacher: Von der Virtuosität zum System. Das Scheitern des malerischen Kupferstichs im frühen 16. Jahrhundert, in: Magdalena Bushart und Henrike Haug: Interdependenzen. Die Künste und ihre Techniken, Bd. 1 Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit (erscheint 2014).
[6] So fehlt z.B. der Verweis auf Emison, die Raimondis "Kindermord" schon mit Pollaiuolo in Verbindung gebracht hat (11; vgl. Patricia Emison: Invention and the Italian Renaissance Print, Mantegna to Parmigianino, PhD. Columbia University 1985, 275). Hinsichtlich des "gespaltenen Kunstwerks" (22) müsste auf Rebel verwiesen werden, der Kupferstiche bereits als Zwitterwesen analysiert hat (Ernst Rebel: Druckgrafik. Geschichte, Fachbegriffe, 2. Auflage Stuttgart 2003, 41). Bei Kat. 169 ("Triton reitende alte Frau") fehlt unter der angegebenen Literatur der Washingtoner Katalog, in welchem der Stich überzeugend auf ca. 1503 datiert wurde (wie Anm. 4, 349).
Anne Bloemacher