Jochen Staadt (Hg.): Schwierige Dreierbeziehung. Österreich und die beiden deutschen Staaten (= Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin; Bd. 18), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2013, 300 S., 15 s/w-Abb., ISBN 978-3-631-64045-6, EUR 39,95
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Maximilian Graf / Agnes Meisinger (Hgg.): Österreich im Kalten Krieg. Neue Forschungen im internationalen Kontext, Göttingen: V&R unipress 2016
Benjamin Gilde: Österreich im KSZE-Prozess 1969-1983. Neutraler Vermittler in humanitärer Mission, München: Oldenbourg 2013
Franz Cede / Christian Prosl: Anspruch und Wirklichkeit. Österreichs Außenpolitik seit 1945, Innsbruck: StudienVerlag 2015
Jochen Staadt (Hg.): "Die Eroberung der Kultur beginnt!". Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951-1953) und die Kulturpolitik der SED, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle: Operation Fernsehen. Die Stasi und die Medien in Ost und West. Mit einem Vorwort von Fritz Pleitgen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008
Klaus Schroeder / Jochen Staadt (Hgg.): Die Todesopfer des DDR-Grenzregimes an der innerdeutschen Grenze 1949-1989. Ein biografisches Handbuch, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2017
Rund 25 Jahre nachdem auf der Pressekonferenz des Mitglieds im Politbüro des ZK der SED, Günter Schabowski, am 9. November 1989 das Ende der DDR eingeleitet worden war, scheint es manchmal so, als ob sich die Forschung an diesem nur etwas mehr als 40 Jahre existierenden Staat langsam abgearbeitet hätte. Neben der DDR selbst wurden sogar schon die Gedenkkultur für die Opfer des SED-Regimes und die sogenannte Ostalgie zum Forschungsgegenstand. Neue Aspekte zu beleuchten, gelingt jedoch dem von Jochen Staadt herausgegebenen Sammelband. Er steht in der Tradition von in den letzten Jahren erschienenen Werken, welche die bilateralen Beziehungen der DDR zu Staaten außerhalb des Warschauer Pakts sowie die Perzeption der DDR in diesen Ländern beleuchten. [1]
Der Band enthält neben der Einführung von Staadt fünf Beiträge: Maximilian Graf beleuchtet die Wahrnehmung der DDR durch österreichische Diplomaten bis zum Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR 1972. Diese Perspektive wird durch Enrico Seewald fortgesetzt, der sich mit der Einrichtung der österreichischen Botschaft in Ost-Berlin befasst. Graf blickt gemeinsam mit Michael Rohrwasser auf das Verhältnis zwischen KPÖ und SED, wobei die Kontroversen um den Schriftsteller und KPÖ-Politiker Ernst Fischer im Zentrum stehen. Angela Schmole analysiert Geheimdienstoperationen des Ministeriums für Staatssicherheit in Österreich sowie die Überwachungen von österreichischen Staatsbürgern in der DDR. Malte Fischer, der sich 16 Jahre lang beruflich mit den Vermögenswerten der DDR befasst hat, bietet eine profunde Analyse der Geldflüsse der DDR nach Österreich und der höchstrichterlich angeordneten Rückerstattung an die Bundesrepublik.
Die Autoren sind nicht nur Experten für die deutsche Zeitgeschichte, sondern, vom Historiker Graf abgesehen, auch Zeitzeugen, wobei der Germanist Rohrwasser als bundesdeutscher Staatsbürger, der über viele Jahre Kontakte nach Ost-Berlin gepflegt hat und heute Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Wien ist, am meisten von allen drei Staaten auch persönlich geprägt wurde. Die Beiträge zeichnen sich aber nicht nur durch die Erfahrungsschätze der Autoren, sondern auch durch eine reiche Quellenbasis aus, die von einer breiten Übersicht über die bisherigen gedruckten Forschungsergebnisse über Medienberichte und Archivquellen bis hin zu Oral-History-Interviews reicht. Die unterschiedlichen (auch methodischen) Zugänge und Voraussetzungen machen die Lektüre des Werks vielfältig, jedoch etwas unzusammenhängend.
Obwohl der Band eine Analyse einer Dreierbeziehung verspricht, konzentrieren sich die Beiträge auf Einzelaspekte der bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der DDR, was den bisherigen Forschungsschwerpunkten der Autoren entspricht. Ein Experte für die Geschichte der Bundesrepublik hätte der Autorengemeinschaft gut getan. Auch die von Staadt verfasste Einführung, welche die verschiedenen Themen des Bandes zu verbinden versucht, aber auch darüber hinausgeht, ist auf die DDR fokussiert und behandelt die Bundesrepublik nur am Rande: Die Fluchthilfen von Studierenden der Freien Universität Berlin mithilfe von geschmuggelten österreichischen Pässen (17) wären ebenso eine nähere Betrachtung wert gewesen wie die Kontakte der in der Bundesrepublik verbotenen KPD (die sich 1968 als DKP neu gründete) zur KPÖ. Staadt würdigt die "keineswegs geringe Mitverantwortung" (26) Österreichs für das Ende der DDR, geht aber leider nicht auf die Achse Wien-Bonn und die Kontakte zwischen dem österreichischen Außenminister Alois Mock und Bundeskanzler Helmut Kohl ein. [2]
Die Stärke des Sammelbandes liegt in den tiefgründigen Analysen von Einzelaspekten, wodurch auch im Sachgebiet bereits kundige Leser neue Zusammenhänge erfahren. Besonders innovativ ist der gemeinsam von Graf und Rohrwasser verfasste Text, der nachvollzieht, wie aus einer literaturwissenschaftlichen Kontroverse um Franz Kafka eine politische Debatte wurde, welche die Beziehungen zwischen der SED und der KPÖ über viele Jahre beeinträchtigte. Dabei gehen sie insbesondere auf die Rolle von Einzelakteuren ein und fokussieren schließlich auf die Position von Ernst Fischer, dessen "Ausführungen zur 'Entfremdung im Sozialismus' " (159) bei der Beurteilung des Werks von Franz Kafka von der SED kritisiert worden waren.
Während die Kafka-Konferenz in Liblice 1963 selbst und insbesondere die Frage, inwieweit sie als Ausgangspunkt für demokratische Strömungen gesehen werden kann, die zum Prager Frühling führten [3], bereits hinreichend untersucht wurden, ist es das Verdienst des Textes von Graf und Rohrwasser, die Haltung von Fischer auf der Tagung (sowie in weiteren Schriften) in Bezug zu den Beziehungen zwischen der SED und der KPÖ zu setzen. Umgekehrt erfolgt eine genauere Analyse der literaturwissenschaftlichen Streitpunkte zu Kafkas Werk, die zu den bereits von der Geschichtswissenschaft beleuchteten Debatten um die ideologische Ausrichtung von Fischer führten. [4] Die Stärke dieser Darstellung liegt darin, dass sie ein detailliertes Bild über die Einflüsse einzelner Akteure liefert und zum Beispiel klar die Einstellung von Kurt Hager herausarbeitet, dass "das Gerede um Kafka politisch motiviert sei". (162) Man erfährt ebenso Aufschlussreiches über die Rolle und politische Lenkung der Parteiorgane "Österreichische Volksstimme" und "Neues Deutschland", die in der ersten Zeit der Kontroverse Fischer und der SED als Publikationsmedium dienten.
Die thematischen Sprünge machen das Buch nicht zu einer Publikation, die sinnvoll vom Beginn bis zum Ende gelesen werden kann. Eine Verbindung der einzelnen Themenkomplexe wurde, obwohl Verweise durchaus interessant gewesen wären, kaum hergestellt. Auch die methodischen Zugänge in den einzelnen Texten wurden wenig beleuchtet. Allerdings zeichnen sich alle Beiträge, obwohl an manchen Stellen vom Leser einige Vorkenntnisse erwartet werden und für den Band ein sorgfältigeres Lektorat wünschenswert gewesen wäre, durch eine gute Lesbarkeit und eine profunde Sachkenntnis aus.
Anmerkungen:
[1] Vgl. etwa Christian Wenkel: Auf der Suche nach dem "anderen Deutschland". Das Verhältnis Frankreichs zur DDR im Spannungsfeld von Perzeption und Diplomatie, München 2014; Inga Emmerling: Die DDR und Chile (1960-1989). Außenpolitik, Außenhandel und Solidarität, Berlin 2013; Roland Cerny-Werner: Vatikanische Ostpolitik und die DDR, Göttingen 2011.
[2] Vgl. dazu u. a. Michael Gehler: Eine Außenpolitik der Anpassung an veränderte Verhältnisse: Österreich und die Vereinigung Bundesrepublik Deutschland-DDR 1989/90, in: ders. / Ingrid Böhler (Hgg.): Verschiedene europäische Wege im Vergleich. Österreich und die Bundesrepublik Deutschland 1945/49 bis zur Gegenwart. Festschrift für Rolf Steininger zum 65. Geburtstag, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, 493-530; Michael Gehler: Österreich, die DDR und die Einheit Deutschlands 1989/90, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), Heft 5, 427-452. Vgl. darüber hinaus zwei neue Texte: Michael Gehler: Bonn - Budapest - Wien. Das deutsch-österreichisch-ungarische Zusammenspiel als Katalysator für die Erosion des SED-Regimes 1989/90, in: ders. / Andrea Brait (Hgg.): Grenzöffnung 1989: Innen- und Außenperspektiven und die Folgen für Österreich, Wien / Köln / Weimar 2014, 135-161; Helmut Wohnout: Vom Durchschneiden des Eisernen Vorhangs bis zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens. Österreichs Außenminister Alois Mock und die europäischen Umbrüche 1989-1992, in: Brait / Gehler: Grenzöffnung 1989, 185-219.
[3] 2008, also 45 Jahre nach der Tagung, fand hierzu am gleichen Ort die Konferenz "Kafka und die Macht" statt, bei der ihre Wirkung durchaus unterschiedlich bewertet wurde. Vgl. http://www.kakanien.ac.at/mat/HBlahova_KIfkovits1.pdf (Zugriff am 20. August 2014). Rohrwasser sprach bei der Tagung zum Thema "Die Verhaftung im Morgengrauen. Literarische Fortschreibungen von Kafkas 'Der Process' ". Vgl. http://www.textkritik.de/liblice/index.htm (Zugriff am 20. August 2014).
[4] Vgl. Josef Ehmer: KPÖ und SED. Ein ambivalentes Verhältnis, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.): Von der Utopie zum Terror. Stalinismus-Analysen, Wien 1994, 171-182.
Andrea Brait