Carl Alexander Krethlow (Hg.): Hofjagd, Weidwerk, Wilderei. Kulturgeschichte der Jagd im 19. Jahrhundert, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015, 276 S., 25 Farbabb., ISBN 978-3-506-78258-8, EUR 39,90
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Martin Knoll: Umwelt - Herrschaft - Gesellschaft. Die landesherrliche Jagd Kurbayerns im 18. Jahrhundert, St. Katharinen: Scripta Mercaturae Verlag 2004
Elisabeth Vavra (Hg.): Der Wald im Mittelalter. Funktion - Nutzung - Deutung, Berlin: Akademie Verlag 2008
Norbert Schindler: Wilderer im Zeitalter der Französischen Revolution. Ein Kapitel alpiner Sozialgeschichte, München: C.H.Beck 2001
Der vom Berner Historiker Carl Alexander Krethlow herausgegebene Aufsatzband behandelt die Kulturgeschichte der Jagd im langen 19. Jahrhundert. 'Kultur' ist dabei im umfassenden Sinne zu verstehen. Die Beiträge zeigen, welche Wandlungen die Jagd durch die Umwälzungen in Herrschaft, Recht, Sozialstruktur, Wirtschaft und Technik damals erfahren hat und welche Einflüsse von ihr auf das gesellschaftliche Leben ausgingen. Im Mittelpunkt steht der deutschsprachige Raum. Das Spektrum an Themen reicht von Jagdrecht, Jagdformen, Jagdwaffen und Jagdhunden über Motive, Milieus und soziale Herkunft der Jäger bis hin zur "Jagd in der Trivialliteratur" und zur "Jagd als Ursprung moderner Sportarten". Der Band möchte nicht nur Historiker, sondern eine breite Leserschaft - auch den "aktiven Jäger" (8) - erreichen. Das dürfte gelingen. Denn die Texte lesen sich gut, sind reich bebildert, die Bemerkungen zu Forschungsstand und -diskussionen kurz gehalten.
Marcel Berni legt mit seinem Überblick "Das Goldene Zeitalter? Die europäische Jagd im 18. Jahrhundert" die Grundlagen. Er beschreibt neben fürstlichen und adeligen Jagdformen wie Beiz-, Parforce- und Eingestellter Jagd auch die Methoden der im Volk beliebten Vogeljagd. Das Fragezeichen hinter dem Goldenen Zeitalter begründet er mit tierquälerischen Praktiken wie dem beliebten Fuchsprellen und mit dem für die adeligen Herren und Damen gefahrlosen massenhaften Abschlachten von Wild bei den Eingestellten Jagden.
Die beiden nächsten Beiträge gehen auf die Unterschiede zwischen Frankreich, Großbritannien und Russland im 19. Jahrhundert ein. Von Beatrice Kaufmann ist zu erfahren, dass in Frankreich die Chasse à tir (zu Fuß mit Schusswaffen auf Niederwild) und die Chasse à courre (Hetzjagd mit Pferden auf Hochwild, Erlegen der Tiere mit Hirschfänger oder Saufeder) vorherrschten, auf den britischen Inseln hingegen das Foxhunting und die Niederwildjagd auf Vögel. Letztere entwickelte sich im Laufe des Jahrhunderts mehr und mehr zu einem Sport, dem "Shooting". Die Unterschiede zwischen beiden Ländern führt Kaufmann auf den Traditionsbruch durch die Französische Revolution und andere Sozialstrukturen zurück. Diesseits und jenseits des Kanals gewann die Eisenbahn an Bedeutung auch für die Jagd. Sie brachte die Jäger in weit entfernte Reviere und half neue Jagdgebiete, z. B. das wildreiche schottische Hochland, zu erschließen. Hannes Theinhardt zeigt, wie heterogen die Jagd in Russland war. In Zentralrussland war sie für den Adel, im Baltikum für den Adel und das städtische Bürgertum eine Freizeitbeschäftigung. Der Zar hielt noch repräsentative Hofjagden ab, ging aber auch mit wenigen Begleitern auf die Pirsch. Nikolaus II. suchte damit selbst in Zeiten von Krieg und Revolution den lästigen Regierungsgeschäften und der bedrohlichen Realität zu entfliehen. In Sibirien hingegen entwickelten Berufsjäger eigene Jagdtechniken und Rituale sowie einen besonderen Ehrenkodex. Sie jagten vor allem Bären, Wölfe, Elche und kleinere Pelztiere und versorgten den russischen Pelzhandel, einen wichtigen, international vernetzten Wirtschaftszweig, mit Fellen.
Die folgenden Beiträge richten den Fokus auf Deutschland, Österreich und die Schweiz. Marcel Berni verfolgt den Wandel der Jagdkunde von einer Hilfswissenschaft im Dienst der Forstwirtschaft zu einer eigenständigen Disziplin, die - getragen von Jagdvereinen und jagdlichen Zeitschriften - außerhalb der institutionalisierten Lehre und Forschung betrieben wurde. Carl Alexander Krethlow betont die "geradezu explosionsartige Popularisierung der Jagd" (87) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er beschreibt die Entstehung eines neuartigen Jagdmilieus, in dem Adelige, wohlhabende Bürger und Forstbeamte in privater Geselligkeit und in Vereinen zusammenfanden, und er breitet deren höchst unterschiedliche Motive aus: sportliche Betätigung, Wertschätzung der Natur, Ablenkung von ländlicher Langeweile, Kontaktanbahnung und Beziehungspflege, Bewahrung traditioneller Werte in einer sich rasch verändernden Welt. Ramona Burger berichtet von kaiserlichen Jagdpraktiken und ihren Auswirkungen auf das Ansehen der Herrscher. Franz Joseph I. fand Anerkennung als naturverbundener, waidgerechter Jäger, der die Pirsch, den einsamen Ansitz und die physisch anspruchsvolle Hochgebirgsjagd liebte. Kaiser Wilhelm II. hielt zwar an den repräsentativen Hofjagden fest, bevorzugte persönlich aber die Pirsch- und Treibjagd. Beide Kaiser nutzten das Weidwerk sowohl zur Flucht vor Regierungspflichten und höfischem Zeremoniell als auch für politische Zwecke und zur Pflege ihrer Familienbande.
Der Sammelband verspricht in seinem Titel neben der Hofjagd und dem Weidwerk auch die Wilderei zu behandeln. Doch zu ihr gibt es, abgesehen von kurzen Hinweisen bei den anderen Autoren, nur den Beitrag von Marchet Notegen. Und dieser leidet darunter, dass das Thema (deutschsprachiger Raum, langes 19. Jahrhundert) viel zu weit gefasst ist, um den "relativ dürftigen Forschungsstand" (121) durch eigene Quellenarbeit ausgleichen zu können. Kein Wunder, dass die Darstellung sprunghaft bleibt und die verschiedenen Länder oder Gebiete keine klaren Konturen gewinnen. Hinzu kommen falsche oder fragwürdige Aussagen: So waren es bereits die Merowinger und nicht erst der Karl der Große, die damit begonnen haben, die freie Jagd einzuschränken (121). Im 19. Jahrhundert "stark einsetzende Waldrodungen" (130) mag es vereinzelt gegeben haben, sind aber keine generelle Erscheinung. Und es bleibt rätselhaft, wie Notegen trotz wiederholter Klage über fehlende präzise Angaben zu einem Durchschnittsalter der Wilddiebe im 19. Jahrhundert von rund 31 Jahren gelangt (132f.). Mängel wie diese erschüttern das Vertrauen in den Text und legen es nahe, sich besser gleich den zitierten Arbeiten oder den Quellen zuzuwenden.
Judith Cormier beobachtet in ihrem kurzen Beitrag zu "Jägerinnen" gegenläufige Tendenzen: Die vormoderne adelige Tradition kannte durchaus jagende Frauen, das bürgerliche Frauenideal des 19. Jahrhunderts widersprach jedoch einer solchen Betätigung und verstärkte auch beim Adel die männliche Dominanz. Im Wilhelminischen Deutschland wiederum nahm insbesondere beim Landadel die Beteiligung der Frauen an der Jagd sprunghaft zu. Wie Tobias Haudenschild unter der Überschrift "Jagd und Militär" berichtet, wurden seit den Napoleonischen Kriegen Jägertruppen bevorzugt aus dem Kreis der Berufsjäger und Förster rekrutiert. Dasselbe gilt für Scharfschützen, wie sie systematisch erstmals im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg eingesetzt wurden. Verstörend sind Zitate aus Selbstzeugnissen von Scharfschützen und Jagdfliegern des 1. Weltkriegs, die zeigen, wie sehr in ihrem Denken, Fühlen und Handeln die Jagd auf Wild und die auf Menschen miteinander verschmolzen.
Die im späten 18. Jahrhundert einsetzende Uniformierung des staatlichen Jagd- und Forstpersonals diente, so Mauro Bolzern in seinem Beitrag über "Jagd und Mode", mehreren Zwecken: Mit ihr ließ sich der Rang der Beamten kennzeichnen, ihre Autorität bei der Wahrnehmung waldpolizeilicher Aufgaben stärken und die Macht der Fürsten auch im äußeren Erscheinungsbild der Forstleute demonstrieren. Die Freizeitjäger ließen sich von der Uniformierung der Staatsdiener nicht beeinflussen, sondern lehnten sich in Österreich und Bayern an die bäuerliche Tracht an. Im sonstigen Deutschland und in der Schweiz unterschied sich ihre Kleidung vom gängigen Straßenanzug nur durch ihre grünliche Farbe und groben Stoffe. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts begannen viele Freizeitjäger auch im Alltag Teile ihrer Jagdkleidung zu tragen. Diese wurde "äußere(s) Erkennungsmerkmal des ländlichen, politisch konservativen, oft adeligen Gutsbesitzers." (186)
Winfried Freitag