Birgit Vierling: Kommunikation als Mittel politischer Mobilisierung. Die Sudetendeutsche Partei (SdP) auf ihrem Weg zur Einheitsbewegung in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1933-1938) (= Studien zur Ostmitteleuropaforschung; 27), Marburg: Herder-Institut 2014, X + 592 S., ISBN 978-3-87969-382-5, EUR 49,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Birgit Vierling untersucht in ihrer umfangreichen Studie, die im Jahr 2011 an der Universität Regensburg als Dissertation angenommen wurde, wie die Sudetendeutsche Heimatfront (SHF) - später Sudetendeutsche Partei (SdP) - es in den fünf Jahren ihrer Existenz zwischen 1933 und 1938 schaffen konnte, die große Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung der Tschechoslowakei für sich zu gewinnen. Gegründet wurde die Heimatfront durch den Turnlehrer Konrad Henlein, bereits 1935 konnte sie, nun unter ihrem geänderten Namen "Sudetendeutsche Partei", über 1,2 Millionen Stimmen auf sich vereinen. Auch nach 1935 konnte die Partei, trotz heftiger Flügelkämpfe, ihre Vormachtstellung unter den deutschen Parteien weiter ausbauen und zählte 1938 über eine Million Mitglieder. Nach dem Anschluss der deutsch besiedelten Gebiete an Deutschland wurden die SdP und ihre Mitglieder in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) eingegliedert, Henlein erhielt den Posten des Gauleiters für das Sudetenland.
Die SdP war bereits häufiger Gegenstand von Forschungsarbeiten, bislang konzentrierten sich die Untersuchungen jedoch, wie auch Vierling feststellt, auf eine vermutete ideologische, personelle und finanzielle Abhängigkeit der SdP von der NSDAP und anderen reichsdeutschen Akteuren. Der Versuch, die systemimmanenten Ursachen für den Erfolg der Partei in der Tschechoslowakei zu analysieren, unterblieb jedoch bisher. Diese Lücke möchte Vierling mit ihrer Dissertation füllen. Sie stellt dazu die Frage, warum und mit welchen Mitteln es der SHF/SdP gelang, derart viele Menschen zu mobilisieren und diese langfristig an sich zu binden. Die Antwort darauf vermutet die Autorin in der Kommunikation der Partei mit ihren Wählern. Sie muss jedoch eingestehen, dass die Perspektive der Rezipienten aufgrund der unzureichenden Quellenlage gar nicht in die Analyse mit einfließen könne. Da aber politische Kommunikation "von oben nach unten" erfolge und die Wähler eher antizipatorisch denn als gleichberechtigte Kommunikationspartner auftreten würden, reiche es, den Informationsfluss von der Partei zum sudetendeutschen Wahlvolk zu betrachten (4).
Nach einer knappen, aber alle Aspekte abdeckenden Einführung in die Situation der Deutschen in der Tschechoslowakischen Republik im zweiten Abschnitt folgt dann im dritten Kapitel eine ausführliche Rekonstruktion der Entstehung der SHF/SdP, eine Beschreibung ihrer Strukturen, ihres Programms und ihres Personals. Auch die Person Henleins, des "Führers der Bewegung", stellt Vierling in einem Unterkapitel vor (82). Auf knappen drei Seiten folgt sie hierbei den vorherrschenden klassischen Interpretationsmustern von Henlein als "schwachem Führer", der ideologisch unentschieden gewesen sei (83).
In einem gesonderten Unterkapitel widmet sich die Verfasserin dem Begriff der "Sudetendeutschen Volksgemeinschaft" (101). Die Partei gebrauchte diesen Begriff als zentrales Element ihrer Propaganda. Vierling zieht den Vergleich zur Nutzung der "Volksgemeinschaft" durch die NSDAP in Deutschland und zeigt Unterschiede auf. So habe der Begriff in der sudetendeutschen Bevölkerung bereits vorhandene Wunschvorstellungen aufgegriffen. Leider geht Vierling hier nicht näher auf diesen unter den Deutschen in Böhmen und Mähren verbreiteten Diskurs ein, sie verweist lediglich auf die Nutzung des Begriffes durch Henleins Mitstreiter Heinz Rutha bereits in den 1920er-Jahren. Ein Exkurs zu den Auseinandersetzungen zwischen Tschechen und Deutschen im 19. Jahrhundert um Sprache und Nation hätte deutlicher machen können, warum die Vorstellung einer alle Deutschen der Tschechoslowakei umfassenden Volksgemeinschaft bei ebendiesen auf fruchtbaren Boden fiel. Auch eine Einbettung in die umfangreiche Forschungsdebatte zum Begriff der "Volksgemeinschaft" unterbleibt leider an dieser Stelle.
Interessant ist, dass Vierling auch den Geschlechteraspekt im Diskurs über die "Volksgemeinschaft" beleuchtet. So seien die Funktionärinnen der Partei ermahnt worden, "nicht mit den Männern um politische Erfolge, Ruhm oder Talent zu wetteifern, sondern still und stolz an deren Seite zu stehen" (111). Von den Männern sei hingegen erwartet worden, eine Familie zu gründen. Der Wille zum Kind galt demnach als "völkische Verpflichtung", um das Aussterben des Volkes zu verhindern. Vierling kommt auf den Begriff "Volksgemeinschaft" und dessen Wirkung im sechsten Kapitel zurück, dort untersucht sie die diskursiven Praktiken der SHF/SdP.
Das eigentliche Herzstück der Arbeit ist das vierte Kapitel. Hier geht Vierling der Parteikommunikation in all ihren Nuancen nach. Im Fokus stehen die Akteure und die zuständigen Parteistellen, aber auch die Organe, Publikationen sowie Flugblätter und Plakate. Die Autorin zeichnet hier anhand zahlreicher Quellen nach, wie effizient der Presseapparat der Partei arbeitete, welche Diskurse und Motive kreiert und wie diese dann nach unten weiter kommuniziert wurden. Allerdings wird aufgrund der akribischen Analyse auch deutlich, wie sehr ihrer Darstellung die Perspektive der Empfänger dieser Propaganda fehlt. Ob also die Motive der Plakate (einige sind im Anhang farbig abgedruckt), die Anzahl der Flugblätter oder der Inhalt der Parolen den Ausschlag gaben, die Partei zu wählen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
Im fünften Kapitel folgt dann eine Analyse des Wahlkampfs der SHF/SdP. Auch hier kann Vierling ihre Argumentation wieder auf umfangreiches Quellenmaterial stützen. So zeigt sie überzeugend, dass das hohe Mobilisierungspotenzial der Partei auch darauf zurückzuführen war, dass sie den einfachen Parteimitgliedern Verantwortungsgefühl verlieh. Dabei erweckte die SHF/SdP den Eindruck, dass es auf jeden Einzelnen ankomme, um den Fortbestand der Volksgruppe zu sichern (409). Durch die Einbindung möglichst vieler Mitglieder in den Wahlkampf und das gleichförmige Auftreten der Mitglieder sei der Eindruck erweckt worden, die propagierte "Volksgemeinschaft" existiere bereits durch die Mitarbeit in der Partei. Leider finden sich in diesem Kapitel einige Wiederholungen aus anderen Abschnitten, jedoch sind diese wohl unvermeidlich, zum Beispiel bei der Beschreibung der Wahlplakate und Parolen. Etwas aus dem Konzept der Studie fällt das sechste Kapitel. Hier geht Vierling auf die Diskurse der Partei ein. Die durchaus gefällige Analyse wäre jedoch besser in den vorangegangenen Kapiteln an den jeweils passenden Stellen integriert worden, um weitere Wiederholungen zu vermeiden.
Generell ist die vorliegende Arbeit ein Meilenstein in der Forschung zur Geschichte der Deutschen in der Tschechoslowakei. Es ist die erste Studie, die auf ausführlicher Quellenbasis nicht die Frage nach der ideologischen Ausrichtung der Partei stellt, sondern ganz konkret die Partei selbst, ihre Akteure und ihre Strategien, in den Blick nimmt. Die Studie kann leider nicht die Antwort auf die selbstgestellte Frage nach den eigentlichen Gründen für den Erfolg der SHF/SdP liefern, dazu fehlt einfach die Perspektive der Adressaten. Da diese allerdings auch zukünftig schwer zu erfassen bleiben wird, stellt Vierlings Arbeit die bestmögliche Annäherung an eine Antwort auf die Frage nach dem Warum dar. Jedoch verschenkt die Autorin viel durch die Titelgebung: Warum der eigentliche Forschungsgegenstand, die SdP, im Untertitel versteckt wird, ist unverständlich. Die Studie analysiert schließlich die Sudetendeutsche Partei und ihren Erfolg, sie ist keine theoretische Abhandlung über politische Kommunikation.
Marco Zimmermann