Arnold Nesselrath: Der Zeichner und sein Buch. Die Darstellung der antiken Architektur im 15. und 16. Jahrhundert, Ruhpolding: Verlag Franz Philipp Rutzen 2014, 223 S., 274 Abb., ISBN 978-3-447-10193-6, EUR 58,00
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Der von Arnold Nesselrath im Verlag Franz Philipp von Rutzen publizierte Band Der Zeichner und sein Buch. Die Darstellung der antiken Architektur im 15. und 16. Jahrhundert umfasst 223 Seiten und 274 Farbabbildungen. Er stellt Band 5 der Reihe "Cyriacus. Studien zur Rezeption der Antike" dar, die vom Census of Antique Works of Art and Architecture Known in the Renaissance (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften / Humboldt-Universität zu Berlin), von der Winckelmann-Gesellschaft Stendal und dem Winckelmann-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin herausgegeben wird.
Der aufwändig und ansprechend gestaltete Band gliedert sich in vier Kapitel und schließt mit einer Bibliografie, einem Register und den Abbildungsnachweisen ab. Im Vorwort erläutert der Autor, der als einer der besten Kenner der Materie gelten darf, die Entstehung und Intention des Buches. Seine Beschäftigung mit Zeichnungsbüchern liege nun "mehr oder weniger dreißig Jahre" zurück, er habe mit dem vorliegenden Band eine "eher spielerische oder anekdotische Beschäftigung mit dem Material" gewählt (9). Konkret sind die Texte aus einer Vortragsreihe hervorgegangen, die Arnold Nesselrath am 13., 14., 28. und 30. Mai 2002 im Rahmen der Leopold-Delisle-Vorträge der Bibliothèque nationale de France in Paris gehalten hat. [1] Einige der damals präsentierten Ergebnisse wurden bereits in anderen Publikationen vorgestellt. [2] Mit diesem Band liegen die Vorträge vollständig vor. Vor allem wegen der notwendigen Abbildungen habe man auf eine Publikation im Rahmen der Bibliothèque nationale de France verzichtet und einen anderen Verlag gesucht (10). Arnold Nesselrath erzählt "fokussiert auf einige, wenige spektakuläre Beispiele" (19) aus der Geschichte der Zeichnungsbücher zur Zeit der Renaissance. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stehen für das 15. Jahrhundert Francesco di Giorgio Martini und für das 16. Jahrhundert Raffael. Ihre Werke wurden "in ihrem jeweiligen künstlerischen und historischen Kontext" (19) analysiert.
Zuerst jedoch schlägt der Autor einen weiteren, kenntnisreichen Bogen und stellt Zeichnungsbücher an sich vor. Diese, so die Hinführung in Kapitel 1 "Zeichnen nach der Antike", können von verschiedenster Gestalt sein: "[...] es reicht vom Skizzenbuch bis zum sorgfältig ausgebreiteten visuellen Diskurs oder bis hin zu Arrangements in Alben von Blättern, die nicht notwendigerweise von Künstlern selbst angelegt, sondern manchmal sogar zu einem späteren Zeitpunkt oder zu einem anderen Zweck zusammengestellt wurden." (14) Anhand verschiedenster Beispiele umreißt Nesselrath die Bedeutung des Zeichnungsbuches als Medium für Künstler und Sammler. Er problematisiert den Überlieferungszustand vieler Bücher, von denen die wenigsten heute in ihren Originalumschlägen erhalten, viele jedoch in Einzelzeichnungen zerschnitten sind. Auch weist er auf die heterogene inhaltliche Zusammensetzung der Bücher hin, die aus Skizzen, Studien und Kopien bestehen können. Insofern dürfe man nicht - wie lange Zeit geschehen - einzelne Bilder, sondern müsse den jeweiligen Komplex als Gesamtes in den Blick nehmen (43-47).
Zu den frühesten Architekturzeichnungen der Renaissance gehört der Aufriss des Parthenon in Athen, den der Kaufmann Ciriaco de'Pizzicolli aus Ancona in seinem Reisetagebuch angefertigt hatte. Er war als Amateur mit Zeichnungstechniken und -methoden vertraut; so auch manche Pilger wie Gabriele Capodilista. Ihm ist die älteste zeichnerische Abbildung des Heiligen Grabes und der Grabeskirche in Jerusalem zu verdanken (25). Hauptsächlich waren es jedoch Künstler, Architekten und Antiquare, die sich den antiken Monumenten zeichnerisch näherten. Gekonnt vermittelt Nesselrath nicht nur durch die Bildanalyse, die das Augenmerk auch auf scheinbar unwichtige Details am Rande legt, sondern auch durch die episodenhafte Auswertung zeitgenössischer Schriftquellen mit welcher Intention, welchen Mitteln und unter welchen Bedingungen Zeichnungen antiker Architektur (ohne die heutigen technischen Hilfsmittel) in der Renaissance entstanden sind (28-42). Schon aufgrund dieses hohen und oftmals gefährlichen Aufwands war es einfacher, Kopien von Zeichnungen zu bekommen oder selbst anzufertigen (48-56).
Im 2. Kapitel "Das 15. Jahrhundert und Francesco di Giorgio Martini" verweist Nesselrath einleitend darauf, dass sich die Architekturzeichnungen von Malern (Perspektive) und Architekten (Orthogonalzeichnung) methodisch voneinander scheiden lassen. Dieser Umstand ist schon in den zeitgenössischen Quellen belegt. In der mittelalterlichen Tradition verwurzelt, war die Orthogonalzeichnung lange vorher bekannt und wurde auch praktiziert. Eine Erkenntnis, die sich laut Nesselrath noch nicht vollständig in der aktuellen kunsthistorischen Forschung durchgesetzt hat (63-69, 105).
Obwohl Zeichnungsbücher aus dem 15. Jahrhundert eher zufällig und keineswegs repräsentativ erhalten sind, kann davon ausgegangen werden, dass schon damals eine rege Zeichnungsaktivität bestand. Arnold Nesselrath legt dies eindrücklich anhand der Hinterlassenschaften des Künstlers, Architekten, Erforschers der römischen Antike und Verfassers theoretischer Schriften, Francesco di Giorgio Martini aus Siena, dar (73-103). Er kann als einer der "universellsten Künstler des 15. Jahrhunderts" (72) gelten, dessen Werk aufgrund der schlechten Überlieferungslage - viele seiner Zeichnungen sind nur in Zeichnungsbüchern aus dem 16. Jahrhundert überliefert - erst allmählich wieder entdeckt wurde (19, 69-72).
Im 3. Kapitel "Raffael und das 16. Jahrhundert" stellt der Autor einleitend fest, dass für diesen Zeitraum das erhaltene und erschlossene Material an Antikennachzeichnungen und Zeichnungsbüchern ungleich umfangreicher ist als zuvor. Es muss ganze Musterbibliotheken für die einzelnen Gewerke gegeben haben (113-119). Am bekanntesten ist Raffael, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts einen großen Beitrag im Bereich der Zeichnungsbücher leistete und immer wieder kopiert wurde (19). Papst Leo X. hatte Raffael beauftragt, das antike Rom grafisch zu rekonstruieren. Dieses Werk blieb unvollendet; die Bauaufnahmen, die von Raffael und seinen Mitarbeitern dafür angefertigt wurden, sind nicht mit Gewissheit identifiziert. Jedoch kann das Großprojekt anhand der Codices seiner Mitarbeiter rekonstruiert werden (121-144).
Im abschließenden Kapitel 4 "Publizieren und Sammeln" analysiert Nesselrath die technischen und ökonomischen Schwierigkeiten, die mit dem Verbreiten von Zeichnungen antiker Architektur in der Zeit des Buchdrucks einhergingen (153-173). Er geht auf die bereits seit dem 16. Jahrhundert entstandenen Sammlungen von Zeichnungsalben ein (173-180) und problematisiert die heute noch gängige Praxis im Umgang mit historischen Zeichnungsbüchern, diese entweder nach Darstellungsgattungen getrennt voneinander aufzubewahren oder in Einzelblätter aufzulösen und zu versteigern. Beide Vorgehensweisen erschweren das Verständnis für den Werkzusammenhang bzw. machen ihn kaum mehr nachvollziehbar (180, 189).
Der lesbar und unterhaltsam geschriebene Band gibt einen sehr guten Überblick über das weite Feld der Zeichnungsbücher im 15. und 16. Jahrhundert. Er ist äußerst kenntnisreich verfasst und führt klar die jahrzehntelange Beschäftigung des Autors mit dem Thema vor Augen. Dieser legt zugleich neu ausgewertetes Material vor und gibt einen guten, problemorientierten Einblick in den aktuellen Forschungsstand. Der Wert des Buches besteht - neben den klaren und präzisen Analysen - in den vielen qualitätvollen, partiell ganzseitig gedruckten Farbabbildungen.
Anmerkungen:
[1] Kurze Besprechung der Vortragsreihe: Jacqueline Biscontin, Paris, Bibliothèque nationale de France. Quatre conférences du Professeur Arnold Nesselrath sur le "Livre d'architecture à Rome au XVe siècle", (13, 14, 28 et 30 mai 2002) dans le cadre des Conférences Léopold Delisle, organisées avec le soutien d'Henri Schiller, collectionneur, bibliophile, in: Bulletin de l'Association des Historiens de l'Art Italien 8 (2001-2002), 136-137.
[2] Z.B. Arnold Nesselrath: Giovannantonio Dosio (1533-1609). Fragment eines Zeichnungsbuches, in: Barock im Vatikan - Kunst und Kultur im Rom der Päpste, 1572-1676, Ausstellungskatalog Bonn, Berlin, hg. v. der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Leipzig 2005, 228; Arnold Nesselrath: Giulio Romano. Base ionica nella Casa di Raffaelo a Roma e base dell'arco di Settimio Severo con misure, in: Simonetta Prosperi Valenti Rodinò: I disegni del Codice Resta di Palermo, Cinisello Balsamo / Mailand 2007, 52-53; Arnold Nesselrath: Il Codice Cholmondeley, in: Palladio 1508-2008. Il simposio del cinquecentenario, hgg. v. Franco Barbieri / Donata Battilotti, Venedig 2008, 140-143; Arnold Nesselrath: A Little Gift from an Old Friend. Dürer's Drawings by Frau Giocondo, in: Print Quarterly 28 (2011), 244-248.
Astrid Fendt