Alastair Minnis: From Eden to Eternity. Creations of Paradise in the Later Middle Ages, Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2016, X + 358 S., 29 Farbabb., ISBN 978-0-8122-4723-7, USD 39,00
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Dieses Buch handelt vom Denken. Darüber, wie das Denken über ein bestimmtes Thema floriert und gedeiht, wenn ihm gewisse Grenzen auferlegt und einige, teils widersprüchliche Vorgaben gegeben sind, an denen sich das Denken abarbeiten, reiben und inspirieren lassen kann. Alastair Minnis illustriert diese Reichhaltigkeit des Denkens anhand eines besonders aussagekräftigen Themas: dem mittelalterlichen Nachdenken über das Paradies, vom Sündenfall bis über das Jüngste Gericht hinaus. Aus den biblischen Beschreibungen in Genesis und Apokalypse ergeben sich vielfältige Notwendigkeiten, über das menschliche Dasein an sich nachzudenken, über Materialität und Körperlichkeit, über das Verhältnis der Geschlechter, Macht und Tod.
Die Einleitung umreißt diese Vielfalt der Themen innerhalb des utopischen Denk-Raums, den das Paradies für die mittelalterlichen Theologen darstellte. Der Zustand der Welt und des Menschen vor dem Sündenfall bildete dabei eine Folie für endlose "Was wäre gewesen, wenn"-Spekulationen, die sich dennoch immer im engen Rahmen dessen bewegten, was über das Paradies bekannt war. Anhand des imaginierten Zustands der Menschheit vor dem Sündenfall konnten alle allgemein-menschlichen Fragen und Zustände abgehandelt werden - Liebe, Fortpflanzung, Nahrung, Fäkalien, Macht, Besitz.
Hier wird auch bereits die ganze Breite des Quellenspektrums aufgezeigt, die Minnis benutzt: Eden war nicht an bestimmte politische Strömungen gebunden und engagierte TheologInnen, SchriftstellerInnen (zu den zitierten Frauen gehören Christine de Pizan, Birgitta von Schweden und Mechthild von Magdeburg) und Künstler in ganz Europa. Von Augustinus über Dante bis hin zu Wyclif reichen bereits die auf den ersten Seiten präsentierten Autoren.
Das erste Kapitel "The Body in Eden" führt tief in die monastischen Vorstellungen von Sünde, Beflecktheit und Unvollkommenheit der menschlichen Physis. Der Sündenfall machte aus starken, schönen, reinen Körpern die sterblichen, unordentlichen und fragilen Hüllen, die wir kennen. Die bessere Version der bekannten menschlichen Körper bildete eine perfekte Folie, auf der Ideale sichtbar gemacht werden konnten: der bärtige Adam ist die Inkarnation der stolzen, ungebeugten Männlichkeit, sein Alter von Anfang 30 perfekt. Damit ist auch die Ebene der Präfiguration eröffnet: Adams Alter entspricht dem Christi bei seinem Tod, die Erschaffung Evas aus der Rippe Adams deutet die offene Seitenwunde des Erlösers am Kreuz an.
Während dieser Vorgang noch im Bereich der mirabilia angesiedelt und entsprechend imaginiert werden konnte, fiel die Erklärung von Körperfunktionen im Paradies schon schwerer. Musste Adam auf die Toilette? Bonaventura beantwortet dies mit ja, da die Körperfunktionen von Gott zum Besten des Menschen erschaffen seien, betont aber, dass paradiesische Fäkalien weniger schmutzig und stinkend waren als unsere. Auch der Bereich der menschlichen Sexualität und Fortpflanzung gab Rätsel auf - einerseits herrschte Einigkeit darüber, dass Vergnügen im Paradies möglich war, andererseits sollte dies sich nicht auf sexuelle Lust erstrecken. Hier wird die tiefe monastische Sorge über den Sexualtrieb, die Existenz von Samen und Lust dahingehend aufgelöst, dass jeder sexuelle Akt - dem als völlig normal gesehenen Trieb Adams folgend - zur Produktion eines Kindes führen würde, je nach Adams Willen ein Junge oder Mädchen. Was heute als platte patriarchale Allmachtsfantasie erscheint, wurde von Bonaventura und Thomas Aquinas als eine philosophische Reise dorthin verstanden, wo der Körper völlig dem Willen untergeordnet ist.
Mit Ordnung befasst sich dann primär das zweite Kapitel "Power in Paradise". Denn die prä-lapsarische Harmonie beruhte doch immer darauf, dass Adam gewissermaßen der König und paterfamilias von Eden sei - denn die Monarchie wurde, wenig überraschend, spätestens von den Jesuiten der Gegenreformation als die passendste Gesellschaftsform im Paradies angesehen. Die menschliche Herrschaft über die Tierwelt warf neue Probleme auf: Vegetarismus, Mücken und Schlangen, Tiere, die sich von Aas ernähren. Unbestritten blieb jedoch die Geltung des Augustinischen Grundsatzes vom ordo, so dass auch im "Himmlischen Vaterland" die hierarchische Ordnung von Menschen und Tieren beibehalten blieb. Und auch die Unterordnung Evas war, so die recht einhellige theologische Meinung von Albertus Magnus bis Robert Grosseteste, mitnichten ein Resultat des Sündenfalls, sondern im perfekten ordo angelegt. Hier bringt Christine de Pizan einen anderen Aspekt ein: dass Adam zwar vielleicht wegen Eva aus dem Paradies verbannt worden sei, die Menschheit diesem Fall jedoch auch die Vereinigung von Gott und Mensch in Christus, vermittelt durch Maria, verdanke - der Sündenfall als felix culpa mit prominenter weiblicher Beteiligung.
Im dritten Kapitel "Death and the Paradise Beyond" schließlich identifiziert Minnis eine weitere philosophische Falle, die im Paradies lauerte. Wenn der menschliche Tod die Strafe für den Sündenfall ist, Tiere aber im Paradies vielleicht doch sterben können - heißt das dann, dass sie sündigen können? Wyclif und Bonaventura waren sich immerhin dahingehend einig, dass der Tod für Tiere keine Strafe, sondern ein Zeichen ihrer sterblichen Seele sei. Da Menschen ihre Körper komplett und perfekt bei der Auferstehung wiederbekommen würden, auch die Teile, die etwa von Tieren gefressen worden waren, war es beunruhigend sich vorzustellen, was mit all den aufgegessenen Tieren nach dem Jüngsten Gericht passieren würde.
Das Kapitel lotet die Konzeptionen nicht mehr des prä-lapsarischen, sondern des Paradieses nach dem Jüngsten Gericht aus, die sich insofern ähneln, als die Auferstehung der Menschen eine ähnliche Projektionsfläche für normative Konzepte bildet: so war sich Otto von Freising sicher, dass Äthiopier als Weiße auferstehen würden (154). Immer wieder scheint die Verzweiflung der Theologen darüber hindurch, dass die Vorstellung vom Paradies, ausgehend vom bestehenden korrumpierten Status der Menschheit, unvollkommen und schwer auszumalen bleiben muss.
Die Studie ist, wie in der abschließenden "Coda" pointiert dagestellt, voller Beispiele dafür, wie die scholastischen Paradiesgebäude zwischen marginalen und auf den ersten Blick etwas albernen Themen und solchen von existentieller Bedeutung für die Fundamente der menschlichen Existenz oszillieren. Obgleich sie Debatten nachzeichnet, gibt es hier wenig Dialog oder gar Dissens zwischen der Vielzahl von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen DenkerInnen: Alastair Minnis gießt diesen vielfältigen Strom von Entwürfen, Sorgen und Hoffnungen in ein konsistentes Narrativ des Nachdenkens über Eden. Der konkrete historische Rahmen der einzelnen Aussagen findet nur selten Beachtung, etwa bei der Verurteilung zahlreicher Thesen des Aristotelismus im Jahr 1241, die als Kontext für eine Reihe von Aussagen über die Möglichkeit, Gott zu sehen, benannt wird (223-224). Das stört jedoch nicht, sondern verstärkt eher den Eindruck, dass der Autor sich so tief in die Materie begeben hat, dass er selbst ein Teil des jahrhundertelangen Stroms von Denkern über das Paradies geworden ist. Das Resultat ist ein Buch voller mirabilia.
Cordelia Heß