Noel Lenski: Constantine and the Cities. Imperial Authority and Civic Politics (= Empire and After), Philadelphia, PA: University of Pennsylvania Press 2016, IX + 404 S., 49 s/w-Abb., ISBN 978-0-8122-4777-0, USD 52,00
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Aus der Flut der rezenten Neuerscheinungen zur Geschichte Konstantins sticht Noel Lenskis neues Buch hervor. Sein nuancierter Ansatz ist es, das Bild eines grundsätzlich pragmatischen Konstantin zu zeichnen. Trotz, wie Lenski betont, Konstantins früher Überzeugung, dass das Christentum sowie die Einheit der Kirche dem Heil des Reiches dienten, blieb er doch hinsichtlich der Durchsetzung seiner Vorstellungen zwangsläufig den Traditionen des römischen Kaisertums, das lokale oder regionale Besonderheiten in sozialen bzw. religiösen Angelegenheiten weitestgehend gewähren ließ, verhaftet. Deswegen musste auch Konstantin regionale Unterschiede und Empfindsamkeiten berücksichtigen, was dazu führte, dass der Gesamteindruck von Konstantin in der Wahrnehmung der Nachwelt schillernd und widersprüchlich ist. Deswegen konnte jeder, je nach den besonders bevorzugten und betonten Aspekten, seinen eigenen Konstantin nachbilden. Nach Lenski war Konstantins Verhalten in religiösen Fragen aber nicht wirklich widersprüchlich, nur war er immer wieder wegen regionaler Befindlichkeiten an seine machtpolitischen Grenzen gestoßen.
Lenski belegt seine Auffassung in einer Reihe von Kapiteln, welche Rolle insbesondere die Städte spielten, die immer noch zu Konstantins Regierungszeit die lebendigsten traditionstragenden politischen Einheiten des Reiches sowohl in Westen als im Osten darstellten. Dabei übernimmt er das wohl nicht mehr umstrittene Konzept des reaktiven Funktionieren des Reiches, das von Fergus Millar als Petition and Response herausgearbeitet wurde. Auf diese Weise lässt sich die Pluralität der lokalen Interessen - auch im religiösen Bereich - erkennen, mit welchen Konstantin als Kaiser zu tun hatte, umsomehr nach seinem Sieg gegen Licinius im Jahre 324 und der damit verbundenen Übernahme der Verantwortung für die östlichen Teile des Reiches. Diese Vorstellung, gekoppelt mit der Anerkennung des im 4. Jahrhundert immer noch lebendigen Wettbewerbs unter den Städten um Ehren und regionale Vormacht - so genannten Peer Polity Interaction - dient auf weitgehend überzeugende Weise zur Erklärung der manchmal als sprunghaft und eher unsystematisch aufgefassten Handlungsweise Konstantins in religiösen Angelegenheiten.
Die Grenzen der Einflussmöglichkeiten des Kaisers zumal im religiösen Bereich werden so aufgezeichnet, selbst dann, wenn aus persönlicher Überzeugung des Kaisers die Bevorzugung der vorhandenen christlichen Gemeinden und ihrer Vorsteher einen Kernbereich seiner Initiativhandlungen darstellte. Diese Bevorzugung drückte sich bekanntlich insbesondere in der Gewährung von Baumitteln für Kirchen bzw. der Anregung von Petitionen um Geld für den Kirchenbau oder um Statuserhöhungen von mehrheitlich christlichen Städten aus, ohne dass die Belange der Städte, die keine christliche Mehrheit besaßen, absichtlich vernachlässigt oder herabgewürdigt wurden. So stellte Konstantin nur die politischen Weichen für eine jahrhundertelange Entwicklung zur Christianisierung des Reiches, ohne dass - was eine Generation später Julians Restaurationsversuch nicht gänzlich aussichtslos machte - eine zwangsläufige Aufgabe der alten religiösen Traditionen erfolgen musste.
Auf diese Weise werden sowohl die Stärken als auch die Schwächen von Konstantins Kaisertum dargestellt. In seinem Verhältnis zu den christlichen Gemeinden, welche er fördern wollte werden sie besonders deutlich: Fördern verlief über die Gewährung von Privilegien, besonders finanzieller Art oder die allmähliche Übertragung staatlicher Funktionen an christliche Würdenträger, wie bei der episcopalis audientia, sowie durch das Verkünden von kaiserlichem Interesse an deren Belangen. Letzteres führte zwangsläufig zu den bekannten kaiserlichen Interventionen in innerchristlichen Streitigkeiten - bei dem Donatistenstreit in Afrika und der Auseinandersetzung mit Arius - welche letztendlich zu völlig unbefriedigenden Ergebnissen führten und die Grenzen der kaiserlich Macht offenlegten. Wenn es dem Kaiser nicht gelang, seine Vorstellungen unter den von ihm bevorzugten und geförderten Christen durchzusetzen, kann es nicht verwundern, dass es ihm bei den Nicht-Christen auch nicht gelingen konnte: so etwa mit dem allgemeinen Opferverbot vom Jahr 324, das - wie Lenski betont - eben nicht durchgesetzt wurde.
Lenski bietet eine Gesamtinterpretation von Konstantins religiöser Politik mit neuer Nuancierung hinsichtlich der Städte im Reich, die insgesamt überzeugend wirkt, selbst dann, wenn seine Interpretation einzelner Quellenzeugnisse Zweifel erzeugt. Die von Lenski behauptete sachliche Unterscheidung zwischen ius civitatis und nomen civitatis in den Inschriften aus Tymandos und Herakleia Sintica im Kapitel 4 scheint eher bloß eine rhetorische variatio zu sein; der Name Herakleia beim Letzteren hat übrigens mit dem von den Tetrarchen bevorzugten Hercules nichts zu tun: Der Name und der Status der Stadt als Polis wurden vom Gründer und Heraklesverehrer Philipp II. von Makedonien 700 Jahre vorher gewährt. Irgendwann nachher ist der Status verloren gegangen. Lenskis folgenreiche Annahme, dass in Konstantins Reskript an Orkistos der Begriff sanctissima religio einfach vom Text der Petition von Orkistos übernommen wurde, braucht einen Beleg, den es nicht gibt. Auch nicht ganz einzusehen ist im Kapitel 6 Lenskis Heranziehen vom palästinensischen Maiouma als Modell für seine Interpretation der Vergabe von dynastischen Namen im Westen (Autun, Arles, Cirta, Portus), wo die einschlägigen Quellen kaum Interpretierbares bieten. Irritierend ist außerdem die gelegentliche Translitteration vom griechischen Chi als x.
Das unbedingt lesenswerte Buch schließt mit einer umfangreichen Bibliographie sowie einem Namensregister. Da die Argumentation vielfach sehr quellennah verläuft, wäre auch ein Stellenregister wünschenswert gewesen.
R. Malcolm Errington