Rezension über:

Daniel Ogden: Drakōn. Dragon Myth and Serpent Cult in the Greek and Roman Worlds, Oxford: Oxford University Press 2013, XVIII + 472 S., 42 s/w-Abb., ISBN 978-0-19-955732-5, GBP 95,00
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Rezension von:
Winfried Schmitz
Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Winfried Schmitz: Rezension von: Daniel Ogden: Drakōn. Dragon Myth and Serpent Cult in the Greek and Roman Worlds, Oxford: Oxford University Press 2013, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 3 [15.03.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/03/23433.html


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Daniel Ogden: Drakōn

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Daniel Ogden, der mit vielbeachteten Büchern über Bastarde im klassischen und hellenistischen Griechenland (1996) und über "Crooked Kings" (1997) bekannt geworden ist, hat mit dem vorliegenden Buch eine weitere Studie vorgelegt, die sich mit griechischen und römischen Mythen, Religion und Kult beschäftigt. Aus seiner Feder stammen dazu weitere Werke über "Greek and Roman Necromancy" (2001), "Magic, Witchcraft and Ghosts in the Greek and Roman Worlds" (2002, dt. 2010) und "Night's Black Agents. Witches, Wizards and the Dead in the Ancient World" (2008). Das nun vorgelegte Buch wird ergänzt durch einen Quellenband mit dem ähnlichen Titel "Dragons, Serpents, and Slayers in the Classical and Early Christian Worlds. A Sourcebook" (2013).

Gegenstand des Buchs sind Mythen, in denen Schlangen sowie schlangen- und drachenartige Wesen eine prominente Rolle spielen. Ogden hat dazu umfangreiches Material zusammengetragen, aus dem hervorgeht, wie verbreitet Schlangen in antiken Mythen sind, als Kräfte des Bösen, als Objekt der Faszination, als Wächter und Heilsbringer. In vielfältigen Formen und Funktionen bevölkern sie die Welt der Mythen, wobei die von Herakles, Jason und Perseus, von Kadmos und Odysseus bezwungenen Schlangen zu den bekanntesten gehören, an Schlangen und schlangenartigen Wesen Typhon, die Giganten, Medusa, die Chimäre, Zerberus, Python, Ladon und die hundertköpfige Hydra. Es erstaunt nicht, dass Schlangen und Drachen häufig mit Wesen der Unterwelt verbunden sind; als feuerspeiende Ungeheuer begegnen sie als Wächter von Äpfeln an einem Baum, von Quellen und Quellnymphen, die vor sexuellen Übergriffen geschützt werden sollen, und verweigern Unbefugten den Zutritt. Weibliche Schlangen erzeugen eine neue Schlangenbrut und sorgen dafür, dass der Kampf gegen die Unheil bringenden Wesen nicht endet.

Daniel Ogden hat auf über 400 Seiten ein immenses Material zusammengetragen, an literarischen und ikonographischen Belegen, angefangen von den homerischen Epen über Hesiods Theogonie und die homerischen Hymnen, die attische Tragödie, Herodot, die Dichter Kallimachos und Apollonios, Ovids Metamorphosen, den Mythographen Hygin und Dionysios Periegetes, die Parömiographen, Scholia und Lexikographen bis hin zu Isidors Etymologien und dem Werk des Johannes von Antiochien im 7. Jahrhundert n. Chr. Einbezogen sind nicht nur Schlangen selbst, sondern auch schlangenartige Mischwesen, Seeschlangen und schlangenumsäumte Medusenhäupter, überhaupt alle Wesen, die eine Erscheinungsform von Schlangen aufweisen.

Die ungeheure Fülle von Material und an diesbezüglicher Literatur ist systematisch in elf Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln gegliedert: Die ersten drei beschäftigen sich mit Wesen in reiner Schlangenform (26-67), mit Schlangenmischwesen (68-115) und mit Seeschlangen (116-147). In diesen ersten Kapiteln werden die Mythen, in denen Schlangen eine prominente Rolle spielen, vorgestellt, z.B. der Kampf des Herakles gegen die Hydra, der Kampf Apollons gegen Python oder der Jasons und Medeas gegen die Schlange von Kolchis. Schlangentöter genießen eine besondere Verehrung, da sie die Menschen vom Drangsal der drachenartigen Wesen befreit haben. Apollon hat, indem er Python besiegte, den Menschen den Zugang zum Orakel ermöglicht.

In jedem der Unterkapitel wird zunächst in kurzen Grundzügen der Plot nacherzählt, dann werden in chronologischer Anordnung die Belege für einzelne Bestandteile des Mythos vorgestellt, so dass eine zeitliche Entwicklung, mögliche Veränderungen, Motivvarianten oder Rationalisierungen nachvollzogen werden können. Einbezogen sind jeweils auch Darstellungen auf Vasen, auf Fibeln, Metopen und Sarkophagen, die einen Abgleich der literarischen mit den bildlichen Wiedergaben erlauben.

Die folgenden drei Kapitel (148-246) beschäftigen sich systematisch mit einzelnen Aspekten, der genealogischen Abstammung der Schlangenwesen, mit Eigenarten ihres Äußeren wie Bartformen, mit ihrer Lebensform in Höhlen, mit ihrer Funktion als Wächter von Quellen, mit den Göttern, die Schlangen bezwungen haben und bei denen die Sieghaftigkeit über die Schlangen in die Ikonographie einbezogen wurde, mit der Kampfform durch feuerspeienden Atem, feurige Augen oder Gift, wobei die Schlangentöter häufig mit komplementären Waffen ihren Sieg erringen konnten.

Die letzten vier Kapitel (247-426) sind Schlangenheroen und -göttern gewidmet, wobei sich Ogden zunächst der Beziehung von Schlangen mit der Erde, der Unterwelt und den dort angesiedelten Mächten wie Hekate oder den Erinyen widmet, dann glückspendenden Schlangengöttern wie Zeus Meilichios und dem Agathos Daimon sowie der heilenden Macht von Schlangen, derer man sich in Asklepiosheiligtümern bediente. Es folgen ein Kapitel zu den in Gruben oder Körben innerhalb von Heiligtümern gehaltenen heiligen Schlangen und zur Übernahme des antiken Motivs des Schlangentöters in der christlichen hagiographischen Literatur und Bildtradition.

Ogdens Werk hat den Charakter eines systematisch gegliederten Handbuchs, das alle Varianten mit ihren literarischen und ikonographischen Belegen darlegt, z.B. aufschlüsselt, seit welcher Zeit und bei welchen Autoren Hydra mit drei, sechs, neun, fünfzig oder hundert Köpfen auftaucht und wann erstmals das Motiv nachwachsender Köpfe begegnet. Bei der Beschreibung des Äußeren diskutiert Ogden, ab wann Schlangenbärte nachzuweisen sind und kommt zu dem Ergebnis: "Paradoxically, serpent-crests find mention in the literary record before beards do and indeed (just) before their own first appearance in the extant iconographic record" (158).

Für eine intensive Beschäftigung mit griechischen Mythen gewährt das Buch reichlich Material, eine gute Orientierung auch für die archäologische Forschung, wenn es darum geht, Bilder einem speziellen Mythos zuzuweisen und ikonographische Details zu klären. Für historische Fragestellungen hingegen bietet das Buch wenig, da die einzelnen Varianten und Motivelemente additiv aneinandergereiht sind. Zwar gibt Ogden Hinweise auf symbolische Bedeutungen des einen oder anderen Motivs, doch lassen sich in der Regel keine nachvollziehbaren Gründe für die Variation eines Mythos ausmachen. Bezeichnend für das Buch ist, dass in der Einleitung keine Fragestellung formuliert ist und die mit "Conclusion" überschriebenen Zusammenfassungen am Ende jedes der elf Kapitel oft aus nur wenigen Zeilen bestehen, die lediglich eine Überleitung zum nächsten Kapitel darstellen. Mit Kapitel elf, der Übernahme von drachen- und schlangenartigen Wesen und von Schlangentötern wie der heilige Patrick und der heilige Georg in der christlichen Tradition endet das Werk. Den althistorischen Leser, zwar beeindruckt von der Fülle des ausgebreiteten und systematisch erschlossenen Materials, lässt das Buch ratlos zurück.

Winfried Schmitz