Klaus Rosen: Konstantin der Große. Kaiser zwischen Machtpolitik und Religion, Stuttgart: Klett-Cotta 2013, 495 S., 17 Abb., 2 Vorsatzkarten, ISBN 978-3-608-94050-3, EUR 26,95
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Bedarf es einer Biographie über Kaiser Konstantin den Großen, nachdem zum Konstantinjahr 2006 etwa ein Dutzend Bücher - von früheren einmal abgesehen - zu diesem römischen Kaiser erschienen sind? Der Autor bejaht diese Frage mit dem legitimen Anspruch, nach eindringlicher Lektüre, Übersetzung und Analyse der Quellen Neues entdeckt zu haben, und in der Tat fließen in diesem Buch die Erkenntnisse aus einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit der spätantiken Epoche im allgemeinen und mit Konstantin im Besonderen zusammen. Die Biographie führt sogleich in medias res mit einer Charakterstudie des Kaisers, die seinem Maximalziel gewidmet ist, den unzeitgemäßen Anspruch auf die Alleinherrschaft im römischen Reich gegen alle Widersacher durchzusetzen. Der Vorgänger Diokletian hatte als Konsequenz aus dem krisengeschüttelten Zustand des Kaisertums im 3. Jahrhundert dasselbe auf die Schultern von vier regierenden Herrschern gelegt. Diese "lange Vorgeschichte", gefolgt von Diokletians Tetrarchiesystem und Konstantins Jugend, eröffnet die weitgehend chronologisch angeordnete Schilderung von Konstantins Leben. In die so fortschreitenden Ereignisse wird auch das eine jede Konstantinbiographie beherrschende Thema, seine Hinwendung zum Christentum, an jeweils zeitlich passender Stelle eingefügt; deshalb wird diese an sich zusammenhängende Thematik über mehrere Kapitel ausgebreitet und von der Schilderung der politischen Ereignisse immer wieder unterbrochen: Eine erste Annäherung ("sein religiöses Weltbild") findet im Kapitel über Konstantins Jugend statt, dann berichtet der Verfasser zwei Kapitel später über "religiöse Begleiterscheinungen" im Kontext der Ereignisse des Endkampfes mit Maxentius (312) und so fort; überraschenderweise findet sich ein so bedeutendes Thema wie "die Bekehrung" nur als Unterpunkt in dem Kapitel "der Alleinherrscher" (ab 324). Damit beginnt auch die zweite Hälfte des Buches, die überwiegend systematisch gegliedert ist und einzelne Bereiche kaiserlicher Regierungstätigkeit wie Heer, Verwaltung, Baupolitik, Außenpolitik und Nachfolgeregelung thematisiert. Das letzte der insgesamt 23 Kapitel schließt mit dem Nachleben und der Rezeption des "großen" Konstantin bis hin zu den Kiewer Fürsten des 10. Jahrhunderts. Am Schluss stehen ein ausführliches Quellen-und Literaturverzeichnis und ein sorgfältig erstelltes Register.
Den Leser beeindruckt vor allem die im Vorwort angekündigte, in der Darstellung auch durchgehaltene Verzahnung von Ereignisschilderung mit der jeweiligen Quellenevidenz, die im ausführlichen Anmerkungsapparat ausgebreitet wird. Der Verfasser lässt die antiken Autoren bisweilen in längeren Passagen selbst sprechen, entsprechend sind die Ausführungen mal mehr (etwa über das Konzil von Nicaea), mal weniger (etwa über die Außenpolitik) mit Details gesättigt. Die Einzelinformationen werden - ein großes Verdienst des Buches - von der vollständigen Zitierung der literarischen Quellen begleitet. In den 'profanen' Bereichen der Politik konnte der Kaiser von den Reformen im Innern und der energischen Außenpolitik der ersten Tetrarchie profitieren; in Verwaltung, Finanzen und Grenzsicherung vervollkommnete und institutionalisierte er mehr, als dass er wirkliche Neuerungen einführte. Die das Bild des "Großen" überschattende Familientragödie des Jahres 326, im Zuge derer sein Sohn Crispus aus erster Ehe und dessen Stiefmutter Fausta ermordet wurden, erklärt der Verfasser mit einem allzu vehement vorgetragenen Bestreben des Crispus, zum Mitkaiser für den westlichen Reichsteil ernannt zu werden, dem sich Konstantin widersetzt und woraufhin sich eine Verschwörung gebildet habe - die plausibelste unter mehreren möglichen Erklärungen angesichts der vielen umlaufenden Gerüchte.
Zentraler Gegenstand einer jeden Beschäftigung mit Konstantin bildet natürlich seine persönliche religiöse "Wende" hin zum Christengott und die darauf folgende neue Religionspolitik. Der Verfasser zeichnet die Entwicklung wie folgt nach: Schon von seinem Vater Constantius habe Konstantin den Glauben an eine einzige höchste Gottheit übernommen, deren Allgewalt sich in sämtlichen Einzelgottheiten konkretisierte. Unter diesen galt vor allem der Sonnengott Sol als alle göttlichen Mächte geradezu integrierendes Sinnbild der Kraft des Universums, das im Neuplatonismus des 3. Jahrhunderts auch philosophisch begründet und schon vor Konstantin mit Sol als "Begleiter" des Kaisers propagiert wurde. Dem Sol wandte sich Konstantin im Herbst 310 zu, nach Maximians Tod, sichtbar an der plötzlich einsetzenden Münzprägung mit des Gottes Bild und Legende. Den Anlass sieht der Verfasser in der besonderen Funktion des Sol als Schutzgott, der gebrochene Eide räche - Maximian habe den Eid gebrochen, für immer der Kaiserherrschaft zu entsagen, und sei deshalb zu Recht zu Tode gekommen; ferner fungiere der allmächtige Sol als Helfer seines Schützlings Konstantin in dem Bestreben, die Alleinherrschaft zu erlangen. Diesen paganen Monotheismus - man sollte hier, um Missverständnissen vorzubeugen, besser von Henotheismus sprechen - habe Konstantin auch noch in den folgenden Jahren der Auseinandersetzung mit Maxentius und mit Licinius befolgt. Alle heidnischen wie christlichen "Visionsberichte" zweifelt der Verfasser letztlich in ihrer Echtheit an (151), den Sieg an der Milvischen Brücke verdanke Konstantin der mens divina der summa divinitas, die der Panegyriker des Jahres 313 mit Zeus / Jupiter identifizierte. Die naheliegende Frage, warum Konstantin dann anlässlich seines Triumphes den Gang zum Kapitol vermieden habe, um dem Göttervater zu huldigen, beantwortet der Verfasser mit Konstantins auf Sol ausgerichteten Monotheismus (161). Die vom christlichen Autor Laktanz überlieferte Traumgeschichte, nach der Konstantin das caeleste signum des Christengottes seinen Truppen vor der Schlacht an der Milvischen Brücke auf ihre Schilde aufzuzeichnen befahl, deutet der Verfasser in dem Sinne um, der Kaiser habe alle Soldaten das Zeichen eines Gottes (wie ihn also ein jeder verehrt, darunter neben vielen anderen die Christen den Ihrigen) auf den Schilden anbringen lassen. Ferner ließen das Verhalten Konstantins weder im Donatistenstreit noch in der Mailänder Vereinbarung eine Hinwendung Konstantins zum Christentum erkennen. Erst im Jahre 321, vor dem entscheidenden Krieg gegen Licinius, habe sich der Kaiser in einem Schreiben an die Bischöfe Afrikas als Christ bekannt; dieses Eingeständnis sei jedoch "nicht über die Kirchenmauern hinausgedrungen" (248). Ganz offen habe er erst nach dem Sieg über Licinius im Jahre 324, jetzt am Ziel seiner Wünsche, seine Überzeugung von der Stärke des Christengottes verkündet, symbolträchtig in Nikomedia, wo Galerius 13 Jahre zuvor sein Toleranzedikt erlassen und Diokletian 21 Jahre zuvor die letzte große Verfolgungswelle in Gang gesetzt hatte. Rückblickend seien dann auch die früheren militärischen Erfolge auf dem Weg zur Alleinherrschaft der Kraft dieses Gottes zugeschrieben worden.
Diese Rekonstruktion von Konstantins religiöser Entwicklung knüpft in starkem Maße an Jochen Bleickens These [1] vom rein machtpolitischen Taktieren unter weitgehender Leugnung einer inneren religiösen Entwicklung des Kaisers an, eine Meinung, die sich in der Forschung mehrheitlich nicht hat durchsetzen können. Indem der Verfasser sich auf diese Linie begibt und viele Argumente jüngerer Forschungsbeiträge nur unzureichend zur Kenntnis nimmt, muss er sich auf eine methodisch mitunter sehr bedenkliche, in sich widersprüchliche und recht einseitig gefärbte Quellendeutung einlassen. Ungeachtet aller Diskussionen um die Historizität und Deutung der Visionsberichte hat Klaus Bringmann [2] in direkter Entgegnung auf Bleicken aus dem Wortlaut der von Konstantin selbst verfassten Dokumente eindeutig nachweisen können, dass Konstantin sofort nach dem Sieg über Maxentius in Anweisungen an die staatlichen Amtsträger in Afrika eine Privilegierung des christlich-katholischen Kultes anordnete und damit die reichsweiten Edikte, die die freie und gleichberechtigte Ausübung aller Religionen garantierten, selbst unterlief bzw. im Sinne der Christen großzügiger auslegte. Wenn der Kaiser 312/13 vom sanctissimus deus, von dem der religio catholica geschuldeten Kult spricht, die in Arles versammelten Bischöfe als fratres anredet, kann man diese Zeugnisse nicht entwerten mit Hinweis auf Höflichkeiten der Hofkanzlei (204) oder mit einem gegen die eigene Überzeugung gerichteten Bemühen des Kaisers, sich des unter Christen üblichen Vokabulars zu bedienen, um sie in ihrem Glauben an ihren Gott zu belassen (208). Vielmehr gab Konstantin schon Ende 312 offen und unmissverständlich zu erkennen, dass der Gott der Christen im henotheistischen Sinn für ihn der stärkste, höchste, weil siegbringende Gott des Pantheons darstellte, ohne dass er deswegen die Existenz anderer, aber eben schwächerer Götter leugnen musste. Er war damit auch (noch) kein Verfechter christlicher Theologie und Moral, wie es ein christlicher Bischof zu sein hatte, sondern er verehrte in einer heidnischen Vorstellungswelt denjenigen Gott und sorgte für den ordnungsgemäßen Kult dessen, der ihm zum Sieg über seine Widersacher verholfen hatte. Unter diesen Vorzeichen verdient der von P. Weiß [3] in die wissenschaftliche Diskussion eingeführte, jetzt von vielen Forschern übernommene und zuletzt etwa von Timothy D. Barnes und Klaus Girardet [4] ausführlich erläuterte Lösungsvorschlag eine adäquatere Auseinandersetzung und viel stärkere Beachtung, als sie ihm der Verfasser schenkt: Danach berichten der heidnische Panegyriker des Jahres 310 und sehr viel später Eusebius in seiner vita Constantini, aber den Kaiser selbst zitierend, von ein- und demselben Schlüsselerlebnis, und zwar von einer für alle sichtbaren und überwältigenden Himmelserscheinung, einem bekannten Naturphänomen, einem kreuzförmigen Sonnenhalo, gesehen in Gallien, und dazu noch gleichzeitig mit dem Eintreffen einer Siegesmeldung über die Germanen; nur darauf bezieht sich die nun einsetzende Solprägung und die Einführung der neuen, aus Edelsteinen funkelnden Standarte, des labarum, die sofort nach dem Ereignis (Eus. vita Const. 1, 29-31) und nicht erst nach 324 (153) präsentiert wurde. Vor der Schlacht an der Milvischen Brücke zwei Jahre später wird die Symbolik der Sonne und die siegbringende Kraft des Sonnengottes wohl unter dem Einfluss gallischer Bischöfe auf den Gott der Christen umgedeutet, beschrieben von Laktanz als das caeleste (am Himmel sichtbare) signum dei. Unter diesem Zeichen wird der Sieg über Maxentius errungen. Weiß' Argumentation, die natürlich viel komplexer ist, als sie hier skizzenhaft resümiert werden kann, und andere Argumente, die seiner eigenen Meinung entgegenstehen, möchte der Verfasser allzu leicht damit entkräften, dass er die Berichte der antiken Autoren als nachträgliche Erfindung oder Rückprojizierung späterer Entwicklungen einstuft; allerdings bleibt er für die von ihm erst für das Jahr 324 postulierte "Bekehrung" das Quellenzeugnis schuldig.
Konstantin stand eigentlich nicht, wie der Titel suggeriert, zwischen Machtpolitik und Religion, sondern er sah sich in der Wahl seiner Religion angesichts einer von Erfolgen gekrönten Machtpolitik stets bestätigt. Gerade in dieser Frage spielt immer noch der "Glaube" eine große Rolle, aber leider verstellt er oft den Blick auf eine unbefangene, nüchterne Betrachtung der Quellen, so sehr diese auch der jeweiligen Perspektive ihres Autors verhaftet sind. Gelegentlich lässt sich sogar ein heute noch viel zitiertes Ereignis in den Quellen nicht einmal finden, wie das "Toleranzedikt" von Mailand, wo Absprachen zwischen Konstantin und Licinius getroffen, aber keinerlei Schriftstücke abgefasst worden sind; von ihm muss man sich, wie der Verfasser es zu Recht tut (185), verabschieden. [5]
Anmerkungen:
[1] J. Bleicken: Constantin der Große und die Christen. Überlegungen zur konstantinischen Wende, München 1992 (= HZ Beiheft; 15).
[2] K. Bringmann: Die konstantinische Wende. Zum Verhältnis von politischer und religiöser Motivation, in: HZ 260 (1995), 21-47.
[3] P. Weiß: Die Vision Constantins, in: J. Bleicken (Hg.): Colloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von Alfred Heuß, Kallmünz/Opf. 1993, 143-169, in erweiterter englischer Fassung in: JRA 16 (2003), 237-259.
[4] T.D. Barnes: Constantine. Dynasty, Religion and Power in the Later Roman Empire, Chichester (et al.) 2007, 74-80; K.M. Girardet: Das Jahr 311. Galerius, Konstantin und das Christentum, in: G. Bonamente / N. Lenski / R. Lizzi-Testa (a cura di): Costantino prima e dopo Costantino, Bari 2012, bes. 124 - 132; ders., Verfolgt - geduldet - anerkannt. Die Situation der Christen in diokletianisch-konstantinischer Zeit (303 bis 313), in: RQA 108 (2013), bes. 182-183.
[5] Siehe jetzt auch K.M. Girardet: Verfolgt - geduldet - anerkannt (Anm. 4), 189-191.
Helmut Halfmann