Anke Fiedler: Medienlenkung in der DDR (= Zeithistorische Studien; Bd. 52), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2014, 496 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-21055-7, EUR 59,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Katrin Bobsin: Das Presseamt der DDR. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit für die SED, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2013
Jürgen Wilke (Hg.): Journalisten und Journalismus in der DDR. Berufsorganisation - Westkorrespondenten - 'Der Schwarze Kanal', Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007
Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle: Operation Fernsehen. Die Stasi und die Medien in Ost und West. Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008
Anke Fiedler geht in ihrer als Buch erschienenen Dissertation mit der bisherigen Forschung zu Medien und Medienpolitik in der DDR hart ins Gericht. Nach Ansicht Fiedlers liefern diese Studien primär Ergebnisse einer nach wie vor undifferenzierten "Propagandaforschung". Davon will sie sich absetzen. Mit ihrer Arbeit will die Verfasserin sogar "einen Gegenentwurf" zum Trend der vorherrschenden Forschung liefern (10).
Im Zentrum steht dabei die steile These, die staatliche Öffentlichkeitsarbeit in der DDR sei begrifflich besser mit Public Relations (PR) als mit dem Propagandakonzept zu erklären. Die Autorin stützt sich hier auf den in der Forschung umstrittenen PR-Begriff des Münsteraner Kommunikationswissenschaftlers Klaus Merten, der PR-Arbeit als "Differenzmanagement zwischen Fakten und Fiktionen" definiert (44). Dagegen hat Jürgen Wilke eingewendet, dass es sich hier um einen westlichen Begriff handele, der einem ganz anderen Systemzusammenhang entstamme und impliziere, dass so etwas wie Wettbewerb in einem offenen Meinungsmarkt herrsche. Davon könne in der DDR keine Rede sein. [1] Unbeeindruckt von solchen Einwänden beharrt Anke Fiedler auf der Anwendung des Differenzmanagement-Konzepts für die Analyse der Öffentlichkeitsarbeit der SED, wie sie es schon in mehreren Veröffentlichungen getan hat - meist zusammen mit ihrem Doktorvater, dem Münchener Medienwissenschaftler Michael Meyen.
Das Ergebnis ihres intensiven Aktenstudiums und ihrer Interviews mit 31 ehemaligen DDR-Journalisten hat im Grunde nur das bestätigt, was Anke Fiedler eigentlich widerlegen wollte. Die Strukturen und die Vorgehensweise des SED-Medienlenkungsapparats haben sich nie grundlegend verändert. Sie wurden lediglich seit 1947 - nach dem Verzicht der sowjetischen Besatzungsmacht auf die Vorzensur - den jeweiligen tagespolitischen Erfordernissen angepasst. Personelle Wechsel in der Spitze der SED-Agitationsbürokratie haben zwar den Führungsstil variiert, aber die straffe Medienlenkung nicht infrage gestellt. Freiräume für die Journalisten gab es nicht, es sei denn, man gewährte sie ihnen aus taktischen Gründen. Deshalb ist es auch keine neue Erkenntnis, dass die Zeitungen der Blockparteien oder das FDJ-Organ "Junge Welt" ihre Zielgruppen partiell differenziert ansprechen konnten, ohne das Meinungsmonopol der SED zu unterlaufen.
Im SED-Staat unterlagen die Medien mit Ausnahme der Kirchenzeitungen keiner Vorzensur. Letztere mussten vor der Drucklegung ihre Manuskripte im Presseamt vorlegen. Ansonsten herrschte eine "Zensur ohne Zensor". Das heißt, die Redaktionen erhielten vom SED-Zentralkomitee "Empfehlungen", die bei Nichtbeachtung von Nachzensoren sanktioniert werden konnten. Die Schere im Kopf und vorauseilender Gehorsam der Journalisten perfektionierten das Ganze, ohne dass ein institutionalisierter Zensor benötigt wurde.
Die Autorin bestreitet jedoch, dass es in der DDR keine Vorzensur gab. Ein Beispiel dafür sei, dass Erich Honecker vier Tage vor dem Erscheinen des "Neuen Deutschland" (ND) am 23. August 1974 Vorschläge für den Seitenspiegel der ersten Seite angefordert habe - es ging um die Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag des Frontenwechsels Rumäniens im Zweiten Weltkrieg. Honecker handelte hier als selbst ernannter "General-Chefredakteur", der sich intensiver als sein Vorgänger Walter Ulbricht um die drei Leitmedien "Neues Deutschland", "Aktuelle Kamera" und die Nachrichtenagentur ADN kümmerte. So redigierte er auch Meldungen westlicher Nachrichtenagenturen, die ADN dann zu übernehmen hatte. Nach der um 19.00 Uhr beginnenden "heute"-Sendung des ZDF konnte es passieren, dass die Redaktion der "Aktuellen Kamera" in letzter Minute noch Anweisungen von ihm für die 19.30 Uhr-Ausgabe erhielt. So agieren Chefredakteure und nicht Zensoren. Hinzu kommt, dass Honecker ein Faible für den Journalismus hatte. Als Jungkommunist im Saarland hatte er für die "Arbeiter-Zeitung" geschrieben. Deshalb sollen ND-Leitartikel, die von ihm stammten oder in Auftrag gegeben wurden, mit dem Kürzel AZ versehen worden sein.
Die Autorin beginnt ihre ausführliche Schlussbetrachtung mit einem überraschenden Eingeständnis, das eigentlich nahtlos in das von ihr so gescholtene "Propagandakonzept" passt: "Natürlich kann und soll dieses Buch das Rad nicht neu erfinden. Vieles von dem, was man über das Thema Medienlenkung in der DDR weiß, hat sich auch hier bestätigt: Einen freien Journalismus, wie in demokratischen Gesellschaften, hat es in dem Land nie gegeben. Wer gegen die Gesetze der Partei verstieß, dem drohte Arbeitsplatzverlust, in den Anfangsjahren sogar das Zuchthaus. Und letzten Endes ging es doch ohnehin immer nur darum, das zu schreiben, was die Herrschenden hören wollten" (417).
Inzwischen hat die Forschung bei der Erschließung der Akten zur SED-Medienpolitik ganze Arbeit geleistet. Am gründlichsten hat dies die Autorin mit ihren Recherchen im Bundesarchiv, in der Stasi-Unterlagenbehörde und im Archiv des Liberalismus getan. Die von ihr eingesehenen Aktenbestände hat sie auf neun Druckseiten aufgelistet. Aufgrund der breiten Quellenbasis eignet sich ihre Arbeit als Nachschlagewerk. Insbesondere dann, wenn die für die SED-Medienlenkung zuständigen, häufig schwer zu ermittelnden Akteure gesucht werden.
Neuerdings wird darüber diskutiert, ob die DDR schon "ausgeforscht" sei. Für die Medienlenkung der SED trifft das jetzt in der Tat zu. Deshalb schlägt die Autorin vor, man sollte das Phänomen der "lebensgeschichtlichen Betroffenheit" der DDR-Forscher selbst zum Gegenstand der Forschung machen (417). Damit meint sie natürlich nur die "Propagandaforscher". Wie wäre es, wenn man auch andere einbezöge? Etwa Michael Meyen (Jahrgang 1967), der in Leipzig noch im "Roten Kloster" als Parteijournalist sein Studium begonnen hat und heute zum eigenen Erstaunen Universitätsprofessor in München ist. [2]
Anmerkungen:
[1] Jürgen Wilke: Rezension zu Stefan Zahlmann (Hg.). Wie im Westen - nur anders. Medien in der DDR, in: Publizistik Nr. 4/2010, 459f.
[2] Michael Meyen / Anke Fiedler: Die Grenze im Kopf. Journalisten in der DDR, Berlin 2011, 22.
Gunter Holzweißig