Carlos Collado Seidel: Franco. General - Diktator - Mythos (= Kohlhammer Urban Taschenbücher; 739), Stuttgart: W. Kohlhammer 2015, 314 S., ISBN 978-3-17-021513-9, EUR 26,99
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Carlos Collado Seidel: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, München: C.H.Beck 2006
Achtzig Jahre nach dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs hat die Forschung die vielen Mythen zurückgewiesen, die der Anführer des aus dem Militärputsch hervorgegangenen Regimes, General Francisco Franco, um sich stricken ließ. Mit ihnen sollte insbesondere die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr "vorzeigbare" Tatsache überdeckt werden, dass die Diktatur ihre Existenz der generösen militärischen Unterstützung Hitlers und Mussolinis zu verdanken hatte. Inzwischen liegen vor allem aus Spanien ganze Bibliotheken an Forschungsliteratur zur Person Francos wie auch zu seinem Regime vor. Sie wird ergänzt durch eine Memoirenliteratur, die zwar naturgemäß von Menschen aus seinem Umkreis stammt, die sie aber zu seinen Lebzeiten selbst bei einem positiven Bezug auf seine Herrschaft wegen der vielen Details, die auch Schatten auf ein in der Propaganda heroisiertes Leben werfen, nicht hätten veröffentlichen können. Zudem sind jetzt viele staatliche Archive zugänglich, wobei allerdings die Akten im Nachlass Francos im Rahmen der vielen Kompromisse beim Übergang von der Diktatur zur parlamentarischen Monarchie einer durch die Familie geleiteten privaten Stiftung übereignet wurden, die den Zugang kontrolliert. Das ist zweifellos ein Skandal, denn, wie im Falle einer solchen Diktatur üblich, gab es keine Trennung zwischen der Privatperson und dem "Caudillo", dem Führer, wie Francos offizieller Titel lautete. Seine Papiere müssten eigentlich Staatseigentum sein.
Carlos Collado Seidel, an der Universität Marburg lehrender Historiker mit dem Schwerpunkt spanische Geschichte, zu der er zahlreiche Veröffentlichungen verfasst hat, legt nun eine Biographie Francos vor, die auf der Auswertung der umfangreichen neueren Forschungen insbesondere aus Spanien beruht und sich über die Fachwelt hinaus an ein breiteres, am Thema interessiertes deutschsprachiges Publikum wendet. Somit wird man keine neuen Quellenfunde und bisher - zumindest den auf die spanische Geschichte des 20. Jahrhunderts spezialisierten Historikern - nicht bekannte Aspekte erwarten können, wohl aber eine solide Einführung in den heutigen Kenntnisstand und in die Diskussionen um die Person und ihre Herrschaft.
Als Biographie folgt sie zunächst einmal der Chronologie, beginnend mit kurzen Hinweisen auf die Jugend und den beruflichen Werdegang des Offiziers in der spanischen Kolonialarmee in Marokko, die in den zwanziger Jahren in blutige Kämpfe gegen die aufständischen Rif-Kabylen verwickelt war. Dabei machte sich Franco einen gewissen Namen, wenn man das so ausdrücken kann, als "jüngster General Europas" mit 34 Jahren. Dieser äußerst grausam geführte Kolonialkrieg wurde schließlich u.a. durch den Einsatz deutschen Giftgases gewonnen; er sollte Franco dauerhaft prägen und auch sein Verständnis von der Kriegsführung in Spanien ab 1936 bestimmen. Doch das prädestinierte ihn trotz allem zunächst nicht für die Führungsposition, die er erst zwei Monate nach Beginn des Putsches im Juli 1936 gegen die gewählte Regierung der Republik übernahm. Collado Seidel arbeitet die Verbindung von Zufällen mit Francos entschlossenem Zugreifen heraus - gegen die Mythen einer gleichsam göttlichen Vorsehung, die ihn zum "Retter Spaniens" auserkoren habe, wie es die Propaganda behauptete.
Seine ganz auf ihn als "Caudillo" zugeschnittene Diktatur lehnte sich in ihren totalitären Zügen eng an die faschistischen Vorbilder Hitler und Mussolini an, verfügte auch über eine von Franco selbst geleitete Einheitspartei, die Falange. Letztlich beruhte sie allerdings auf der Führungsrolle des Militärs. Auch die nach 1945 nicht mehr "empfehlenswerte" Bezugnahme auf Deutschland und Italien - das führte zu einer Reihe letztlich kosmetischer Korrekturen am Regime - änderte nichts daran, dass die Diktatur ganz auf ihn und damit auf seine Entscheidungsgewalt zugeschnitten blieb. Zwar erlebte Spanien Mitte der fünfziger Jahre vor allem aufgrund wirtschaftlicher Zwänge eine gewisse Öffnung gegenüber dem aufstrebenden Westeuropa. Auch professionalisierte sich das Regime, das nicht länger wie eine Kaserne geführt werden konnte. Technokraten übernahmen wesentliche Teile der Verwaltung. Doch die Diktatur wurde nicht abgeschafft, auch wenn sie zunehmend Boden in der Gesellschaft verlor und die faschistische Symbolik nun ganz aufgegeben wurde. Sie beruhte bis zum Ende auf der Person ihres "Führers".
Verschiedene Faktoren sind dafür verantwortlich, dass das Regime nach Francos Tod nicht Bestand hatte. Der von Franco im Juni 1973 in das neugeschaffene Amt des Ministerpräsidenten als "Vertrauensmann" der Streitkräfte eingesetzte Admiral Carrero Blanco wurde ein halbes Jahr später durch ein Attentat getötet. Der mehr repräsentativ gedachte Nachfolger im Amt des Staatschefs, der Bourbonen-Prinz Juan Carlos, hatte damit bei Francos Tod am 20. November 1975 als neuer König, wiewohl er sich offiziell den Prinzipien der Einheitspartei verpflichtete, einen breiteren Spielraum, als von Franco beabsichtigt. Vor allem aber hatte sich die spanische Gesellschaft seit den fünfziger Jahren dramatisch gewandelt. Das Land war zu einem Industrieland geworden. Damit war auch eine breite Widerstandsbewegung, getragen von der Arbeiterbewegung und großen Teilen der Studentenschaft und der Intellektuellen, mit einem Echo in Teilen des Bürgertums, entstanden, gegen die nicht mehr im alten Maße regiert werden konnte. [1] Die Diktatur löste sich nach 1975 schnell auf, auch wenn das keineswegs konfliktfrei abging. Das war - entgegen einem weiteren Mythos - von Franco weder beabsichtigt noch irgendwie vorbereitet worden. Sein Plan war auf die Fortsetzung des Regimes ausgerichtet gewesen, von dem schließlich große Teile der Eliten besonders profitierten. Doch Spanien war inzwischen auch so reich geworden, dass Würdenträger des Regimes beim Übergang nach 1975 generös abgefunden werden konnten.
Collado Seidel hat die großen Züge dieses Lebenswegs herausgearbeitet. Sorgfältig verbindet er dabei das quellenmäßig Belegbare und die Interpretationen aus der Forschungsliteratur. Neben der Biographie Francos geht er detailliert auf die Entwicklung Spaniens ein. Für eine interessierte Leserschaft, die nicht über spezielle Kenntnisse der spanischen Geschichte verfügt, sind die Bezüge und Zusammenhänge manchmal etwas verwirrend. Hier hätte z.B. eine ausführliche Chronologie eine gewisse Orientierung bieten können. Doch vor allem liefert Collado Seidels Darstellung über die bloße Biographie hinaus eine Deutung von Francos Diktatur. Immer wieder finden sich Exkurse unter Rückgriff auf die Literatur und die wissenschaftlichen Kontroversen, etwa zu der Frage nach dem Charakter des Regimes, ob es als faschistisch zu beschreiben ist oder nicht, wie das Verhältnis zum nationalsozialistischen Deutschland war, was die neue Form der Herrschaft ab den fünfziger Jahren ausmachte usw. Nicht zuletzt diskutiert Collado Seidel auch die persönliche Rolle Francos, die Frage, inwieweit sie als charismatisch zu bezeichnen ist und wie sein Regime heute rezipiert wird, auch unter dem Blickwinkel der Aufarbeitung der Geschichte im heutigen Spanien.
Das Buch löst zweifellos den Anspruch ein, einer interessierten, aber nicht über notwendige Sprachkenntnisse und vor allem Kenntnisse der Forschungsliteratur verfügenden Leserschaft zentrale Ergebnisse nicht nur zur Biographie Francos zu präsentieren. Es ist in großen Teilen auch eine Gesellschafts- und Politikanalyse Spaniens seit 1939. Dabei weist der Autor ausdrücklich Bemühungen gerade in neueren Bewertungsversuchen zurück, doch noch irgendwelche positiven Züge an der Person Franco oder seiner Herrschaft zu entdecken oder sie in diese Richtung umzudeuten. [2]
Anmerkungen:
[1] Wie sehr insbesondere das Auftreten einer breiten Opposition ab der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre die Diktatur herausforderte, macht auch diese Biographie deutlich. Sie zeigt, wie diese den Wandel langfristig erzwang, und dass dafür weniger die "Westernisierung" der Eliten ausschlaggebend war, wie jüngst Birgit Aschmann ("Spanien in der transición. Von der Franco-Diktatur zur Demokratie", in: Mittelweg 36, Nr. 3, 2016, 29-58) argumentiert hat.
[2] Collado Seidel leitet sein Buch mit dem Hinweis auf die 2011 in manchen Feuilletons auch hier Schlagzeilen machende Kontroverse um einen damals erschienenen Band des umfangreichen Spanischen Biographischen Wörterbuchs ein, in dem im Beitrag zu Franco zwar das Wort von autoritären Zügen seiner Herrschaft fiel, die er aber intelligent und gemäßigt ausgeübt habe, wobei die Bezeichnung Diktatur strikt vermieden wurde.
Reiner Tosstorff