Rezension über:

Martin Bossenbroek: Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, München: C.H.Beck 2016, 624 S., 3 s/w-Abb., ISBN 978-3-406-68812-6, EUR 29,95
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Rezension von:
Ulrich Lappenküper
Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich Lappenküper: Rezension von: Martin Bossenbroek: Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs. Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke, München: C.H.Beck 2016, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 7/8 [15.07.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/07/28365.html


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Martin Bossenbroek: Tod am Kap

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Der 1899 ausgebrochene Konflikt zwischen den Burenrepubliken Transvaal und Oranje-Freistaat einerseits und Großbritannien andererseits gehört zu den blutigsten Auseinandersetzungen der Kolonialgeschichte. Die Wendung zum totalen Krieg, zur Mobilisierung aller Ressourcen, zur Einbeziehung der Zivilbevölkerung und zur Guerillataktik wies voraus auf die Schrecken des 20. Jahrhunderts. Füllt die Literatur über den "Buren-" oder "Südafrikanischen Krieg" [1] auch inzwischen manchen Regalmeter, bietet das hier anzuzeigende Buch von Martin Bossenbroek doch durchaus Neues - zumindest für jenen Leser, der nicht bereits das 2012 erschienene Original in niederländischer Sprache zur Hand genommenen hat.

Folgt man dem Prolog des Utrechter Historikers, wurde der Waffengang am Kap von der Forschung bisher vor allem unter fünf Blickwinkeln betrachtet: als "atypischer Höhepunkt des britischen Imperialismus" (20); im Kontext des Ersten Weltkriegs; hinsichtlich der Rolle der Massenmedien; in seinen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung der Burenrepubliken sowie als "Ursprung des weißen Nationalismus", d.h. der Apartheidsideologie (22). Bossenbroek möchte die bisher bekannten Perspektiven um eine "Dutch connection" (23) genannte niederländische Sichtweise erweitern; doch indem er sich keineswegs auf dieses eine Narrativ beschränkt, sondern immer wieder von der burischen über die niederländische zur britischen Sichtweise wechselt, zeichnet er ein bisher weithin unbekanntes Bild. Gelingen kann ihm dies durch die Fokussierung auf drei dramatis personae, die seines Erachtens die verschiedenen Standpunkte "exemplarisch zum Ausdruck" bringen (24): der junge Winston Churchill, der als Kriegsberichterstatter auf den Schlachtfeldern weilte, nach Gefangenschaft und Flucht seit Anfang 1900 als Leutnant eines Kavallerieregiments mitkämpfte und aufgrund seiner so gewonnenen Popularität im Oktober ins Unterhaus gewählt wurde; der niederländische Jurist und "Staatsprocureur" (29) von Transvaal, Willem Leyds, der als Repräsentant der Buren in Europa auf dem diplomatischen Parkett für deren Sache focht, sowie der burische Kämpfer Deneys Reitz, der in den 1930er- und 40er-Jahren bis zum Minister und "Hochkommissar" der Südafrikanischen Union in London avancieren sollte. Bossenbroeks Interesse weckten die drei Akteure durch ihre schriftlichen Hinterlassenschaften über den Burenkrieg, umfangreiche Tagebücher, Briefe und Reportagen. Mithilfe dieses Quellenschatzes und der reichen Sekundärliteratur gelingt es ihm, nicht nur Einblicke in das Kriegsgeschehen zu gewinnen, sondern auch die Ursachen, Verlauf und Folgen des Konflikts darzulegen.

Seit der Entdeckung von Diamanten hing der Frieden zwischen der Kapkolonie und den Südafrikanischen Republiken am seidenen Faden. Goldfunde spitzten die Lage ab Mitte der 1880er-Jahre zu. Angelockt von den Bodenschätzen, drangen Scharen von Abenteurern in den Transvaal und den Oranje-Freistaat. Als die Regierungen ihnen die Gleichstellung verwehrten, entsandte Großbritannien Soldaten an das Kap, um die Selbstständigkeit der Burenrepubliken einzudämmen. Dem Premierminister der Kapkolonie Cecil Rhodes ging es sogar darum, sie wirtschaftlich und politisch unter britische Vorherrschaft zu bringen. Trotz des im sogenannten Jameson-Raid Ende 1895 erlittenen Rückschlags hielten die Imperialisten vom Schlage eines Joseph Chamberlain an Rhodes' Kurs fest. Da die Republiken nicht bereit waren, auf die Forderungen der Briten einzugehen, griffen die Streithähne im Oktober 1899 zu den Waffen.

Zu Beginn der Auseinandersetzung waren die Buren ihrem Gegner an Zahl wie an Mobilität und Feuerkraft überlegen. Auch die europäische Öffentlichkeit stand zunächst weitgehend auf ihrer Seite und feierte Leyds als "Vorkämpfer für die gerechte Burensache" (327). Um den Widerstand der Buren zu brechen, rekrutierten die Befehlshaber Queen Victorias und ihres Nachfolgers Edward VII. nichtweiße "Hilfstruppen", was der stillschweigenden Übereinkunft widersprach, dass es sich um einen "white man's war" handele (244). Damit nicht genug, zogen sie eine Schneise der Verwüstung durch die Republiken und weiteten den Krieg gnadenlos auf die Zivilbevölkerung aus. Zur verheerendsten Methode gehörte die Einrichtung von "refugee camps" genannten "Internierungslagern" (482), vor denen nicht einmal die Bantu sicher waren, obwohl sie ganz überwiegend auf der Seite der Briten kämpften. 115.000 Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder, wurden in den Camps unter erbärmlichen Umständen eingepfercht, etwa ein Viertel sollte das Grauen trotz aufopferungsvoller Hilfe von Krankenschwestern nicht überleben. Sogar der Oppositionsführer im Londoner Unterhaus Cambell-Bannermann wetterte gegen die "methods of barbarism" (485).

Mit zunehmender Kriegsdauer gewannen die Soldaten der britischen Krone mehr und mehr die Überhand. Trotz des einen oder anderen spektakulären Erfolgs mussten die Buren sich im Mai 1902 geschlagen geben. Großbritannien hatte, wie Bossenbroek in seinem "Gewinner und Verlierer" überschriebenen Epilog (569) darlegt, für seinen Sieg einen hohen Preis zu zahlen: den Tod von 22.000 Soldaten und die Beschädigung seines Rufs als Militärmacht. Auf Seiten der Buren hatten etwa 7.000 Kämpfer und 28.000 Zivilisten ihr Leben verloren. Zu den Verlierern zählten nach Meinung Bossenbroeks aber nicht nur die Burenrepubliken, die ihre Souveränität einbüßten, sondern auch die "nichtweißen Bevölkerungsgruppen Südafrikas", die von den Briten "verraten" wurden, indem sie ihnen im Friedensvertrag die erhofften politischen Rechte vorenthielten (572). Zu den Verlierern gehörten überdies die Niederlande, deren Einfluss in Südafrika versiegte.

Mag das Buch aus Sicht der auf das Schicksal der indigenen Völker fokussierten neueren Kolonialismusforschung auch "ein wenig altmodisch" wirken [2], ist es durch die geschickte Verknüpfung der politischen, diplomatischen und militärischen Perspektiven und der eindringlichen Schilderungen vom Grauen des Krieges doch eine wichtige Bereicherung unseres bisherigen Wissens über den Burenkrieg.


Anmerkungen:

[1] Peter Warwick: Black People and the South African War, 1899-1902, Cambridge 1983.

[2] Rezension von Andreas Eckert, in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 8. April 2016, 10.

Ulrich Lappenküper