Beverly Mayne Kienzle / Debra L. Stoudt / George Ferzoco (eds.): A Companion to Hildegard of Bingen (= Brill's Companions to the Christian Tradition; Vol. 45), Leiden / Boston: Brill 2014, XX + 360 S., ISBN 978-90-04-26070-2, EUR 149,00
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Beverly M. Kienzle / Debra L. Stoudt, "Introduction" (1-14), bieten einen Überblick über den Forschungsstand aus anglophoner Sicht gerade zur Zeit der Vorbereitung der Heiligsprechung Hildegards und ihrer Erhebung zur Kirchenlehrerin; inzwischen wäre er zu ergänzen um Michael Embachs Conspectus der Handschriften, des Rezensenten und Maura Zátonyis Werk Glaubensheil sowie um den Ergebnisband des Mainzer Kongresses im Frühjahr 2013 (herausgegeben vom Rezensenten).
Franz J. Felten, "What do we know about the life of Jutta and Hildegard at Disibodenberg and Rupertsberg?" (15-38), bietet die englische Übersetzung eines ursprünglich in Deutsch publizierten Textes; er zeichnet die unterschiedlichen religiösen Vorstellungen Juttas und Hildegards im Kontext ihrer unterschiedlichen religiösen und familiären Herkunft nach, wobei die charakteristischen Züge beider Persönlichkeiten erkennbar werden. Franz J. Felten, "St Disibod and the History of the Disbodenberg up to the beginning of the 12th century" (39-56) greift die ältesten Zeugnisse über den heiligen Disibod auf, um diese in der Zusammenschau neu zu bewerten, wobei er beabsichtigt, zwischen den Quellen selbst und ihrer Interpretation säuberlich zu unterscheiden. Ausgehend von Hildegards Vita s. Disibodi wird die Geschichte der Mönche auf dem Disibodenberg rekonstruiert. Constant J. Mews, "Hildegard of Bingen and the Hirsau reform in Germany" (57-84) arbeitet Hildegards monastisches Profil heraus, indem er Gemeinsamkeiten und Divergenzen im Vergleich mit verschiedenen Bezugspunkten herausstellt; insbesondere macht Mews das Milieu des Disbodenbergs (Jutta, die Klause, der Konvent) für die Ausformung von Hildegards religiösem Selbststand stark. Im größeren Rahmen zählen dazu auch eine Verhältnisbestimmung zur Hirsauer Reform sowie schließlich der Umzug auf den Rupertsberg. Felix Heinzer, "Unequal twins: Visionary attitude and monastic culture in Elisabeth of Schönau and Hildegard of Bingen" (85-108) geht von den unterschiedlichen monastischen Kontexten aus, um die sich deutlich unterscheidenden Visionsstile Elisabeths und Hildegards zu verstehen; dabei erscheint derjenige Hildegards als selbständiger und kreativer, während Elisabeths Visionen eher als traditionell hervortreten. Justin A. Stover, "Hildegard, the Schools, and their critics" (109-136) unterstreicht Hildegards Affinität zu den aufkommenden Denkweisen ihres Jahrhunderts heraus und will insbesondere nachweisen, dass sie den Chartrensern verpflichtet sei; es fällt kein Wort über einen möglichen Einfluß der Viktoriner.
Beverly M. Kienzle / Travis A. Stevens, "Intertextuality in Hildegard's works: Ezekiel and the claim to prophetic authority" (137-162) stellen methodisch und inhaltlich detailliert dar, dass und wie Hildegard den Propheten Ezechiel rezipiert. Tova Leigh-Choate/William T. Flynn / Margot E. Fassler, "Hearing heavenly symphony: An overview of Hildegard's musical oeuvre with case studies" (163-192) kündigen ein klares dreiteiliges Konzept ihres Beitrages an: zunächst diskutieren sie den Forschungsstand hinsichtlich Hildegards liturgischer Gesänge (Editionen, englische Übersetzungen, Studien), gefolgt von einem neuen Versuch einer Chronologie dieser Werke (schriftliche Quellen, liturgischer Ort); schließlich wollen sie anhand einzelner Fallstudien Hildegards älteste Gesänge im Scivias eruieren. In einem weiteren Beitrag entwickelt dasselbe Autorenteam unter dem Titel "Hildegard as musical hagiographer: Engelberg, Stiftsbibliothek Ms. 103 and her songs for saints Disibod and Ursula" (193-220) Hildegards musikalische Hagiographie exemplarisch anhand einer Engelberger Handschrift. Susanne Ruge, "The theology of repentance: Observations on the Liber vite meritorum" (221-248) geht aus von der alten, aber immer wieder erneuerten Auffassung aus, bei Hildegards Visionswerken handle es sich um eine Art 'Summe', was traditionell insbesondere für den Scivias gelte; die Autorin wendet dieses Konzept hier auf den Liber vite meritorum an und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, Hildegard habe damit eine Art Bußbuch vorgelegt, das seine Leser im Spiegel einer Tugend- und Lasterlehre zur persönlichen Neuorientierung anregen wolle.
Debra L. Stoudt, "The medical, the magical, and the miraculous in the healing arts of Hildegard of Bingen" (249-272) bietet einen Forschungsüberblick über die Hildegard-Medizin, zusammen mit einer Erhebung des Status der relevanten Textausgaben (Cause et cure, Physica) und ihrer Übersetzungen; es handelt sich um eine englischsprachige Darstellung der Ergebnisse, die Laurence Moulinier und Reiner Hildebrandt mit ihren langjährigen Studien und ihren neuen Editionen erzielt haben. Michael Embach, "Hildegard of Bingen (1098-1179): A history of reception" (273-304) bietet einen umfassenden Überblick über den literarischen und handschriftlichen Einfluss, den Hildegards Schriften im Verlauf des Mittelalters bis in die Frühe Neuzeit ausgeübt haben. George Ferzoco, "The canonization and doctorization of Hildegard of Bingen" (305-316) skizziert, ebenfalls für die englischsprachige Leserschaft, die vielfältigen Bemühungen um die Heiligsprechung Hildegards und ihre Erhebung zur Kirchenlehrerin seit den siebziger Jahren, welche die päpstliche Initiative des Jahres 2010 aufgreifen und am 7. Oktober 2012 abschließen konnte. George Ferzoco, "Notes on Hildegard's 'Unknown' language and writing" (317-322) schließt sich an Barbara Newmans Übersetzungen dieser kleinen Werke Hildegards an und schlägt genuin eine sachliche Ordnung des Vokabulars vor. Bibliographie und Index folgen (323-347, 349-360). Den Band eröffnen nützliche wissenschaftlich-biographische Abstracts zu den Beiträgern (VII-IX), ein Abkürzungsverzeichnis (XI-XIII), ein Dankeswort der Herausgeber (XV-XVI), eine sehr nützliche Lebens- und Werkchronologie Hildegards (XVII-XVIII) sowie eine Karte der Heimat Hildegards am Mittelrhein (XIX).
Alles in allem stellt dieser Band einen fundierten Wegweiser zum Werk der neuen Kirchenlehrerin dar.
Rainer Berndt