Rezension über:

Giles Waterfield: The People's Galleries. Art Museums and Exhibitions in Britain, 1800-1914, New Haven / London: Yale University Press 2015, XII + 370 S., 70 Farb-, 215 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-20984-6, GBP 45,00
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Rezension von:
Michaela Braesel
Institut für Kunstgeschichte, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Ekaterini Kepetzis
Empfohlene Zitierweise:
Michaela Braesel: Rezension von: Giles Waterfield: The People's Galleries. Art Museums and Exhibitions in Britain, 1800-1914, New Haven / London: Yale University Press 2015, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 1 [15.01.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/01/27259.html


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Giles Waterfield: The People's Galleries

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Giles Waterfield beschäftigt sich seit Langem mit der Geschichte der Museen und des Ausstellungswesens im England des 19. Jahrhunderts: "Palaces of Art: Art Galleries in Britain 1790-1990" von 1991 erschien als eine Art Vorläufer der aktuellen Publikation mit zeitlich weiter gefasstem Betrachtungsbereich, und "Art for the People: Culture in the Slums of Late Victorian Britain" von 1994 beschäftigte sich mit der Vermittlung von Kunst in den ärmeren Bevölkerungsschichten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Waterfield gliedert sein Buch in drei chronologisch aufeinander folgende Bereiche. Ist Teil 1 den Anfängen der Kunstmuseen in England allgemein und der Schilderung der kulturellen Hintergründe gewidmet, wird im zweiten Teil die Gründung der großen viktorianischen Museumsprojekte besonders außerhalb Londons mit Schwerpunkt auf Museen in Birmingham, Manchester, Liverpool, Glasgow, Leeds und Nottingham dargestellt, werden die ihnen zugrundeliegenden Motivationen und Anliegen, die unterschiedlichen Sammler bzw. Sammlungs- und Ausstellungskonzepte vorgestellt. Der wesentlich kürzere dritte Teil schließlich verfolgt die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg, und das abschließende Kapitel gibt einen Ausblick bis zur Gegenwart.

Waterfield schildert in Teil 1 die Voraussetzungen für die Museumsgründungen in England, die sich dadurch von den vielen Gründungen auf dem Kontinent unterscheiden, dass sie in der Regel nicht aus den Sammlungen von Herrschern, Adligen oder der Kirche hervorgingen, sondern durch Schenkungen von Privatleuten an den Staat initiiert bzw. durch die Städte, besonders die jungen Industriestädte, veranlasst wurden. Frühe Museumsgründungen wie die National Gallery, das British Museum, Privat- und Universitätsmuseen seien als eher elitäre, auf Kenner ausgerichtete, den Idealen der Aufklärung verbundene Häuser aufzufassen, während die viktorianischen Neugründungen durch die moralisch-ethischen Ideale des Bürgertums, das Interesse an Wechselausstellungen, die Orientierung an großen, auch für ein Massenpublikum attraktiven Ausstellungen, die daran angelehnte Verbindung von Vergnügen und Bildung, eine gewisse Rentabilität beeinflusst und gesteuert waren.

So ständen hier zwei unterschiedliche Konzepte einander gegenüber: zum einen Museen, die sich eher an Connoisseure und Künstler wendeten, zum anderen solche, die auch für Leute ohne Universitäts- oder Akademiestudium interessant und attraktiv waren. Diese letzteren Gründungen wurden befördert durch das Engagement des Bürgertums, der Kaufleute, Sammler, der Gelehrtengesellschaften und Künstler mit dem Bestreben, hiermit sowohl den Stolz auf die eigene Stadt umzusetzen als auch beizutragen zur Bildung und moralischen Erziehung der Bewohner, besonders der ärmeren Bevölkerungsschichten. Vor dem Hintergrund des internationalen Vergleichs, von Nationalstolz, der Erwägung positiver Auswirkungen begann sich nach Waterfield auch in England eine größere Bereitschaft für den Aufbau von Museen zu entwickeln. In Museen wurde nun eine Möglichkeit erkannt, durch Kunst Erziehung in Hinblick auf Wissen, Kultur und Moral zu vermitteln.

Erste Museumsgründungen außerhalb Londons fanden in den großen Industriestädten statt, wobei diese Museen nicht nur Kunst, sondern auch andere Bereiche wie Antike und Naturkunde umfassten. Ausstellungen zeitgenössischer Kunst wurden von den Künstlergesellschaften dieser Städte veranstaltet. Als in der zweiten Jahrhunderthälfte die sozialen Probleme der Industrialisierung - Armut und damit einhergehende gesundheitliche und soziale Folgen - zunehmend in den Mittelpunkt rückten, wurden Forderungen nach allgemeiner Bildung und moralischer Erziehung dringlich.

Als wichtigen Einfluss erkennt der Autor die Weltausstellung in London von 1851 und die Art Treasures-Ausstellung von 1857 in Manchester. War die Weltausstellung von 1851 eine inhaltlich-systematische Anregung für das South Kensington Museum, das spätere Victoria & Albert Museum, dessen Ziel die Verbesserung des Geschmacks von Konsumenten und Produzenten sowie die Ausbildung von Gestaltern und Designern bildete, so wurde das Museum selbst als Vorbild für die Anlage der Provinzmuseen erachtet.

Waterfield beschäftigt sich weiterhin mit den Einflüssen von französischen und deutschen Museumskonzepten, mit Überlegungen zum angemessenen Architekturstil, dem Einzug technischer Errungenschaften und der Präsentation der Exponate. Durch den Reichtum an Möglichkeiten, die sich dem Besucher in der Gestaltung des Museumsbesuches und der Wegführung boten, die Vielfalt unterschiedlichster Exponate, die Pracht der Architektur, die großen Hallen, die zum Treffen und Gespräch, zum Konzert einluden, die Museumsrestaurants wurden diese modernen Museen zu einem "palace for the people" (163). Dabei betont Waterfield in Anschluss an Kate Hills Untersuchung zu viktorianischen Museen von 2005 die Freiheit und Selbstbestimmung des Besuchers, der eine eigene Auswahl aus der Fülle des Angebotes trifft und nicht fremdbestimmt geleitet wird.

Waterfield schildert die Genese der Präsentation von Kunst in diesen Museen von temporären Ausstellungen von sowohl zeitgenössischer Kunst, die mit Unterstützung der ansässigen Künstlerverbände oder der Royal Academy zustande kamen, als auch von historischer Kunst, die sich aus Leihgaben und Privatsammlungen speisten. Die Künstler hatten maßgeblichen Anteil an der Gestaltung und Konzeption der Ausstellungen, zumal in England, wie Waterfield betont, der akademisch ausgebildete Museumkurator erst vergleichsweise spät auftritt. In Hinblick auf die zunehmende Sammlungstätigkeit der Provinzmuseen stellt Waterfield einen Schwerpunkt auf englischer Kunst fest, die sowohl unter patriotischen Aspekten bevorzugt wurde als auch unter der Auffassung, dass sich in ihrer realistisch-narrativen Ausrichtung der wünschenswerte Charakter der Kunst manifestiere. Waterfield analysiert exemplarisch das Vorhandensein bestimmter Gruppierungen der englischen Kunst in den unterschiedlichen Museen, wobei der Schwerpunkt auf zeitgenössischen Werken lag. Dabei zeigt der stete und elegante Wechsel zwischen verschiedenen Beispielen die fundierten Kenntnisse des Autors zu Geschichte und Sammlungen der englischen Museen.

Ausführlich widmet sich Waterfield den didaktischen Aufgaben der viktorianischen Museen, die oft auch in der Anbindung an die lokalen Kunst- und Kunstgewerbeschulen verstärkt wurden. Kopien und Abgüsse waren dabei legitime Mittel, um bedeutende Kunstwerke als Vorbilder verfügbar zu machen. Er verfolgt die Genese der didaktischen Medien - von Katalogen, Beschriftungen, Vorträgen und Führungen für Kinder. Weiterhin widmet er sich, konzentriert auf exemplarische Fälle, der Genese von Museumssammlungen, seien es private Museen reicher Sammler, seien es die Anstöße durch Schenkungen, Stiftungen reicher Bürger, politische Entscheidungen, Vorstellungen von Geldgebern als auch durch die Entwicklung in der Heranbildung und Ausbildung von Kuratoren.

Im dritten Teil beschäftigt sich Waterfield sowohl mit der Weiterführung der viktorianischen Erziehungskonzepte als auch mit dem Ablehnen der viktorianischen Museen durch Änderungen in der Kunstwelt selbst, die sich nun den ästhetischen und didaktischen Idealen der Vorgänger versagten. Er zieht den Bogen bis zur Gegenwart, wobei er den Erfolg der viktorianischen Museen betont, der darin liege, dass sie auf die Besucher ausgerichtet waren und sich auf deren Bedürfnisse eingelassen hätten. Das viktorianische Erbe der Regionalmuseen erkennt er heute noch daran, dass sie sich als Museen für die Bevölkerung ihrer Stadt verstünden - unabhängig von inhaltlich-ästhetisch veränderten Konzepten. Dieser Besucherbezug bildet für Waterfield das Herausragende der viktorianischen Museumsgründungen und zugleich ihr Vermächtnis.

Das gründliche, vorzüglich recherchierte, elegant geschriebene, in der vermittelten Information sehr dichte Buch spiegelt die intensive Beschäftigung und die äußerst fundierten Kenntnisse des Autors zu seinem Thema. Die Gliederung ist klar, auf einander aufbauend strukturiert, die einzelnen Unterpunkte besitzen eine gute Länge, und die Zusammenfassungen am Ende der jeweiligen Kapitel bündeln die vorherigen Untersuchungen gelungen, wobei die jeweiligen Ziele und Anliegen der viktorianischen Museen sowohl in Hinblick auf ihren damaligen Erfolg als auch auf ihre Kontinuität und Durchsetzungsfähigkeit hin betrachtet werden. Damit zieht Waterfield immer wieder den Bezug zur eigenen Gegenwart und beleuchtet sowohl das viktorianische Erbe als auch die Unterschiede zu jüngeren Museumskonzepten. Waterfield gelingt es dadurch, eine umfassende und vielschichtig angelegte Geschichte der viktorianischen Museen vorzustellen und zugleich im Verfolgen ihrer Konzepte und Anliegen ins 21. Jahrhundert hinein auch Fragen nach der Relevanz und dem Erfolg der aktuellen Museumsvorstellungen anzuregen.

Michaela Braesel