Stephen Gundle / Christopher Duggan / Giuliana Pieri (eds.): The Cult of the Duce. Mussolini and the Italians, Manchester: Manchester University Press 2013, X + 286 S., einige Abb., ISBN 978-0-7190-8896-4, GBP 75,00
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Der Band bietet 16 Aufsätze sowie eine einleitende Skizze der Herausgeber und ein Nachwort des renommierten Faschismusforschers Richard J. B. Bosworth. Sie sind allesamt höchst lesenswert: teils wegen der Eröffnung neuer, teils wegen der Bündelung disparater Perspektiven auf den Duce-Kult, das heißt die Inszenierung und Selbstinszenierung Mussolinis als ein Kernstück des faschistischen Regimes, und sein Nachleben in der politischen Kultur Italiens. Mehr noch, nach der Lektüre wird der Leser der Überzeugung der Herausgeber zustimmen, dass von den Beiträgen nicht nur ein vertieftes Verständnis faschistischer Macht über Italien und die Italiener erarbeitet worden ist, sondern ein weitläufiges Verständnis für politische Personenkulte überhaupt: "In the rogues gallery of modern dictatorship, Hitler may provide the easiest point of comparison, but it is Mussolini who is the practical model." (6)
Der Band ist in vier Partien unterteilt: "The origins of a personality cult" (11-90), "The Duce and the Fascist regime" (93-158), "The iconography of the Duce" (161-224) und "After the fall of Fascism" (227-269), wozu auch das Nachwort von Bosworth (270-277) zu lesen ist. Es ist hier unmöglich, alle Beiträge intensiv zu würdigen, obwohl sie es alle wegen ihrer Qualität - durch klare Entfaltung des jeweiligen Themas, punktgenaue methodische Erwägungen sowie präzise, plausibel begründete und belegte Argumentationslinien - verdient hätten. Begnügen wir uns mit Hinweisen und schauen wir zunächst auf die Beiträge der drei Herausgeber.
Christopher Duggan (Universität Reading) untersucht die Ausgangspunkte des Duce-Kults im Zusammenhang mit dem Übergang in die faschistische Diktaturherrschaft 1925/26 und dies in einem weiteren Aufsatz vor dem Hintergrund "politischer Kulte im liberalen Italien" zwischen Nationalstaatsgründung und dem sogenannten Marsch auf Rom (11-26; 27-40). In seinem dritten Beitrag entfaltet er das Ausmaß massenhafter "Internalisierung des Duce-Kults" (129-143) von den 1920er-Jahren bis in die Weltkriegszeit anhand der millionenfach überlieferten, einst nicht ganz selten persönlich beantworteten Zuschriften an Mussolini [1] und anhand von Tagebüchern zahlreicher Italiener. Stephen Gundle (Universität Warwick) beleuchtet die mannigfachen, bald alltäglichen Übertragungen der Duce-Bilder in die damals neuartige italienische Massenkultur (72-90). Sie zeigten sich in den massenhaften Nachahmungen von Kleidung oder eben Uniformierungen, von Gestik und Mimik. Gundles anderer Beitrag weist nach, wie genau die Auftritte Mussolinis "in den Regionen" (110-128) auf die Erzeugung von Fotografien für die Presse und, immer gekonnter, Filmmaterial für die Wochenschauen hin ausgerichtet waren: der Duce inmitten seines mit ihm trotz aller lokalen Verschiedenheiten geeinten Volkes. Es ist zu empfehlen, Giuseppe Finaldis Beobachtungen zum Duce-Kult in den italienischen Kolonien und besonders in Libyen (144-158) gleich anschließend zu lesen. Giuliana Pieri (Universität London) entwirft eine Typologie der künstlerischen "Portraits des Duce" (161-177) in der zeitgenössischen Malerei und Bildhauerei, darunter Abstraktionen besonders des Modernisierungsideals Mussolini, wie sie sich wohl kein für den deutschen Führerkult werkelnder Künstler getraut hätte vorzustellen. Pieris zweiter Aufsatz verfolgt das "Schicksal" (227-240) all dieser Kunstwerke, weggestellt oder versteckt für lange Jahrzehnte, viele davon seit einem Vierteljahrhundert aber immer häufiger in Ausstellungen und seit 2009 in einem eigenen Museum zu sehen.
Die anderen Aufsätze, verfasst von meist jüngeren, aber im jeweiligen Themenfeld schon gut ausgewiesenen Geschichts-, Kunst- und Medienwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, arbeiten die literarische Konstruktion des Duce als Verkörperung der Italianität (Simona Storchi), den Ausbau seines Geburtsortes Predappio seit den späteren 1920er-Jahren zu einer nationalen Pilgerstätte (Sofia Serenelli) und Mussolinis massive Umgestaltungen Roms und seine noch viel weiterreichenden Umbauplanungen (Eugene Pooley) auf. Ferner gelten sie der fortschreitenden fotografischen Realisierung der Einzigartigkeit des Mannes (Alessandra Antola), Mussolinis Reiterstandbild in Bologna (Simona Storchi), der Präsenz Mussolinis in der populären Erinnerungskultur seit den 1960er-Jahren (nochmals Stephen Gundle) und gerade in der italienischen Fernsehlandschaft (Vanessa Roghi).
Dieser Band erweist jedenfalls, dass moderne Forschung im Sinne von "cultural turn" reichen Erkenntnisgewinn bringen kann. Solcher Gewinn ist allerdings nicht mit zweckfernen theoretisierenden und methodologischen Geschwätzigkeiten bei arroganter empirischer Dürftigkeit zu erreichen. Nicht so in diesem Band: Hier beruht der Erkenntnisgewinn auf harter Arbeit an den Quellen, wennschon an anderen oder anders befragten Quellen als bei klassischen historiografischen Ansätzen, und auf Disziplin und Geduld - und übrigens auch auf der Beachtung der älteren Studien zu den betreffenden Forschungsfeldern. Die Qualität des Bandes spiegelt die konzeptionelle Qualität des zugrundeliegenden englisch-australischen Projekts wider, initiiert und von 2006 bis 2011 kompetent betreut von Gundle, dabei unterstützt von Duggan und Pieri. Und sie beruht womöglich nicht zuletzt auf den beiden weiteren, einem größeren Publikum gewidmeten Projektzielen: der Ausstellung "Against Mussolini: Art and the Fall of a Dictator", zusammengestellt von Gundle, Pieri und Storchi, 2010 gezeigt in der Londoner Estorick Collection of Modern Italian Art, und eines dreiteiligen Dokumentarfilms, verantwortet von Vanessa Roghi: "Mussolini. The Story of a Personality Cult". Die kunstgeschichtlichen Beiträge sind dementsprechend exzellent bebildert. Bemerkenswert ist ferner die ungemein elaborierte Auseinandersetzung mit den einschlägigen italienischen Forschungsleistungen - und leider die Nichtberücksichtigung einiger beachtlicher deutschsprachiger [2] und französischer Publikationen, endlich auch das gerade zu diesem Thema höchst nützliche, in Sammelbänden ja meist vermisste Namens-, obendrein Sach- und Ortsregister (278-286).
Anmerkungen:
[1] An den eigenen Brief an Mussolini und dessen Antwort an den ungefähr Zehnjährigen erinnert sich sehr genau noch nach 70 Jahren auch der hierzulande zur Zeit wohl bekannteste italienische Schriftsteller Camilleri. Vgl. Saverio Lodato / Andrea Camilleri: Mein Leben, München 2007, 89-92.
[2] Vgl. u.a. Aram Mattioli: "Viva Mussolini!" Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis, Paderborn 2010; Wolfgang Schieder: Duce und Führer. Fotografische Inszenierungen, in: ders.: Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, 417-463; ders.: Audienz bei Mussolini. Zur symbolischen Politik faschistischer Diktaturherrschaft 1923-1943, in: Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, hg. von Petra Terhoeven, Göttingen 2010, 107-132; der letztgenannte Beitrag als Exposé zur Monografie: Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München 2013.
Wolfgang Altgeld