Rezension über:

Sven Felix Kellerhoff: "Mein Kampf". Die Karriere eines deutschen Buches, Stuttgart: Klett-Cotta 2015, 367 S., ISBN 978-3-608-94895-0, EUR 22,95
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Rezension von:
Roman Töppel
München
Empfohlene Zitierweise:
Roman Töppel: Rezension von: Sven Felix Kellerhoff: "Mein Kampf". Die Karriere eines deutschen Buches, Stuttgart: Klett-Cotta 2015, in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 12 [15.12.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/12/27856.html


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Sven Felix Kellerhoff: "Mein Kampf"

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Noch bevor im Januar 2016 die kritische Edition von "Mein Kampf" erscheint, die seit 2012 vom Institut für Zeitgeschichte in München vorbereitet wird, legt nun der Berliner Journalist Sven Felix Kellerhoff eine Monografie über Hitlers "Mein Kampf" vor. Kellerhoff ist der Ansicht, dass "Mein Kampf" in der deutschsprachigen Forschung bislang "eine Art schwarzes Loch" sei (12, 314). Das ist reichlich hochgestochen - zum einen, da "Mein Kampf" nicht verboten und Historikern als Quelle stets zugänglich war; zum anderen, weil bereits eine ganze Reihe von Arbeiten über die Geschichte und den Inhalt von Hitlers Buch vorliegt. Das Standardwerk von Othmar Plöckinger und die textimmanente Interpretation von Barbara Zehnpfennig nennt Kellerhoff selbst. [1] Daneben gibt es noch weitere ältere Arbeiten, die sich mit "Mein Kampf" auseinandersetzen, etwa Eberhard Jäckels und Swantje Krämers Studien über Hitlers Weltanschauung oder das Buch "Fatale Ignoranz" von Karl Raab und Ralf Vierthaler. [2]

Kellerhoff bietet zunächst einen Abriss des Inhalts von "Mein Kampf" und betont zu Recht, dass Hitlers Hauptideologeme der Judenhass und der Kampf um "Lebensraum" im Osten gewesen seien. Danach folgt eine knappe Beschreibung der Entstehung von "Mein Kampf". In seinem dritten Kapitel unternimmt Kellerhoff einige Streifzüge durch Hitlers Quellen, wobei ihm hauptsächlich die Monografie von Timothy Ryback als Vorlage dient. [3] Anschließend weist Kellerhoff auf Hitlers Selbststilisierungen in "Mein Kampf" hin, wenn er seine Zeit in Wien, München und als Soldat im Ersten Weltkrieg beschreibt. Auch hier betritt Kellerhoff kein Neuland, da zu diesen Themen bereits ausführliche Darstellungen von Othmar Plöckinger, Anton Joachimsthaler, Brigitte Hamann und Thomas Weber vorliegen, auf die sich Kellerhoff auch bezieht. [4]

Im Kapitel über die zeitgenössische Kritik an "Mein Kampf" weist Kellerhoff auf einige Prominente wie Gerhart Hauptmann hin, die Hitlers Buch schon vor 1945 lasen und durchaus ernst nahmen. Er liefert damit einen weiteren Beweis gegen die auch heute noch weit verbreitete Ansicht, "Mein Kampf" sei damals fast von niemandem gelesen worden. [5] Dennoch sollte nicht der Umkehrschluss gezogen werden, jeder sei damals mit dem Inhalt von "Mein Kampf" vertraut gewesen und hätte wissen müssen, was ab 1933 auf Deutschland und Europa zukam. Zu Recht merkt Kellerhoff zu den Lesern von "Mein Kampf" an: "Allerdings lässt sich gar nicht feststellen, wie viele davon Mein Kampf verstanden und erstgenommen haben." (241)

In weiteren Kapiteln geht Kellerhoff beispielsweise darauf ein, dass Hitler sein Buch nicht nur aus politischen und propagandistischen, sondern auch aus finanziellen Gründen schrieb. Denn er hatte Schulden, als er in der Festung Landsberg als Häftling einsaß. Hitlers Buch, so Kellerhoff, sei kein ausformuliertes politisches Programm gewesen, habe jedoch die Grundzüge seiner Weltanschauung dargelegt. Die oft zitierte, berüchtigte Stelle, an der Hitler schreibt, man hätte während des Ersten Weltkriegs 12.000 Juden durch Giftgas beseitigen sollen, sieht Kellerhoff ebenso wie viele Holocaust-Forscher noch nicht als direkten Verweis auf Auschwitz. [6]

Originell und über das bislang Bekannte hinausgehend ist das Kapitel über den Streit um eine kommentierte Edition von "Mein Kampf". Kellerhoff verweist darauf, dass es bereits 1969 erste Editionsvorhaben gab. Anfang der 1980er Jahre wollte dann Eberhard Jäckel eine kritische Edition von "Mein Kampf" herausbringen; Ende der 1990er Jahre machte sich Ian Kershaw dafür stark. Doch alle diese Vorhaben scheiterten am Widerstand des Bayerischen Finanzministeriums, dem Rechteinhaber an Hitlers Buch. Nichtsdestotrotz gingen die Bemühungen weiter: 2008 forderte Hans-Ulrich Wehler eine kritische Edition und wurde dabei vom Vorsitzenden des Zentralrats der Juden unterstützt. Die bayerischen Politiker blieben jedoch hart, und wer sich bislang mit dem vollständigen Text von "Mein Kampf" beschäftigen wollte, musste auf die in Bibliotheken verfügbaren Originalausgaben zurückgreifen, den Text aus dem Internet herunterladen oder das Buch antiquarisch erwerben. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, "Mein Kampf" sei ein verbotenes Buch, ist weder der Verkauf oder Erwerb in Antiquariaten und auf Flohmärkten strafbar, noch der Besitz der alten Ausgaben, von denen sich noch unzählige im Umlauf befinden.

Als Kritikpunkt sei angemerkt, dass Kellerhoff nicht immer auf dem allerletzten Stand der Forschung ist: So ist die Ansicht, Hitler habe als Soldatenrat auf der Seite der Münchner Räterepublik gestanden (90, 94), durch die Forschungen von Othmar Plöckinger ebenso widerlegt wie die Behauptung, Hitler habe sein Eisernes Kreuz I. Klasse dem jüdischen Regimentsadjutanten Hugo Gutmann zu verdanken gehabt (124). [7] Die inhaltliche Überarbeitung für die erste "Volksausgabe" von 1930 wurde nicht vom Eher-Verlag vorgenommen, wie Kellerhoff meint (166), sondern von Hitlers Privatsekretär Rudolf Heß. [8]

Insgesamt hat Kellerhoff mit seiner Geschichte von "Mein Kampf" dennoch ein fundiertes, solide recherchiertes Buch vorgelegt, in dem er nicht nur bereits von anderen Forschern Übernommenes tradiert, sondern auch eine gründliche eigene Beschäftigung mit Hitlers Text erkennen lässt, etwa wenn er wiederholt auf Widersprüche in Hitlers eigener Darstellung verweisen kann (45, 92, 139). Kellerhoffs Studie schließt zwar kein "schwarzes Loch", denn sie bietet fast nichts Neues. Aber sie fasst die Forschungen der letzten Jahre über Hitler, sein Buch und seine Selbststilisierung in frisch und flüssig geschriebener Form gut zusammen.


Anmerkungen:

[1] Barbara Zehnpfennig: Hitlers Mein Kampf. Eine Interpretation, 3. Auflage, München 2006; Othmar Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers "Mein Kampf" 1922-1945, 2. Auflage, München 2011.

[2] Eberhard Jäckel: Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, 4. Auflage, Stuttgart 1991; Karl Raab / Ralf Vierthaler: Fatale Ignoranz. Hätten sie doch nur Hitlers Bekenntnisbuch "Mein Kampf" studiert!, Norderstedt 2005; Swantje Krämer: Hitlers Weltanschauung in "Mein Kampf". Von der Genese zur Manifestation, Wiesbaden 2010.

[3] Timothy W. Ryback: Hitlers Bücher. Seine Bibliothek - sein Denken, Köln 2010.

[4] Anton Joachimsthaler: Hitlers Weg begann in München 1913-1923, München 2000; Brigitte Hamann: Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 2004; Plöckinger, Geschichte eines Buches; Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Ersten Weltkrieg - Mythos und Wahrheit, Bonn 2012.

[5] Vgl. dazu auch Roman Töppel: "Volk und Rasse". Hitlers Quellen auf der Spur, in: VfZ 64 (2016), 1-35, hier 4f. (i. E.).

[6] Diese Passage von "Mein Kampf" haben die Herausgeber der kritischen Edition ausführlich mit Frank Bajohr, Giles Bennett und Andrea Löw vom Zentrum für Holocaust-Studien des Instituts für Zeitgeschichte diskutiert.

[7] Vgl. Othmar Plöckinger: Unter Soldaten und Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Militär 1918-1920, Paderborn u.a. 2013, 16, 30, 38f., 44f., 86-91.

[8] Vgl. Volker Ullrich: Adolf Hitler. Biographie. Bd. 1: Die Jahre des Aufstiegs 1889-1939, Frankfurt a. M. 2013, 888, Anm. 78.

Roman Töppel