Rezension über:

Peter Talloen: Cult in Pisidia. Religious Practice in Southwestern Asia Minor from Alexander the Great to the Rise of Christianity (= Studies in Eastern Mediterranean Archaeology; X), Turnhout: Brepols 2015, XIX + 412 S., 96 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-99114-6, EUR 109,00
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Rezension von:
Hartwin Brandt
Lehrstuhl für Alte Geschichte, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Haake
Empfohlene Zitierweise:
Hartwin Brandt: Rezension von: Peter Talloen: Cult in Pisidia. Religious Practice in Southwestern Asia Minor from Alexander the Great to the Rise of Christianity, Turnhout: Brepols 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 5 [15.05.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/05/27958.html


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Peter Talloen: Cult in Pisidia

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Das vorliegende Buch, als Dissertation hervorgegangen aus der überaus produktiven Schule des Sagalassos-Ausgräbers und ausgewiesenen Pisidien-Experten Marc Waelkens, bietet eine Gesamtdarstellung von Religion und Kulten in Pisidien von der frühhellenistischen Zeit (Teil 2: 77-150) bis zum beginnenden 4. Jahrhundert n. Chr. (Teil 3: 151-352). Vorgeschaltet sind diesen beiden Hauptabschnitten ein einleitendes Kapitel (1-44), welches auch einen (angesichts etlicher bereits existierender Darstellungen eigentlich überflüssigen) historischen Überblick (21-43) enthält, sowie ein erster Teil (45-76) über den "indigenous background", ein weitgehend auf archäologischer Evidenz fußender Durchgang durch die prähistorischen Epochen einschließlich Bronze- und Eisenzeit.

Die eigentlichen Detailstudien zu den in Pisidien nachgewiesenen Kulten lässt Talloen aus gutem Grund erst mit dem 4. Jahrhundert v.Chr. beginnen, denn "the Pisidians had long lived on the margin of the Greek world, but until the 4th century BC they had not been an actual part of it" (77). Seine anschließenden Auffassungen machen deutlich, dass Pisidien ab dem 4. Jahrhundert v.Chr. durchaus an der Hellenisierung des ostmediterranen Raumes teilgenommen und sich die erstmals vor etwa 25 Jahren vorgenommene Beschreibung Pisidiens als einer (auch griechisch geprägten) Kulturlandschaft [1] inzwischen mit Recht durchgesetzt hat.

Talloen stützt sich bei seinem Survey auf eine umfassende Materialsammlung und zieht Münzen, Inschriften, literarische Quellen, archäologische Denkmäler und Grabungsbefunde heran. Er insistiert darauf, dass die "Hellenisierung" Pisidiens ein primär städtisches Phänomen war und die indigenen Kulttraditionen keineswegs verschwanden, sondern entweder weitgehend unbeeinträchtigt weiterlebten oder mit den griechischen "Importen" eine synkretistische Verbindung eingingen.

Enttäuschend fallen allerdings seine allzu kurzen Ausführungen zur städtischen Münzprägung in vorrömischer Zeit aus (83). Über "civic identity", Poliskultur und die Wechselwirkung zwischen indigenen und griechischen Traditionen verraten die Münzbilder und Münzlegenden viel mehr, als es in Talloens knappen Bemerkungen deutlich wird.

Das Herzstück des Buches bildet der dritte Teil über die römische Kaiserzeit. Dies ist angesichts der epigraphischen, numismatischen und archäologischen Überlieferungssituation verständlich und sinnvoll. Erneut konstatiert Talloen deutliche Differenzen zwischen städtischen und ländlichen Kulttopographien, auch die in Pisidien in besonders hoher Zahl eingerichteten römischen Kolonien hätten kaum über ihre eigenen Stadt- und Territoriumsgrenzen hinaus auf weitere Gebiete ausgestrahlt.

Der Oberbegriff, unter welchen Talloen seine Ausführungen stellt, lautet dennoch: "Romanisation". Freilich versteht er darunter weniger einen von der kaiserlichen römischen Zentrale gesteuerten Prozess, sondern vielmehr eine "self-Romanisation" (151) als Resultat komplexer Wechselwirkungen zwischen lokaler Bevölkerung und zugewanderten Kaufleuten, Händlern, Soldaten und Funktionsträgern. Interkulturelle Kontakte im Alltag hätten, so Talloen, auch die Kultlandschaft Pisidiens maßgeblich verändert, und dies gilt natürlich in erster Linie für den Kaiserkult, dem Talloen denn auch das umfangreichste Unterkapitel zu den einzelnen Kulten widmet (155-179). Allerdings sei es den Pisidiern gelungen, Grundelemente ihrer ureigenen indigenen Identität zu erhalten und insbesondere auch das genuin pisidische, naturräumliche Faktoren (Berge und Felsen, Quellen und Flüsse, Grotten und Höhlen) spiegelnde Pantheon zu bewahren beziehungsweise in die griechisch-römische Kultlandschaft zu integrieren.

Die Fülle des von Talloen gesammelten, gedanklich durchdrungenen und in ausgezeichneter Form vorgestellten Materials ist wahrlich beeindruckend. Weidlichen Gebrauch macht er auch von den "Roman Provincial Coins", deren oft auf lokale und regionale Eigenheiten anspielende Ikonographie er durchaus mit Recht immer wieder heranzieht. Umso bedauerlicher ist die Tatsache, dass er die langanhaltende Diskussion um die methodischen Konsequenzen, die aus den im Jahr 1972 publizierten Überlegungen von Konrad Kraft [2] zur Münzprägung in Kleinasien resultieren, nicht adäquat zur Kenntnis genommen hat. Vielmehr unterstellt er weiterhin, dass die Anwendung der von Kraft erzielten Beobachtungen zur Verwendung identischer Stempel auch in weit voneinander entfernt gelegenen Poleis dazu führen müsste, den unter städtischer Regie geprägten "Roman Provincial Coins" jeglichen Quellenwert abzusprechen: "In itself then civic coinage would be useless as evidence for the existence of a certain cult in the city" (10). Diese Schlussfolgerung ist unzutreffend und reproduziert nur längst widerlegte Einwände gegen Krafts wertvolle Einsichten. [3]

Die Wertschätzung des Bandes soll durch diese kritischen Bemerkungen und den nur summarischen Hinweis auf etliche kleine Irrtümer nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Talloen hat eine Art Handbuch zu Kult und Religion in Pisidien vorgelegt, welches durch epigraphische Neufunde, archäologische Erkenntnisse und numismatische Publikationen gewiss künftig bereichert und ergänzt werden, aber dennoch für lange Zeit ein grundlegendes Referenzwerk bleiben wird.


Anmerkungen:

[1] H. Brandt: Gesellschaft und Wirtschaft Pamphyliens und Pisidiens im Altertum, Bonn 1992, 39-93; S. Mitchell: The Hellenization of Pisidia, Mediterranean Archaeology 4 (1991), 119-145.

[2] K. Kraft: Das System der kaiserzeitlichen Münzprägung in Kleinasien. Materialien und Entwürfe, Berlin 1972.

[3] H. Brandt: Adada - eine pisidische Kleinstadt in hellenistischer und römischer Zeit, Historia 51 (2002), 406f. Anm. 124; diesen Beitrag hat Talloen leider nicht zur Kenntnis genommen.

Hartwin Brandt