Michael Hochedlinger (Bearb.): "Erdäpfelvorräte waren damals wichtiger als Akten". Die Amtschronik des Generals Maximilian Ritter von Hoen, Direktor des Kriegsarchivs (= Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs; 58), Innsbruck: StudienVerlag 2015, 917 S., Zahlr. s/w-Abb., ISBN 978-3-7065-5524-1, EUR 49,20
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Michael Hochedlinger / Petr Mat'a / Thomas Winkelbauer (Hgg.): Verwaltungsgeschichte der Habsburgermonarchie in der Frühen Neuzeit. Band 1: Hof und Dynastie, Kaiser und Reich, Zentralverwaltungen, Kriegswesen und landesfürstliches Finanzwesen, Wien: Böhlau 2019
Von 1916 bis Ende Januar 1925 war Maximilian Ritter von Hoen (1867-1940), Generalmajor, seit 1918 Feldmarschallleutnant der k.u.k. Armee, Direktor des Wiener Kriegsarchivs. In seinen letzten Dienstjahren verfasste er eine Amtschronik, für die Jahre 1921 bis 1924 jeweils als Rückschau zum Jahresende, für die Phase bis einschließlich 1920 mit größerem zeitlichem Abstand zum Geschehen. Vom Verfasser als Hilfsmittel für den Archivbetrieb gedacht und nicht zur Publikation bestimmt, ist die umfangreiche Chronik Hoens nun durch das Österreichische Staatarchiv publiziert worden. Ergänzt ist sie um eine kurze Darstellung und Wertung der Führung des Archivs unter der Hoens Nachfolger Edmund von Glaise-Horstenau bis 1936 aus der Feder von Rudolf Kiszling, der das Archiv in der NS-Zeit leitete. Eine knappe Einleitung, verfasst von Michael Hochedlinger, dem Bearbeiter der Amtschronik, ein Anmerkungsapparat, der in erster Linie biografische Notizen zu den im Text Erwähnten umfasst, und ein Personenverzeichnis runden den Band ab. Trotz der zurückhaltenden Kommentierung kommen so insgesamt 917 Seiten zusammen, davon mehr als 800 für die Amtschronik Hoens. Für die Archivare und die Nutzer des Archivs ist die Amtschronik ein nützliches Instrument, um die Genese, die Zusammensetzung und nicht zuletzt die Lücken in der Überlieferung nachvollziehen zu können. Die Veröffentlichung hilft nun, das Originalmanuskript Hoens zu schonen, aber welchen Quellenwert hat die Amtschronik darüber hinaus?
Das Wiener Kriegsarchiv stellt einen der bedeutendsten Orte militärhistorischer Quellenüberlieferung in Europa dar. Heute eine Abteilung des Österreichischen Staatsarchivs unter ziviler Leitung, war das Kriegsarchiv bis zum Ende der Habsburgermonarchie Teil des militärischen Führungsapparates Österreich-Ungarns. Neben der Hoffnung auf den praktischen Nutzen von archiviertem Material und militärwissenschaftlichen Studien gehörte der Wunsch nach einer Würdigung der Kriegsgeschichte der Habsburgermonarchie zu den wesentlichen Erwartungen an das Kriegsarchiv. Im Ersten Weltkrieg wurde es auch zu einer Propagandastelle. Die "Literarische Gruppe" fungierte als Sammelpunkt von Schriftstellern, die ihre Fähigkeiten in den Dienst des Vaterlandes stellten und dafür von den Gefahren des Fronteinsatzes verschont blieben, aber auch die Aufsicht über die Kriegsfotografie und die Kriegsfilmpropaganda war im Kriegsarchiv angesiedelt. Mit dem Archiv personell eng verbunden war zudem das Kriegspressequartier beim Allgemeinen Oberkommando Österreich-Ungarns, das Hoen von 1914 bis 1917 leitete. Nicht nur auf dem Feld der Propaganda und der Ansätze einer Geschichtsschreibung des Großen Krieges kamen auf das Kriegsarchiv neue Aufgaben zu. Der enorme Zuwachs an militärischem Schriftgut, den der bürokratisierte Massenkrieg mit sich brachte, stellte das Archiv vor gravierende praktische Probleme. Durch Rückgriff auf Offiziere und Mannschaften, die für den Dienst an der Front nicht tauglich waren, und nach längerem Zögern auch durch die Beschäftigung weiblicher Hilfskräfte blieb das Archiv einigermaßen arbeitsfähig, aber das Ringen um Lager- und Arbeitsräume innerhalb wie außerhalb der Wiener Stiftskaserne nahm kein Ende, auch nicht nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie.
Allerdings brachte die Nachkriegszeit auch neue Herausforderungen mit sich. Die Restrukturierung von Staat und Streitkräften sowie die katastrophale Haushaltslage der Republik Österreich hatten massive Auswirkungen auf das Kriegsarchiv. Die Einordnung in die Zivilverwaltung und der radikale Abbau des Personals hielten die Archivleitung in Atem. Parallel dazu entwickelte sich ein jahrelanges Ringen mit Vertretern der anderen Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie um die Herausgabe von Archivmaterial. War Wien während des Krieges noch Sammelpunkt von Beuteakten aus besetztem Feindesland gewesen, so ging es nun um Ansprüche auf wichtige Bestände des Kriegsarchivs von verwaltungspraktischer, vor allem aber von nationalsymbolischer Bedeutung. Zugleich wurden die Ansätze dazu, Österreich-Ungarns Rolle im Weltkrieg aus den Quellen und durch das Personal des Archivs militärhistorisch zu untersuchen, weitergeführt. Den Kulminationspunkt dieser Bemühungen sollte die Darstellung "Österreich-Ungarns letzter Krieg" bilden, die in sieben Textbänden allerdings erst zwischen 1930 und 1938 erschien.
Noch in die Amtszeit Hoens fallen aber zahlreiche weitere Publikationsprojekte der Kriegs- und Nachkriegszeit, unter ihnen viele, die Fragment blieben oder die vollkommen scheiterten. Die Darstellung Hoens bietet einen aufschlussreichen Einblick in die Entwicklung der Wiener Kriegsgeschichtsschreibung, freilich aus der Perspektive Hoens, der neben den ungünstigen äußeren Umständen gerne auch mangelnde Fähigkeiten seiner Untergebenen als Ursache für dieses teilweise Scheitern benennt. Für Geltungssucht und manchmal auch Geldgier der Mitarbeiter bewies Hoen ein scharfes Auge und es sind nicht zuletzt seine sarkastischen Beschreibungen des Allzumenschlichen, die die Lektüre des Textes erleichtern, dem ansonsten die äußerst detaillierte Aufzählung von Beförderungen, Personaleinteilungen und dergleichen über weite Passagen eine unschöne Schwere verleiht. An sich selbst fand Hoen übrigens nichts auszusetzen.
Der Obertitel des Bandes, ein Zitat, fängt ein, wie sehr die drängenden Alltagsprobleme der Kriegs- und Nachkriegszeit die Entwicklung des Archivs prägten und es macht einen wesentlichen Teil des Leseertrags aus, diese schmerzhaften Anpassungsprozesse sehr genau vor Augen zu haben. Angesichts der gravierenden ökonomischen Krisenerscheinungen waren die Sorgen um eine angemessene Betreuung der Archivbestände politisch und gesellschaftlich von nachrangiger Bedeutung. Mit dem Ende der Habsburgermonarchie und dem massiven Abbau von Personal im Dienst der Haushaltskonsolidierung der Republik Österreich wurde die Situation noch komplizierter. Der Kampf gegen die Abtretungswünsche der übrigen Nachfolgestaaten, eines der interessantesten Kapitel der österreichischen Archivgeschichte im 20. Jahrhundert, tat ein Übriges. Insofern hätte sich als Obertitel auch Hoens Selbsteinschätzung geeignet: "Der Direktor hatte es schwer." (611) Der Archivnutzer und der Archivhistoriker haben es dafür jetzt leichter.
Günther Kronenbitter