Rezension über:

Allan J. Kuethe / Kenneth J. Andrien: The Spanish Atlantic World in the Eighteenth Century. War and the Bourbon Reforms, 1713-1796 (= New Approaches to the Americas), Cambridge: Cambridge University Press 2014, VIII + 400 S., ISBN 978-1-107-04357-2, GBP 55,00
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Rezension von:
Niels Wiecker
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Niels Wiecker: Rezension von: Allan J. Kuethe / Kenneth J. Andrien: The Spanish Atlantic World in the Eighteenth Century. War and the Bourbon Reforms, 1713-1796, Cambridge: Cambridge University Press 2014, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 1 [15.01.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/01/26019.html


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Allan J. Kuethe / Kenneth J. Andrien: The Spanish Atlantic World in the Eighteenth Century

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In der deutschen Historiografie ist die Existenz eines spanischen Reformabsolutismus während des 18. Jahrhunderts nach wie vor wenig bekannt. Dies gilt trotz herausragender deutschsprachiger Arbeiten wie Alexandra Gittermanns ideengeschichtlicher Untersuchung zu Karl III., dessen Regierungszeit (1759-1788) den Höhepunkt der Reformära in Spanien bildete. [1] In der englischsprachigen und spanischen Historiografie hat das Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit erfahren, was daran liegen mag, dass der Spanische Erbfolgekrieg zu Beginn des 18. Jahrhunderts sowohl für Großbritannien als auch für Spanien große Auswirkungen hatte, die prägend für die weitere Entwicklung waren. Großbritannien konnte seinen Aufstieg zur See- und Handelsmacht festigen und erlangte einen legalen Zugang zum spanischen Kolonialreich. Für Spanien bedeutete der Wechsel von Habsburgern zu Bourbonen auf dem Thron eine stärkere politische Anlehnung an Frankreich und einen neuen Reformeifer, der auf Verwaltung, Militär, Bildung, Fiskus, Kirche und Wirtschaft zielte.

Die Forschung diskutiert vornehmlich die Frage, inwieweit sich von einem regelrechten bourbonischen Reformprogramm sprechen lässt und wie effektiv die Maßnahmen waren, was in jüngster Zeit vor allem anhand der ökonomischen und politischen Wechselwirkungen zwischen Spanien und dem hispanoamerikanischen Kolonialreich bearbeitet wird. [2] Vorhergehende Forschungen haben sich einzelnen Herrscherpersönlichkeiten und den ökonomischen Auswirkungen der Reformen auf einzelne spanische und hispanoamerikanische Regionen gewidmet. Insgesamt hat die Zeit ab 1750 dabei wesentlich mehr Aufmerksamkeit erfahren, was der etwas besseren Quellenlage und dem in der Forschung lange dominierenden Interesse am Niedergang des spanischen Kolonialreichs und den einsetzenden Unabhängigkeitsbewegungen in Hispanoamerika geschuldet sein dürfte.

Kuethe und Andrien legen vor diesem Hintergrund einen gleich in mehrerer Hinsicht bemerkenswerten Band vor. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist die These, dass es die vielfältigen kriegerischen Auseinandersetzungen waren, die in Spanien den Impuls für Reformen auslösten. Entgegen einer überwiegend auf die Binnensicht konzentrierten Forschung sehen die Autoren externe Faktoren als Auslöser für Reformansätze. Die Reformen zielten in dieser Lesart darauf ab, das Land wieder zu militärischer Stärke zu führen, wofür eine Steigerung der Staatseinnahmen, also vor allem höhere Erträge aus dem Kolonialreich, erforderlich war. Diese Sicht ist nicht gänzlich neu, aber sie ist selten so konsequent für das gesamte 18. Jahrhundert dargelegt worden. Überhaupt ist es eine große Stärke des Buches, das Jahrhundert als Ganzes in den Blick zu nehmen und die verbindenden Elementen zu betonen.

Dieser Ansatz spiegelt sich einem streng chronologischen Aufbau wider, den Kuethe und Andrien in drei große Reformperioden unterteilen. Die erste Phase von 1713 bis 1736 war geprägt von Bemühungen, nach Ende des Spanischen Erbfolgekriegs den Kolonialhandel zu reformieren, um den Schmuggel zurückzudrängen und höhere Einnahmen aus dem Kolonialreich für Spanien zu sichern. Allerdings zeigten die ersten Maßnahmen noch wenig Wirkung und Spaniens Niederlage im Krieg der Quadrupelallianz (1718-1720) bremste die Ambitionen zwischenzeitlich deutlich. In der zweiten Phase von 1737 bis 1763 wurden die wirtschaftlichen Reformideen erneut aufgenommen und um weitere Maßnahmen etwa zur Stärkung der Krone gegenüber der Kirche ergänzt. Der 'War of Jenkins' Ear' und der sich anschließende Österreichische Erbfolgekrieg führten zu einem Ausbau der Befestigungen in der Karibik und hatten eine Vergrößerung des Militärs aber auch steigende Ausgaben zur Folge. Die dritte Reformperiode ab 1763 nahm ihren Ausgang im Siebenjährigen Krieg, in dem es Großbritannien gelang, Havanna zu erobern. Der vorübergehende Verlust dieses zentralen Karibikhafens mit seiner gut befestigen Bastion war ein so schwerer Schlag, dass sich daraus in den folgenden Jahren umfassende Reformen in nahezu allen Bereichen in Spanien und Hispanoamerika ergaben. Erste einschneidende Maßnahme war die Ausweisung der Jesuiten 1767 - ein klares Signal, dass die Reformen mit aller Macht vorangetrieben werden sollten. Die wichtigste wirtschaftspolitische Reformmaßnahme war die Liberalisierung des Kolonialhandels, sodass der Warenverkehr nicht mehr mit Konvois auf vorgeschriebenen Routen erfolgen musste. Das erfolgreiche Engagement Spaniens im nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg bestätigte die Krone in ihren Reformbemühungen, denn es war gelungen, neu-spanisches Silber in militärische Stärke zu übersetzen. Diese letzte Phase endet allerdings mit den schweren Niederlagen Spaniens im Zweiten Koalitionskrieg ab 1796. Es war Spanien zwar vorübergehend gelungen, sich als militärische Großmacht zu etablieren, doch der Preis zur Verteidigung des ausgedehnten Kolonialreichs war auf Dauer zu hoch.

Bemerkenswert ist nicht nur die Darstellung des 18. Jahrhunderts als zusammenhängender Reformprozess, sondern auch die Perspektive, die dabei eingenommen wird. Ausgangspunkt für Kuethe und Andrien sind nicht die jeweiligen Herrscher, sondern die für die Reformprozesse verantwortlichen Minister: Alberoni und Patiño in der ersten Phase, dann Ensenada und Carvajal y Lancaster sowie später unter Karl III. vor allem José de Gálvez. Vom spanischen Hof leiten die Autoren zu den Entwicklungen und Wechselwirkungen in Hispanoamerika über, sodass am Ende ein gleichsam atlantisches Bild entsteht. Es gelingt ihnen aufzuzeigen, dass Reform immer auch Konflikt bedeutet, nicht nur in Spanien, sondern insbesondere in Hispanoamerika, wo sich schließlich mit den Unabhängigkeitsbewegungen politische Prozesse einer ganz anderen Größenordnung in Gang setzten.

Die Zusammenarbeit dieser beiden Kenner der Kolonialgeschichte, die jeweils zahlreiche Veröffentlichungen zum andinen und zum karibischen Raum vorgelegt haben, hat zu einem beeindruckend kenntnisreichen und ausgewogenen Buch geführt. Demgegenüber ist es hinnehmbar, dass die Erkenntnisse der spanischen Regional- und Sozialgeschichte in der Folge von Pierre Vilar oder Gonzalo Anes weitgehend unberücksichtigt bleiben und die Autoren sich in erster Linie auf die Historiografie zu den Reformen im atlantischen Kontext stützen. Für die Frühphase haben sie zudem umfangreiche diplomatische Korrespondenz aus französischen Archiven herangezogen, die eine genaue Darstellung der ersten Jahrzehnte ermöglicht. Eine Zeittafel, Abbildungen und Diagramme, eine umfangreiche Bibliografie und ein Index helfen dem Leser bei der Orientierung. Das Buch bietet einen umfassenden Überblick über den spanischen Reformabsolutismus und folgt dabei einer klar formulierten These, die überzeugend vorgetragen und mit einer Fülle von Belegen untermauert wird.


Anmerkungen:

[1] Alexandra Gittermann: Die Ökonomisierung des politischen Denkens. Neapel und Spanien im Zeichen der Reformbewegungen des 18. Jahrhunderts unter der Herrschaft Karls III., Stuttgart 2008.

[2] Beispielsweise Stanley J. Stein / Barbara Stein: Edge of Crisis: War and Trade in the Spanish Atlantic, 1789-1808, Baltimore 2009; oder Jeremy Adelman: Sovereignty and Revolution in the Iberian Atlantic, Princeton 2009.

Niels Wiecker