Edgar Illas: Thinking Barcelona. Ideologies of a Global City (= Contemporary Hispanic and Lusophone Cultures; 7), Liverpool: Liverpool University Press 2012, X + 244 S., ISBN 978-1-84631-832-0, GBP 70,00
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Während in diesen Monaten Barcelona wegen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Schlagzeilen macht, ist eine andere, wenngleich längst nicht so starke Bewegung fast kein Gegenstand von Berichten hierzulande. [1] Es geht zwar unmittelbar um lokale Fragen, doch verbergen sich dahinter auch die ganz allgemeinen Probleme der "Global Cities" in der modernen Dienstleistungsökonomie. Es geht um die Wünsche der Tourismusindustrie nach dem Umbau ganzer Stadtteile, der sich oftmals Hand in Hand mit Gentrifizierungsprozessen vollzieht.
Entwickelt hat sich Barcelona allerdings im 19. Jahrhundert als Industriestadt, es war von der Handelsstadt mit Hafen und Hauptstadt der Grafschaft Katalonien als zeitweiliger mediterraner Hegemonialmacht im Mittelalter zum Zentrum der einzigen bedeutenden Industrieregion des spanischen Staates geworden (abgesehen von der baskischen Schwerindustrie und den asturischen Kohlenminen, die aber immer ländlich eingebettet blieben). Das katalanische Bürgertum gestaltete diese Stadt durch umfangreiche Bauprojekte zur Erweiterung des mittelalterlichen Stadtkerns, deren quadratische Strukturen auf jedem Stadtplan emblematisch wirken für den Anspruch, das gesamte Land einer rationalen Erneuerung zu unterwerfen. Die Bauten des "modernisme", des katalanischen Jugendstils, vor allem seines herausragendsten Architekten, Antoni Gaudí, markieren diese Bemühungen noch heute im Stadtbild. Mit den Weltausstellungen von 1888 und 1929 fand dieser Anspruch eine Projektion weit über die iberische Halbinsel hinaus.
Doch die Widersprüche zwischen der katalanischen Modernisierung und dem Zurückbleiben der politisch-sozialen Strukturen des spanischen Staates führten während des Bürgerkriegs von 1936 bis 1939 zum Bruch in der Entwicklung. Nach anfänglichen Deindustrialisierungsvorstellungen der Diktatur Francisco Francos - die damit das Problem der katalanischen Eigenständigkeit lösen wollte - konnte sie sich allerdings den ökonomischen Tatsachen nicht ganz verschließen. Obwohl seit dem Industrialisierungsschub ab Mitte der fünfziger Jahre auch außerhalb Kataloniens neue Industriezentren entstanden, v. a. im Raum Madrid, profitierte Barcelona außerordentlich von der Entwicklung eines breiten Industriegürtels um die Stadt. Die Stadt selbst wuchs vor allem an ihren Rändern drastisch und völlig planlos an. Da die Infrastruktur nicht nachkam und sich eine Reihe von gut mit der Diktatur verbundenen Personen die Taschen rücksichtslos füllte, musste der langjährige Bürgermeister Josep Maria de Porcioles sogar noch vor dem Tod des Diktators 1973 zurücktreten.
Der Übergang zur parlamentarischen Monarchie nach dem Tod Francos 1975 brachte 1979 dann endlich eine gewählte Stadtregierung mit der Aufgabe, die Stadtverwaltung zu demokratisieren und vor allem eine angemessene Infrastruktur zu schaffen. Zwar konnte sich Spanien nun endlich um eine Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bemühen (verbunden mit dem endgültigen Ende aller Autarkievorstellungen), doch musste sich das Land zugleich den Umwälzungen der Weltwirtschaft anpassen, die man grob vereinfachend unter dem Schlagwort "Globalisierung" zusammenfasst und die für Katalonien drastische Umstrukturierungen bedeuteten, etwa den Wegfall der einstmals dominierenden Textilindustrie, aber auch Verschiebungen innerhalb der an Chemie und Metallverarbeitung orientierten moderneren Industriezweige.
All dies erforderte den Umbau der Stadt. Vor allem ältere Stadtteile waren dringend zu erneuern. Die enorm verdichtete Stadt wurde durch zahlreiche öffentliche Flächen aufgelockert. Verfallene Industrieflächen mussten saniert und zu einer anderen Nutzung gebracht werden. Dadurch konnten ganze Viertel neu erschlossen werden. Die Stadt wurde zum Mittelmeer geöffnet, was bisher Bahngleise und Gewerbegebiete verhindert hatten. Zugleich fand eine Ausrichtung des historischen Stadtkerns hin zu einer Betonung seines touristischen Werts und damit eine Steigerung der Attraktivität Barcelonas statt.
Als Hebel für diese Entwicklung fungierte die Bewerbung der Stadt für die Olympiade im Jahre 1992. Enorme Summen wurden für den erforderlichen Umbau mobilisiert. Zahlreiche Folgemaßnahmen wurden dadurch geradezu unvermeidbar. Diese Entwicklung stellte nicht unbedingt einen Bruch dar, sie griff zum Teil auf seit Jahren vorliegende Planungen zurück. Somit fühlten sich die traditionellen Eliten nicht unbedingt vor den Kopf gestoßen. Das zeigt nichts deutlicher, als dass dafür in Eintracht ein Mann des alten Systems, der ehemalige Minister unter Franco und Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Juan Antonio Samaranch, und der neue sozialistische Bürgermeister, Pasqual Maragall, standen. Barcelona jedenfalls gewann einen neuen Ruf als mediterrane kosmopolitische Metropole, attraktiv für die Ansiedlung der neuen Dienstleistungsökonomie, mit dem touristischen Image im Vordergrund. Woody Allens Film "Vicky Cristina Barcelona" ist dafür der perfekte Ausdruck.
Edgar Illas, Assistenzprofessor für katalanische und spanische Studien an der Universität von Indiana, ist einer solchen "Neudefinition" Barcelonas in dieser Buchfassung seiner Dissertation nachgegangen. Dabei geht es ihm weniger um eine materielle Geschichte, d. h. eine Herausarbeitung der konkreten ökonomischen, soziologischen oder stadtplanerischen Entwicklung aus den entsprechenden Quellen. Ihre Elemente werden zwar, weitgehend der Chronologie folgend und mit Hilfe der bereits zahlreich vorliegenden Untersuchungen, nachgezeichnet. Im Vordergrund jedoch stehen die Diskurse, die Vorstellungen, die den Veränderungen oder schon den Planungen dafür zugrunde lagen, und die damit verbundenen theoretischen Modelle und Erklärungen unter Rückgriff auf das breite Spektrum postmoderner Gesellschafts- und Ideologiekritik, was die Lektüre streckenweise nicht sehr eingängig macht. Dazu werden auch immer wieder die Wiederspiegelungen der städtischen Veränderungen in den Werken von Schriftstellern herangezogen, insbesondere bei dem auch in Deutschland bekannten Quim Monzó.
Illas kann aufzeigen, dass diese Neustrukturierung der Stadt, die ihren Ausgangspunkt in der Beseitigung der durch die Diktatur hinterlassenen Versäumnisse hatte, nicht immer harmonisch verlief. Hier prallten auch scharfe Gegensätze aufeinander. Letztlich ging es um einen kapitalistischen Anpassungsprozess, der allerdings in den Jahren bis zur Finanzkrise vor dem Hintergrund eines außerordentlichen Wirtschaftswachstums erfolgte und dadurch relativ wenige Verlierer zurückließ. Das änderte sich mit dem Beginn der Krise. Diese Widersprüche sind allerdings wenig geprägt von dem nationalen Konflikt zwischen Katalonien und der Madrider Zentralregierung, der hier nur wenig aufscheint. Tatsächlich ist die Stadt bis auf die letzten Jahre seit den ersten demokratischen Kommunalwahlen 1979 von der Linken (vor allem den Sozialisten) regiert worden, die bei aller Betonung der eigenen katalanischen Identität eine eher vermittelnde Rolle spielten. Die Auseinandersetzungen um die Stadtentwicklung werden dagegen von sozialen Konfliktlinien geprägt. So sind zwar die aktuellen massiven Proteste gegen das Überhandnehmen der Tourismusindustrie (gegenwärtige Zuspitzung: Barcelona als Ausgangshafen einiger der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt) hier noch nicht einbezogen (und die aktuellen Auseinandersetzungen um die Forderung nach Unabhängigkeit Kataloniens erst recht nicht); sie werden allerdings im Rückgriff auf diese Arbeit verständlicher, wobei offenbleiben muss, ob sie auch die Kraft entwickeln werden, in der Stadtentwicklung eine neue Richtung oder zumindest Akzente dafür zu erzwingen.
Insgesamt liefert die Arbeit von Illas weniger Bausteine für eine empirische Stadtgeschichte als für eine Reflexion über die Entwicklung dieser Stadt und ihrer theoretisch-ideologischen "Präsentationen". Dass, bei allen Besonderheiten der Metropole am Mittelmeer, die Auswirkungen globaler sozioökonomischer Trends auch woanders vergleichbare Konflikte auslösen können, zeigt etwa das Beispiel Berlin.
Anmerkung:
[1] Jetzt allerdings, wenn auch nur im Reiseteil, sehr ausführlich: "Drei Silben für ein Lebensgefühl", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 6. November 2014.
Reiner Tosstorff