Bradley R. Franco / Beth A. Mulvaney (eds.): The World of St. Francis of Assisi. Essays in Honor of William R. Cook (= The Medieval Franciscans; Vol. 11), Leiden / Boston: Brill 2015, XVI + 247 S., ISBN 978-90-04-27098-5, EUR 140,00
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"Die Welt des hl. Franz von Assisi", zu der die im vorliegenden Band versammelten Autoren und ihre Beiträge hinführen, endete nicht mit dem Tod des Poverello und nicht einmal mit dem Ende jener Epoche, in der er selbst lebte, sondern reicht bis in die Gegenwart. Das ist in den USA auch William R. Cook zu verdanken, da er als Forscher und akademischer Lehrer viele Menschen, besonders im Bildungswesen seines Landes, mit Franziskus von Assisi sowie mit dessen Nachwirkung in Texten, Bildern und Bauten bekannt machte. Diese Geschichte eines großen und sein ganzes Leben bestimmenden Engagements erzählt W. R. Cook selbst gegen Ende des Bandes, dessen Beiträge ihm von seinen Schülern und Mitarbeitern gewidmet wurden.
So sehr daher die Faszination des Heiligen von Assisi überall spürbar ist, die Essays des Buches wollen wissenschaftlich auf einzelne Aspekte in dessen langer, vielfältiger Wirkungsgeschichte eingehen. Das zeigt die "Introduction" der beiden Herausgeber, in der sie die oft sehr verschiedenen Arbeiten zwischen der Zeit des Franziskus und seiner Bedeutung für heute einordnen. Wie umstritten Franziskus selbst und seine ersten Gefährten wurden, als sie sich dem machtvollen "Aufstieg des Handelskapitalismus" ihrer Zeit entzogen, macht der Beitrag von Christopher Ohan deutlich. Dass sie damit wirksam an das Gewissen ihrer Zeitgenossen appellierten, begründete die kirchliche und soziale Erfolgsgeschichte des entstehenden franziskanischen Ordens und der mittelalterlichen Bettelorden überhaupt. Das nimmt aber Ohan weniger wahr, weil er die Wertschätzung des wachsenden Fernhandels beim Dominikaner Antoninus von Florenz (1389 / 1459) und bei manchen seiner Vorläufer wie beim Franziskaner Petrus Johannis Olivi (1248 / 98) nicht mit ihrer scharfen Kritik kapitalistischer Exzesse zu verbinden versucht. Ohne die Erfolgsgeschichte des franziskanischen Ordens wäre nicht jene "frühe franziskanische Kunst" entstanden, deren "Funktionen" als Propaganda für den eigenen Orden, für dessen Gründer und für dessen heilige Stätten zu Recht Bradley R. Franco betont. Dabei kommt die künstlerische Darstellung eines alternativen Lebensprogramms bei Franziskus etwas zu kurz, wie es meines Erachtens gerade im Tafelbild der Bardi-Kapelle von Santa Croce zu Florenz erscheint, was bei anderen Abbildungen aber leider nicht leicht zu entziffern ist (zum Tafelbild der Bardi-Kapelle siehe: Titelseite des Bandes; Figure 2.6).
Einer einmaligen Szene im Leben des Franziskus wurden damals mehrere Bilder gewidmet, nämlich seiner Begegnung mit dem Sultan von Ägypten 1219 - wie sich die frühen Erzählungen darüber wandelten, so die mittelalterlichen Darstellungen. Das macht deren Interpretation bei Gregory W. Ahlquist und Alexandra Dodson schwierig. Das nun legitime Interesse an interreligiöser Begegnung müsste aber bei Franziskus meines Erachtens historisch-kritisch besser fundiert werden. Schwieriger noch ist die Deutung der Heilungswunder bei Klara von Montefalco (1268 / 1308), die Sara Ritchey mit deren psychosomatischer Transformation in Beziehung bringt, wie das bereits Ubertino von Casale (1259 / um 1330) angesichts der entdeckten Leidenszeichen Christi am Herzen Klaras mit der Heilung seines quälenden Leistenbruches erlebte. Kaum in Beziehung zu Franziskus von Assisi standen jedoch der Blick Venezianer Klarissen auf Giovanni Bellinis Malerei der Verkündigung an Maria in Santa Maria dei Miracoli oder das Spiel mit der Maske eines Bettelbruders in Dante Alighieris "Inferno 27" und in William Shakespeares "Maß für Maß", so bezeichnend in mancher Hinsicht diese Beiträge von Beth A. Mulvaney bzw. Ronald B. Herzman sein mögen.
Intensiv um die franziskanische Frage nach der historischen Gestalt des Franziskus und der religiösen Deutung des Heiligen von Assisi geht es aber in den letzten Beiträgen des Buches. Denn diese Frage stellte sich mit dem neuen Blick der Moderne auf Franziskus von Assisi, wie ihn die Arbeiten von Paul Sabatier um die Wende zum 20. Jahrhundert eröffneten. So konnte der nicaraguanische Dichter Rubén Darío die Legende der Fioretti über den "Wolf von Gubbio" als letztlich gescheiterte Friedensstiftung des Heiligen modernistisch umdichten (Weston L. Kennison). Dagegen lässt im anderen Kontext der modernen brasilianischen "Igreja da Pampulha" zu Belo Horizonte / Minas Gerais der Künstler Cándido Portinari die Zähmung des Wolfs als universales Friedenssymbol auf der Kirchenfassade erscheinen (Mary R. McHugh). Schätzt man mit Paul Sabatier diese Legende als historisch kaum glaubwürdig ein, darf sie vielleicht mit großen Erwartungen in Beziehung gebracht werden, die viele Menschen mit Franziskus von Assisi verbinden. Ganz gegensätzlich können freilich moderne Interpretationen des Heiligen ausfallen, wie das Daniel J. Schultz beim zentralen Armutsanliegen des Franziskus am Beispiel des Theologen Leonardo Boff und des Soziologen Kenneth Baxter Wolf darstellt. Während Boff in diesem Armutsanliegen die Option für eine umfassende Befreiung aus Not und Unterdrückung sieht, erkennt Wolf darin den Versuch, die Not anderer ideologisch den eigenen religiösen, sozialen und ökonomischen Interessen dienstbar zu machen. Beides Mal wird die einfache Arbeit ausgeblendet, die nach einem keineswegs spektakulären Befund der neueren Forschung, besonders seit David Flood, die ökonomische und soziale Basis der frühen franziskanischen Bewegung war. Nicht nur hier, sondern auch bei den folgenden Beiträgen über die Verpflichtung zur Armut nach Franziskus (John A. Downey) und über dessen interkulturelle und generationsübergreifende Einsichten (John Hart) müsste historisch-kritisch genauer nach dem Fundament dieser Deutungen im Leben des Franziskus von Assisi selbst gefragt werden.
So sympathisch manche Interpretationen anmuten, sie scheinen eher aktuelle Erwartungen an den Heiligen von Assisi zum Ausdruck zu bringen, als dass sie den Poverello selbst zur Sprache kommen lassen. So stellt dieses Buch mit seinem erfreulichen Engagement und in seiner erstaunlichen Vielseitigkeit die franziskanische Frage neu auf den Prüfstand, ohne aber meines Erachtens ihre Lösung entscheidend voranzubringen. Wer jedoch die oft anregenden Arbeiten einzelner Autoren näher kennen lernen möchte, findet Titel der Essays und Angaben zu ihren Verfassern im Verzeichnis der "Contents" und in der "List of Contributors" bereits am Anfang des Bandes. Eine "Select Bibliography" sowie ein "Index" von Namen und inhaltlichen Stichworten am Ende mehren noch den Nutzen dieses Buches für alle, die von der vielfältigen Wirkungsgeschichte des Heiligen von Assisi Inspiration erwarten.
Johannes Schlageter