Anne Kirkham / Cordelia Warr (eds.): Wounds in the Middle Ages (= The History of Medicine in Context), Aldershot: Ashgate 2014, XV + 254 S., ISBN 978-1-4094-6569-0, GBP 70,00
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Dieser Sammelband vereint zehn Beiträge zu unterschiedlichsten Aspekten der Wundbehandlung, der Stigmata und der Wahrnehmung von Wunden im Mittelalter. Er stellt die Frucht einer Tagung an der Universität Manchester vom Jahr 2011 dar und wird durch einen kurzen Überblick der beiden Herausgeberinnen eingeführt.
Der Band denkt mehrere unterschiedliche Perspektiven der Betrachtung von Wunden im Mittelalter an und überzeugt insbesondere dort, wo er hagiographisches Schriftgut für die Medizingeschichte erschließt und so methodische Impulse setzt. So reflektiert Cordelia Warr Veränderungen in der frühneuzeitlichen Wahrnehmung der Stigmata des Heiligen Franz von Assisi und zeigt, dass die Eigenschaften der Wunden sich gemeinsam mit medizinischen Erwartungen, denen das übernatürliche Wunder ja nicht entsprechen durfte, veränderten. Dies konnte etwa durch die in der Neuzeit ventilierte Behauptung, alle Wunden des Heiligen hätten geblutet, geschehen, was zeitgenössischen Berichten des Hochmittelalters nicht zu entnehmen war. Die zunehmende Bedeutung medizinischer Untersuchungen im Rahmen der Heiligsprechungsverfahren, die mitunter auch zur Aufdeckung falscher Stigmata führten, dürfte nach Warrs Einschätzung zugleich zu einem Reflex in der Hagiographie geführt haben, die älteren Fälle für die eigenen Zeitgenossen plausibler auszugestalten. In eine ganz ähnliche Richtung denkt Louise Elizabeth Wilson, die anhand der Wunderberichte für den Heiligen Edmund von Abingdon argumentiert, dass hagiographische Beschreibungen von Heilungen medizinisches Wissen der Autoren und ihres Publikums voraussetzten. Nicht der Gegensatz von aufgeklärter Medizin und mittelalterlichem Glauben ließe sich hier ablesen, sondern vielmehr die Reaktion auf medizinisches Wissen im Kontext einer auf die Heiligenverehrung ausgerichteten Quellengattung erkennen, die im Gegenteil Interesse und Bildung in medizinischen Fachfragen erweist.
Der allgemeinen Wahrnehmung von Wunden geht Karine van 't Land nach, die die These aufstellt, die Wunde in der medizinischen Literatur des Mittelalters - etwa ausgehend von Avicenna - sei als "Auflösung von Kontinuität" ("dissolution of continuity", 105) verstanden worden. Daraus habe man gefolgert, dass die Wunde nicht unbedingt zu schließen, sondern eher - zur Wiederherstellung körperlicher Kontinuität - aufgefüllt werden müsse, was vor allem durch den Stoffwechsel des Patienten herstellbar sei. Der Artikel von Jon Clasper über die Behandlung von Verletzungen aus militärischem Kontext wird all jene freuen, die im Krieg einen zentralen Ansporn menschlicher Innovation erkennen. Auch in diesem stets an die gegenwärtigen Behandlungen rückgekoppelten, manchmal freilich etwas oberflächlichen Überblick wird die Schließung der Wunde und ihre Heilung behandelt. Maria Patijn geht ausgehend von der Beschreibung bei dem flämischen Arzt Jan Yperman der Nutzung von Armbrüsten zur Extraktion von Bolzen nach, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zu den gängigen chirurgischen Lösungen nicht anders zu entfernender Projektile gehörte.
In eine andere gedankliche Richtung führt der Beitrag von Mary K.K. Yearl, die ausgehend von Wilhelm von Saint-Thierry und Hugo von Fouilloy im 12. Jahrhundert die Traditionslinie nachzeichnet, der christliche Autoren folgten, wenn sie die Heilung der Seele mit der Arbeit von Ärzten verglichen. Yearls Ansatz unterstreicht die beispielsweise bereits von Caroline Walker Bynum festgestellte christlich-mittelalterliche Konzeptualisierung des Menschen als psychosomatische Einheit. Der literarischen Darstellung von Wunden und deren symbolischen Gehalt geht Hannah Priest am Beispiel von Chrétiens de Troyes "Erec et Enide" nach. Die männliche Verwundung dient hier zur Konstruktion von Geschlecht, etwa wenn die Behandlung von Wunden, die im Kampf geschlagen wurden, gesellschaftliche Bande zwischen Männern schafft oder bestehende Loyalitäten unterstreicht. Der verwundete Held des arthurischen Romans eröffnete für den mittelalterlichen Rezipienten darüber hinaus auch Anklänge an den leidenden Christus; die höfische Dame lässt sich in diesem Sinne in einer mariologischen Perspektive verstehen.
In den englischen und skandinavischen Gesetzen und erzählenden Quellen des Hochmittelalters finden sich zahlreiche Hinweise auf die Abgeltung von Verletzungen, die Jenny Benham in ihrem Beitrag überblicksartig zusammenstellt. Die Möglichkeiten der Gerichtsakten aus London in Bezug auf medizinhistorische Fragestellungen lotet Ian Naylor aus, indem hier der Fall des 1353 verurteilten Arztes John le Spicer kontextualisiert wird, der die Wunde im Gesicht eines gewissen Thomas de Shene durch seine Behandlung verschlimmert hatte.
Den Abschluss des Bandes bildet Lila Yawns Aufsatz zur Abtrennung von Körperteilen, in dem sie ausgehend von Monty Pythons Imagination des gegen Artus antretenden Schwarzen Ritters moderne Bilder von einem barbarischen Mittelalter gerade mit der körperlichen Verstümmelung verbunden sieht. Demgegenüber sei das mittelalterliche Verständnis der Amputation insbesondere in hagiographischen Schriften auch als Weg zur Heilung und damit als positives Ereignis interpretierbar gewesen.
In seinen zehn Beiträgen kann der Band natürlich nur einzelne Aspekte ansprechen und die reiche Fülle der Fragestellungen andeuten, die die Medizingeschichte mit juristischen, theologischen oder literaturhistorischen Fragestellungen verbindet. Stärker reflektieren ließe sich sicher das eigentliche Objekt des Bands: Was eigentlich ist eine Wunde, und wo ist in der Zusammenschau der Ergebnisse der einzelnen Beiträge ihr Platz in der Kulturgeschichte des Mittelalters? Dabei hätte man vielleicht auch eine Öffnung hin zur Geschichte der Behinderung oder des Weiterlebens einzelner Körperteile andenken können. Der Band bietet aber in jedem Fall für viele weitergehende Fragestellungen interessante Impulse; dabei sind jene Beiträge, die in diesem Kontext ungewöhnlichere Quellenkorpora (etwa die Hagiographie) unter kulturhistorischer Perspektive erschließen, besonders hervorzuheben.
Romedio Schmitz-Esser