Angelika Benz: Handlanger der SS. Die Rolle der Trawniki-Männer im Holocaust, Berlin: Metropol 2015, 309 S., ISBN 978-3-86331-203-9, EUR 24,00
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In dem von NS-Deutschland besetzten Europa machten Deutsche zahlenmäßig nur eine kleine Gruppe der sich am Holocaust beteiligenden Akteure aus, obwohl sie den Prozess der Judenvernichtung in den Gang gesetzt hatten und mehr oder weniger kontrollierten. Ohne zahlreiche frei- und unfreiwillige Kollaborateure in den lokalen Verwaltungen, Judenräten, Konzentrations- und Vernichtungslagern sowie sich durch ihre Passivität am Geschehen beteiligende Beobachter hätten die Nationalsozialisten weder mehrere Länder längerfristig okkupieren noch den Judenmord so perfektionistisch und umfassend durchführen können. Angelika Benz geht einer dieser Tätergruppen - den Trawniki-Männern - nach und legt eine interessant geschriebene Studie vor. Obwohl in ihrer Monographie eine deutschzentrierte Perspektive dominiert, die die Geschichte des Holocaust im Kontext des Nationalsozialismus verordnet und den Judenmord in erster Linie als ein Bestandteil der deutschen und nicht der jüdischen, ukrainischen, europäischen oder transnationalen Geschichte versteht, gelingt es der Autorin die Komplexität der Handlungsmöglichkeiten der Trawniki-Männer innerhalb des NS-Systems aufzuzeigen und ihre Rolle in der Schoah durchaus überzeugend zu erklären.
Benz fängt die Erzählung mit dem Generalplan Ost und dem Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion an, bei dem die Deutschen zwischen 2,6 bis 3,3 Millionen der gefangenen Rotarmisten sterben ließen. Einigen wenigen dieser Gefangenen, die "besonders vertrauenswürdig erschienen", wurde angeboten, für die Deutschen zu arbeiten, wodurch sie dem Hunger- oder Erfrierungstod entgehen konnten. Infolge dieser Aktion wurden 4000 bis 5000 Rotarmisten in einem SS-Ausbildungslager in dem Dorf Trawniki bei Lublin ausgebildet. Die für den SS-Einsatz gewonnenen Rotarmisten waren junge Männer im Alter von 19 bis 36 Jahren, die oft aus einfachen Verhältnissen kamen. Die größte Gruppe unter ihnen machten Ukrainer und Volksdeutsche aus, die wegen ihrer angeblichen Loyalität bevorzugt behandelt wurden. Des Weiteren fanden sich unter den Trawniki-Männern Litauer, Esten, Letten, Russen, ein Bulgare und ein Rumäne. Ab Herbst 1942 wurden auch polnische und ukrainische Zivilisten aus dem Generalgouvernement zu Trawniki-Männern ausgebildet (48-52).
Die in Trawniki rekrutierten Männer bildeten eine Schicht zwischen den Arbeitsjuden und ihren deutschen Vorgesetzten. Sie erhielten kostenlose Verpflegung, wurden medizinisch versorgt, verfügten über eine kleine Besoldung und konnten auch mit Urlaub oder Ausgang belohnt werden. Im Falle eines Vergehens oder einer Dienstverweigerung drohte ihnen eine Prügelstrafe oder bis zu 21 Tage Arrest. Einige Vorgesetzte erschossen Untergebene willkürlich wegen verschiedener Vergehen, andere dagegen betrachteten sie als "unsere Kameraden", die sich freiwillig zum Dienst gemeldet hätten (91, 98). Bei dem Aufstand in Sobibór flüchten einige mit den Häftlingen, andere dagegen schossen von den Wachtürmern auf die Deserteure (169-171). Deutschen, jüdischen und polnischen Akteuren fiel vor allem auf, dass ukrainische Trawniki-Männer häufig Geld stahlen, wofür sie sich Schnaps, Lebensmittel oder Sex kauften (88-89).
Die Trawniki-Männer erhielten Identifikationsnummern, hatten aber keine einheitlichen Uniformen. Beim Einsatz trugen sie ein Gewehr, die Patronen mussten sie jedoch nach dem Dienst abgeben (85). Manche liefen auch mit Peitschen herum, die beim SS-Personal in Lagern gängig waren (86). Das Spektrum ihrer Aufgaben war umfangreich. Sie überwachten Transporte und Erschießungen, bauten Vernichtungslager auf oder überwachten sie. Dabei kamen sie ständig in Kontakt mit Juden, an deren Vernichtung sie maßgeblich beteiligt waren und von der sie in verschiedener Weise profitierten. Eine goldene Uhr oder hundert Złoty (etwa ein elfmonatiges Einkommen eines Trawniki-Mannes) konnten sie dazu bewegen, einem durstigen und im Zugwagen eingesperrten Juden einen halben Liter Wasser zu bringen (61). Ohne Bezahlung waren sie in der Regel nicht bereit, den Opfern der Schoah zu helfen. Es lassen sich auch keine Indizien finden, die darauf hinweisen, dass sie mit ihren Opfern Mitleid empfunden haben. Der Antisemitismus war unter ihnen jedoch kein zentrales Handlungsmotiv (63).
Der Haupteinsatz der Trawniki-Männer erfolgte bei der "Aktion Reinhardt" in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka, der Benz viel Platz widmet. Sie zeigt detailliert auf, welche Rolle die Trawniki-Männer dabei spielten und wie die Macht und die Aufgaben unter den Tätern dieser Aktion verteilt waren. Im Vernichtungslager Sobibór arbeiteten 120 Trawniki-Männer zusammen mit 25 bis 30 SS-Wachmännern und mehreren jüdischen Arbeitskommandos. Sie begleiteten die Opfer bis zu den Gaskammern und schlugen sie nicht weniger brutal als ihre Vorgesetzten (163-164, 167). In Treblika, wo neben den SS-Männern 90 bis 120 Trawniki-Männer und rund 1000 Juden arbeiteten, wurden die Motoren, deren Abgase die Opfer erstickten, mit dem Kommando "Iwan-Wasser" eingesetzt (174, 180). Auf dem Weg zu den Gaskammern wurden "Sammelvergewaltigungen für Ukrainer" organisiert und ein Teil der Trawniki-Männer quälte Juden zur Belustigung während verschiedener Stufen des Vernichtungsprozesses. Die meisten Sadisten fanden sich angeblich unter den Volksdeutschen (190-191, 217, 230). Vorgelebt, toleriert und gutgeheißen wurden diese Verhaltensweisen durch das deutsche SS-Personal. Gnade und Mitleid ließ die Lagermoral nicht zu (214).
Nach der "Aktion Reinhardt" wurden die Trawniki-Männer bei der "Aktion Erntefest" eingesetzt, bei der sie unter anderem ein jüdisches Kommando überwachten, das 6000 Leichen verbrennen musste und danach selbst von den Trawniki-Männern erschossen und verbrannt wurde (123). Darüber hinaus arbeiteten sie in den KZs Auschwitz und Majdanek (191), wurden bei mindestens 19 Ghettoräumungen, darunter auch bei dem größten Ghetto Europas in Warschau und bei der Unterdrückung des Warschauer Aufstandes eingesetzt (192-194).
Bei der Beschreibung der Vernichtungslager erwähnt Benz Polen gelegentlich als Kollaborateure, zum Beispiel bei den Erdarbeiten oder der Errichtung von Baracken (152) oder auch als Zugfahrer (154). Insgesamt jedoch wird in Benz' Monographie die Rolle, die Polen im Judenmord im Generalgouvernement spielten, marginalisiert bzw. wie in anderen deutschzentrierten Publikationen über den Holocaust im Generalgouvernement zum Beispiel von Dieter Pohl, Bogdan Musiał oder Markus Roth nur am Rande behandelt. Arbeiten von Historikern wie Jan Grabowski, Katrin Stoll, Barbara Engelking, Jan Tomasz Gross, Klaus-Peter Friederich, Dariusz Libionka oder Alina Skibińska, die Geschichte des Judenmordes im Generalgouvernement komplexer auffassen und das Verhalten von Polen vor, während und nach der Aktion "Reinhardt" thematisieren, werden von Benz nicht rezipiert. Obwohl dieser Aspekt für die Geschichte der Trawniki-Männer nicht zentral sein kann, fällt er jedoch auf, weil durch die Anwendung einer ähnlichen Perspektive auch die Trawniki-Männer nicht als eigenständig handelnde Individuen, sondern überwiegend als Rädchen im NS-Vernichtungssystem verstanden und dargestellt werden. Beeindruckend ist dagegen, wie es Benz gelingt, die Rolle jüdischer Arbeitskommandos zu erklären (195-196).
Nach Ende des Krieges verlief das Schicksal der Handlanger der SS verschieden. Einige flohen in die Lager für Displaced Persons und emigrierten später nach Süd- oder Nordamerika. Andere kehrten in die Sowjetunion zurück, wo sie in der Regel zu zehn bis 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurden (99). Die in westlichen Ländern verbliebenen Trawniki-Männer wurden nur selten gerichtlich belangt. So wurde in Deutschland nur ein volksdeutscher Trawniki-Mann verurteilt und in den USA wurde nur einigen Dutzend die Staatsbürgerschaft aberkannt (254-256). Die Prozesse gegen Iwan Demjanjuk haben diesen in der sowjetischen Ukraine geborenen Trawniki-Mann zum bekanntesten Vertreter dieser Gruppe und zum Symbol eines nichtdeutschen Täters verwandelt. Benz' Beschreibung dieses Verfahrens ist beeindruckend.
Die Trawniki-Männer wurden trotz der durchaus wichtigen Rolle, die sie im Holocaust gespielt haben, lange nicht eingehend und systematisch untersucht, was einen spekulativen Umgang mit dieser Gruppe gefördert hat. Angelika Benz beseitigt dieses Desiderat mit einer interessanten und aufschlussreichen Monographie. Obwohl sie den Holocaust stark im Kontext der deutschen Geschichte verortet und deshalb einige Fragekomplexe nur am Rande behandelt, kann sie trotzdem genau und einleuchtend zeigen, welche Rolle die Trawniki-Männer innerhalb des NS-Vernichtungssystems spielten und wie sie sich im Holocaust verhielten.
Grzegorz Rossoliński-Liebe