Rezension über:

Sharon Gregory: Vasari and the Renaissance Print, Aldershot: Ashgate 2012, XX + 460 S., 12 Farb-, 140 s/w-Abb., ISBN 978-1-4094-2926-5, GBP 70,00
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Rezension von:
Beate Reifenscheid
Ludwig-Museum, Koblenz
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Beate Reifenscheid: Rezension von: Sharon Gregory: Vasari and the Renaissance Print, Aldershot: Ashgate 2012, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 6 [15.06.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/06/22138.html


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Sharon Gregory: Vasari and the Renaissance Print

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Giorgio Vasari gilt als einer der bedeutendsten Historiografen der Kunstgeschichte. Künstlerbiografien zu schreiben und sie in einem umfassenden Kompendium zu publizieren, ist seine Erfindung und brachte noch zu Lebzeiten seinen Ruhm hervor. Seine erste Publikation datiert von 1550 (Vite ...) und wurde 1568 in einer Neuauflage noch einmal entscheidend von ihm überarbeitet und erweitert vorgelegt. Sie ermöglichte es Zeitgenossen, Künstlern, vor allem aber Sammlern, sich zu orientieren und vor allem nachfolgende Generation von Kuratoren und Sammlern vergewisserten sich immer wieder dieser authentischen Quelle. Gleichwohl standen die Vasaribiografien in dem Ruf, nur bedingt verlässlich zu sein, da nicht übersehbar war, ob dieser Kenntnis des gesamten Materials gehabt hat, ob ihm alle Quellen zugänglich gewesen sind, oder inwieweit er bei Zuschreibungen überhaupt wirklich richtig lag. Das Terrain galt zu Recht als unübersichtlich und schwierig.

Mit der vorliegenden Publikation ist es Sharon Gregory gelungen, Übersicht und Licht in eine disparate Forschungslage zu bringen. Um an die historischen Wurzeln zu gelangen, von denen auch Vasari ausgegangen sein muss, erforschte Gregory sowohl die Entstehung, Entwicklung und Produktion von Druckgrafik in der Renaissance, wobei sie sich nicht ausschließlich auf Italien, sondern auch auf Deutschland und die Niederlande stützte. Damit bezieht sie jenen Kulturraum mit ein, in dem es die größte Durchlässigkeit und gegenseitige Beeinflussung gab. Entscheidend ist auch die Tatsache, dass sie beide zu seinen Lebzeiten publizierten Ausgaben miteinander verglichen hat und jedem Detail der Argumentation Vasaris nachgegangen ist. Eine der zentralen Künstlerpersönlichkeiten der Renaissance war Raffael Sanzio (1483-1520), der bereits früh erkannte, dass er durch das Anfertigen von Druckgrafiken nach eigenen Werkerfindungen (also deren Kopie in kleinerem Format) seine Kunst entscheidend vermarkten konnte und dass durch eine Zusammenarbeit mit dem kongenialen Marcantonio Raimondi (1475-1534) die künstlerische Qualität seiner Erfindungen noch gesteigert wurde. Dies beruhte, so weist es Gregory nach, auf der direkten Kenntnis Raffaels von Druckgrafiken Albrecht Dürers, des ersten Künstlers überhaupt, der seine eigenen Werke in dieser Art verbreitet und vermarktet hat. Dessen 1498 entstandene Apocalypse zirkulierte in ganz Europa und als Raffael 1511 seine Zusammenarbeit mit Raimondi begann, entstand, beeinflusst von ihnen, eine künstlerisch vitale Druckgrafikszene in Italien. Zwischen 1550 und 1568 boomte das Gewerbe und neben den Künstlerdrucken betraf dies zudem den Buchdruck sowie jene, die für die technisch-handwerkliche Umsetzung zuständig waren, wie die Kupfer- und Holzschnittstecher. Die Nachfrage nach Druckerzeugnissen stieg rasant an, waren sie doch das geeignete Medium, um sehr rasch nicht nur Texte und Bücher, sondern auch Landkarten, Porträts und zunehmend Bildwerke in kleinem Format handlich und preiswert unter die interessierte Kundschaft zu bringen. Es entstand eine Sammlerschicht, die nicht mehr nur auf die Kurie und den Adel angewiesen war, was umgekehrt aber zugleich die Kenntnisse der Kunstwerke - auch über Landesgrenzen hinweg - beflügelte.

Gerade in der zweiten Auflage befasst Vasari sich in einem völlig neu angelegten Kapitel mit dem gesamten Spektrum der Druckgrafik, das nun nicht mehr ein Randerzeugnis für ihn ist und in deren Zentrum er Marcantonio Raimondi sieht. Dass sich dieser seinerseits seine Grundlagen über Dürers Druckgrafiken selbst beibrachte und sich an ihnen übend vervollkommnete, hatte er - so kann es Gregory nachweisen - wiederum Raffaels Rat zu verdanken. Laut der Autorin waren es mindestens 69 Dürer-Arbeiten, die Raimondi Linie für Linie nachahmte. Sie geht dabei in ihrer Untersuchung vielen entscheidenden Details nach, die bislang für die Forschung als nicht relevant erschienen, die aber durchaus exakt belegen, wie sehr die Erzählstrategie Vasaris seine einzelnen Künstlerbiografien unterschiedlich beeinflusst hat (Sichtweisen der Perspektive, da es immer der Meister gewesen sei, der auf den Kupferstecher zugegangen sei und niemals umgekehrt, was mitunter die Wahrheit verzerrt) und zugleich welcher Künstler durch wen inspiriert wurde. Dass dies immer vom Standpunkt des jeweils vorgestellten Künstlers gesteuert sei, erweist sich erst dann als entscheidend, wenn es wiederum um Zuschreibungen und die Zirkulation von druckgrafischen Blättern geht. Erst durch diese akribischen Recherchearbeiten können nun Beziehungslinien nachgewiesen werden und zugleich Zuschreibungen exakter untermauert bzw. zuweilen auch negiert werden. Dabei geht es nicht nur um die Kontakte der Künstler untereinander oder deren Vorlieben, Vorgänger anhand von Radierungen oder Holzschnitten zu studieren, sondern dankenswerterweise hat Gregory auch jenen Aspekt miteinbezogen, der sich nach Auftraggeber, Hersteller und Produzent richtet. Dabei bemerkt sie u.a., dass der Freund und frühere Assistent in Raffaels Werkstatt, Baviera, alle Druckgrafiken nach Raffaels Tod vermacht bekam und fortan als Verleger tätig wurde. Entgegen der Tatsache, dass Vasari für ihn kaum eine entsprechende Würdigung findet, betont Gregory, dass er vermutlich der erste Unternehmer dieser Art in Italien gewesen sei.

Vasaris Spektrum an Grafikern konzentriert sich nicht nur auf die große Produktivität Raffaels, sondern zieht weitere Kreise, wobei ihm - kaum anders vorstellbar - durchaus einige Fehler unterlaufen sind. So stellt er Hieronymus Cock (1510-1570) beispielsweise als Radierer dar, wohingegen er laut Gregory Verleger gewesen sei. Sie unterscheidet hier deutlich zwischen Künstler, Handwerker und Drucke-Verleger (printer-publisher). Mit dem Kreis der Drucke-Verleger eröffnet sie noch einmal einen weiteren Horizont, der neben der rein künstlerischen und handwerklichen Arbeit - welche bereits in mehreren Händen lag, die ihrerseits unmittelbar miteinander kooperiert haben - auch noch jenen hinzufügt, der insbesondere für den kometenhaften Aufstieg der Druckgrafik überhaupt verantwortlich ist. Das war zwar zum Teil zumindest wissenschaftlich hinlänglich bekannt, nicht aber in dieser Tiefe und in seinen Verbindungslinien untereinander.

Dem Grundsatz nach baut Vasari seine Bücher nach einer klassischen Genealogie auf, wobei er - so Gregory - jedoch nicht immer sauber unterscheidet zwischen den Künstlern (Malern), den Zeichnern (nach deren Werken), die gar nicht genannt werden, und den Radierern, die ihm besonders wichtig sind, wohingegen er die Verleger gar nicht in seinem Inventar listet. Auch Inventare von Sammlern werden meist unvollkommen bezeichnet (wie z.B. das berühmte, 3000 Blätter umfassende von Ferdinand Columbus). Leider kann Gregory auch nicht mehr den Nachweis führen, was sich in Vasaris Besitz selbst befunden haben mag, wenngleich ihr manche Bezüge gelingen.

Wichtige Kapitel in der Studie von Gregory über die Renaissance-Drucke sind zudem noch Vasaris Verhältnis zum illustrierten Buch gewidmet, wobei sie sich ebenfalls vornehmlich auf seine eigene Argumentation stützt. So vermag sie es, ein recht präzises Gesamtbild über die Rezeptionsmöglichkeiten von Vasari zu zeichnen, ohne damit zugleich den Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu müssen. Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass Vasari für seine eigene, zweite Buchausgabe insgesamt 144 Vignetten mit Künstlerporträts anfertigen ließ. Nur acht von den Biografien lassen solche Holzschnitte vermissen. Alle diese Porträts hat Vasari selbst oder mithilfe seines Assistenten gefertigt, wobei Gregory zudem nachweisen kann, wen der Künstler vermutlich selbst gekannt oder anhand von welchen Werken Vasari diese angelegt hat. Der venezianische Holzschnitt gilt als künstlerisch überragend für seine Zeit und an diesen knüpft Vasari selbst an.

Der von Sharon Gregory vorgelegte Nachweis der überraschend großflächig sich ausbreitenden Produktivität des Renaissancedrucks, in dessen Zentrum sie den Künstlerhistoriografen Giorgio Vasari stellt, zeigt eben auch die unterschiedlichen Bezüge dieser Entwicklung auf: Von der Historiografierung einer narrativen Gattung (Künstlerbiografie), die zugleich zu einem der wichtigsten Zeugnisse künstlerischen Wirkens und Wahrnehmens der damaligen Zeit wurde, über das Verhältnis von künstlerischer Grafik und Buchdruck und darüber hinaus die künstlerische Grafik als "Sichtbarmachung" und "Handhabbarkeit" von zumeist unzugänglichen Meisterwerken (aides-mémoires) bis hin schließlich zur großen Palette der nachfolgenden Nachahmungen von Kunstwerken durch andere (nachfolgende Generationen). Diese betrifft dann logischerweise auch die nachfolgende Rezeption der Vasarischen Zeichnungen durch Radierung von anderer Hand. Mit ihrer klaren Gliederung, der umfassenden Aufarbeitung historischer Quellen und den zahlreichen brillanten Abbildungen ist diese Studie nicht nur ein großer Gewinn für das Studium der Renaissancedruckgrafik, sondern überdies zu weiten Teilen vergnüglich und flüssig zu lesen.

Beate Reifenscheid