Stefan Benz: Frauenklöster Mitteleuropas. Verzeichnis und Beschreibung ihrer Geschichtskultur 1550-1800 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 160), Münster: Aschendorff 2014, 751 S., ISBN 978-3-402-11584-8, EUR 78,00
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Auf den ersten Blick ein gigantisches Werk: Auf mehr als 700 Seiten hat Benz Informationen zur sogenannten Geschichtskultur von fast 1200 Frauenklöstern und -stiften im heutigen Belgien, Deutschland, Tschechien, Österreich, Luxemburg, Südtirol, "großen Teilen der Schweiz", dem "Westen Polens", dem Elsass und dem "kleinen katholischen Teil der Niederlande" (Auflistung nach Klappentext), laut Untertitel begrenzt auf die Zeit zwischen 1550 und 1800, zusammengetragen.
In Anlehnung an die Arbeiten von Wendehorst / Benz [1] sollte ein Verzeichnis der "Frauenklöster Mitteleuropas innerhalb eines bestimmten Zeitraums" auf der Grundlage von Internet-Datenbanken erstellt werden. Da aber die Zusammenstellung bibliografischer Informationen nach Meinung des Autors nur "eine Fleißaufgabe ohne Sinn" bliebe, will er eine "entscheidend neue Perspektive" eröffnen, die er in den Forschungen zur Geschichtstheorie und -kultur zu finden glaubt. Aufbauend auf Rüsens und von Borries' Arbeiten zu Theorie und Geschichtsbewusstsein der Gegenwart will er das allgemeine (!) Geschichtsbewusstsein der Frühen Neuzeit untersuchen und sieht dafür "in der Tätigkeit des Geschichtsbewusstseins in Frauenklöstern vor 1800" eine "empirisch umfassende, repräsentativ auswertbare Datengrundlage" (10). Ähnlich abstruse Formulierungen finden sich reichlich. Das vorliegende Verzeichnis bilde "das Gerüst der Beschreibung der Geschichtskultur (Erinnerungskultur) in den Frauenklöstern", wobei Benz mit Bezug auf Rüsen unter Geschichtskultur "nichts anderes als Geschichtsbewusstsein in praktischem Lebenszusammenhang" verstanden wissen will.
Verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass sich Zeugnisse der Geschichtskultur nicht in Archiven finden lassen sollen. Denn unter der Überschrift "Was können Zeugnisse der Geschichtskultur sein?" liest man gleich im ersten Satz: "Die Archive als für bestehende Institutionen aktives Speichergedächtnis sind kaum darunter zu zählen, wiewohl festzuhalten ist, dass durchgesehene oder aus der Literatur bekannte Altrepertorien fast immer ein Fach für nutzlose Schriften vorsehen - Zeugnis von Historizitätsbewusstsein" (11). So befremdend geht es weiter: Wirtschaftsakten und Rechtssachen sollen kein Interesse mehr finden, vielmehr müsse dies in erster Linie der "retrospektive[n] Historiographie" gelten, die Benz v.a. in Bildern und Chroniken sehen will (14). Zu Recht wird in diesem Kontext auf das lange Zeit vorherrschende Desinteresse der Kunstgeschichte an bildlichen Darstellungen in und aus Frauenklöstern und -stiften hingewiesen, doch auch Benz ignoriert den hier überaus wichtigen Bereich der textilen, handwerklichen und kunstgewerblichen Produktion.
Für die "Lemmaermittlung und Lemmagestaltung" wurden offensichtlich eher Druckerzeugnisse (z.B. Niedersächsisches / Nordrheinisches Klosterbuch) als Internet-Datenbanken ausgewertet; dabei versteht Benz Klöster als "Orte, wo Frauen unter sich zusammenleben" (16), also alles zwischen fürstlichen Reichsabteien bis hin zum kleinen "Huys" (der Beginen). Für die Auswahl aus diesem Sammelsurium sieht der Verfasser die pragmatische Lösung darin, alle diejenigen Einrichtungen aufzunehmen, die "eines Dokuments der Geschichtskultur verdächtig" sind (16).
Ähnlich nebulös und diffus umschreibt Benz auch den Untersuchungszeitraum, der sich "sprach- und medienhistorisch begründet auf die volkssprachliche frühe Neuzeit, also die Zeit des ausgehenden 15. Jahrhunderts bis zur Zeit der Säkularisationen [...]" beziehe, um dann aber doch "hochmittelalterlich bedeutende Klöster" (gekennzeichnet durch Asteriskus) wenigstens zu erwähnen (17f.); vgl. dazu den Untertitel!
Schließlich geht auch Benz' Salvierungsversuch zu den aufgenommenen Lemmata über das akzeptable Maß weit hinaus, wenn er anführt, dass "sich die Erfassung für einen so großen Raum länger hinzog und die Arbeit an fast eineinhalbtausend Lemmata Veränderungen und Gewichtsverlagerungen mit sich bringt" und daher "der Informationsgehalt, verstanden als Vergangenheitspartikel [..] oder sprachlich mehr oder weniger glücklich zusammengefasster Faktenvorrat, schon unabhängig von der Informations- und Quellenlage an sich unterschiedlich dicht" sei (21). Offensichtlich hat der Verfasser einen Teil der Monita schon selbst erkannt, ohne Konsequenzen daraus zu ziehen.
Abgesehen von dem an sich schon wenig überzeugenden Vorhaben, den für die Gegenwart entwickelten Begriff Geschichtskultur auf die Frühe Neuzeit anzuwenden [2] und am Beispiel der Frauenklöster das allgemeine Geschichtsbewusstsein analysieren zu wollen, hätte die Beschränkung auf ein kleineres Gebiet vielleicht manchen Fehler und manche Unzulänglichkeit (z.B. oft nur ein einziger Literaturhinweis) verhindert.
Zwar sind einzelne Lemmata v.a. zu bayerischen und österreichischen Klöstern recht informativ, da Benz für diese auch die einschlägigen Archive (!) benutzt hat; doch viele der vorgestellten Chroniken wurden von Beichtvätern oder dem Kloster nahestehenden Geistlichen verfasst, die ihre eigenen Intentionen verfolgten. Sie sind daher kaum für die Untersuchung der "Geschichtskultur" in Frauenklöstern, geschweige denn - wie auf dem Cover angepriesen - für die Gender-Forschung zu verwenden.
Bereits beim flüchtigen Durchblättern stößt man auf ein weiteres, gravierenderes Ärgernis. Denn entgegen allen neueren Forschungen werden Frauenstifte jeglicher Art als "Kanonissenstifte" (21) in die Liste der Frauenklöster eingereiht, ohne ihnen damit auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Die überaus bedeutsame ständische Komponente dieser Institute in der Frühen Neuzeit, die auch im Hinblick auf Benz' Fragestellung von erheblicher Relevanz gewesen wäre, wird nahezu gänzlich ignoriert. Frauenstifte waren keine Klöster! Der Verzicht auf solche Einträge (184 Lemmata), "die den [..] beschriebenen Kriterien zeitlich oder lokal nicht (ganz) entsprechen" (9), hätte vielleicht konsequenteres Arbeiten an der Fragestellung als auch sorgfältigere Recherche zu den einschlägigen Artikeln ermöglicht.
Durchgängig wird die alte Rechtschreibung verwendet. Stilblüten finden sich zuhauf, z.B.: "1730 starb eine 80jährige Jubiläa, doch scheint dieser Brauch erst im 18. Jh. eingeführt worden zu sein [...]" (417); zu einem Trierer Kloster heißt es einleitend: "Uralt [...]" (647); zu "Augsburg, Katharina, OP" liest man: "Fast adelig" (113); das Zisterzienserinnenkloster in Coesfeld war nach Benz "tendenziell adelig" (183). Die Sprache ist oft ebenso konfus wie die Aussagen zur Geschichtskultur und zu Archiven. Nicht selten entsteht der Eindruck, als habe Benz seinen Zettelkasten abgedruckt.
Die Beigabe von Karten - unerlässlich bei einem so weit reichenden Überblick - hätte vielleicht auch den Autor selbst vor manchem Irrtum geschützt: So sind z.B. Stoppenberg und Rellinghausen heute Stadtteile von Essen, Sterkrade gehört zu Oberhausen (nicht zu Kirchhellen). Munsterbilsen ist seit 1977 ein Stadtteil von Bilsen.
Dass ein solches Werk nicht von einem einzigen Autor zu bewältigen ist, zeigen die bisher vorliegenden regionalen Klosterbücher, die - von Fachleuten zu den einzelnen Institutionen verfasst - weitaus zuverlässiger informieren, auch zu Fragen, die Benz interessieren. Man fragt sich, warum dieses mit vielen Mängeln behaftete Werk in die renommierte Reihe "Reformationsgeschichtliche Studien und Texte" aufgenommen und der Druck zudem noch von sechs Erzbistümern und dem Landschaftsverband Rheinland gefördert wurde.
Anmerkungen:
[1] Vgl. u.a. Alfred Wendehorst / Stefan Benz: Verzeichnis der Säkularkanonikerstifte der Reichskirche, Neustadt a. d. Aisch 1997.
[2] Vgl. Hans-Jürgen Pandel: Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis, Schwalbach/Ts 2013, 161-177.
Ute Küppers-Braun