Rezension über:

Karl Christian Führer: Die Stadt, das Geld und der Markt. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik 1960-1985 (= Studien zur Zeitgeschichte; Bd. 89), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, VI + 412 S., ISBN 978-3-11-041479-0, EUR 59,95
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Rezension von:
Anne Crumbach
Historisches Institut, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule, Aachen
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Anne Crumbach: Rezension von: Karl Christian Führer: Die Stadt, das Geld und der Markt. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik 1960-1985, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 6 [15.06.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/06/28200.html


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Karl Christian Führer: Die Stadt, das Geld und der Markt

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Vor wenigen Tagen titelte die Süddeutsche Zeitung: "Seit Einführung der Mietpreisbremse steigen Mieten stärker als zuvor". [1] Die Kollegen des Politmagazins Panorama berichteten derweil von "Grundstücks-Spekulanten", die den ohnehin schon prekären Wohnungsmarkt verschärfen würden. [2] Die Süddeutsche Zeitung wiederum porträtierte in einer über 30-teiligen Serie die "großen Spekulanten" unserer Zeit. [3]

Diese kurzen Beispiele zeigen ein Spannungsfeld, dem sich Karl Christian Führer in seiner Studie "Die Stadt, das Geld und der Markt" widmet. Die Angst vor Mietpreisexplosionen und Immobilienmagnaten, die den Traum vom Eigenheim oder dem kostengünstigen Wohnen platzen lassen, füllten eben nicht nur heute, sondern auch schon in den 1960er-Jahren die Nachrichten.

Führers Erzählung taucht tief in ein Geflecht aus Politikern, Mietern, "Spekulanten" und Protestlern ein, die mit ihrem Kampf um die Ressource Boden komplexe Strukturen des sozialen Handelns erkennen lassen (4). Dabei wird deutlich, dass der Begriff der Boden-"Spekulation" und des "Spekulanten" über die Jahrzehnte lebhaft und widersprüchlich diskutiert, ja sogar skandalisiert wurde. Führer beschreibt nicht nur, wie sich die Wahrnehmung der Figur des "Spekulanten" entwickelte, sondern versucht gleichzeitig soziale Handlungsprozesse der Akteure zu analysieren und Aussagen über die Beteiligten zu treffen: "Möglicherweise [...] sagt die Skandalisierung im vorliegenden Fall sogar mehr über die Ankläger als über die beschuldigten 'Spekulanten' [...]" (4). Mit diesem Zugriff setzt Führer neue Maßstäbe in der Analyse von Wirtschafts- und Immobiliengeschäften, indem er die Vernetzung der Akteure und ihrer Aktionen als soziale Handlungen beschreibt.

Um diese Entwicklungen nachzeichnen zu können, stellt Führer die Figur des "Spekulanten" in den Mittelpunkt (3). Der "Spekulant" wird zum Sinnbild kontroverser und polemischer Diskussionen, das die Beziehung zwischen städtischen, politischen und gesellschaftlichen Akteuren beleuchtet. Mithilfe der Skandalisierung dieses Begriffes schafft der Autor eine weitere Analysekategorie (4). Hier wäre es jedoch wünschenswert gewesen, den Skandal als methodisches Instrument noch stärker zu betonen.

Die Studie gewinnt nicht nur durch den innovativen Zugriff, sondern auch durch die weitreichende historische Kontextualisierung, die bis in die Kaiserzeit zurückreicht. Führer gelingt es so, den Aufruhr und Protest über "Spekulanten" historisch weitreichend einzuordnen (5). Daraus könne, so Führer, abgeleitet werden, mit welchen "Vorstellungen und Erwartungen [...] die Deutschen auf ihre Städte und deren Wohnungsmarkt schauten" (8).

Führer unterteilt seine Studie in drei thematische Blöcke. Sein erstes Kapitel widmet er den Debatten um "Bodenspekulationen" (9-97). Führer spannt in seiner Erzählung einen Bogen über das Kaiserreich bis in die junge Bundesrepublik. Der Leser erhält einen kurzweiligen Eindruck einer über Jahrzehnte andauernde und verschiedene politische Systeme überdauernde Debatte. Die hitzigen Diskussionen über Preissteigerungen bei Grundstücken setzten sich in den 1960er-Jahren fort und schürten die Angst vor negativen volkswirtschaftlichen Folgen. In diesem Kapitel stehen die staatlichen Überlegungen und ihre Wahrnehmungen im Mittelpunkt.

In seinem zweiten Kapitel beschäftigt sich Führer mit "Spekulationen" auf bebautem Grund, insbesondere mit den Häuserkämpfen im Frankfurter Westend, in Hamburg und in West-Berlin (99-236). Die bereits im ersten Kapitel erläuterte Sorge um steigende Bodenpreise findet im zweiten Kapitel ihre Fortsetzung. Nun reicht der Blick auf geografisch ausgesuchte Beispiele, hinaus aus dem Parlament hinein in die besetzten Häuser an Main, Elbe und Spree.

Mit den Hausbesetzungen erreichte die Diskussion laut Führer eine neue Qualität. Sie erhielten öffentliche Aufmerksamkeit und Sympathiebekundungen für ihren Protest gegen "Spekulationen" mit Gebäuden. Die Stadtverwaltungen agierten in dem Spannungsfeld von Planungsprojekten, privater Investoren und eines sich zuspitzenden Protests. Die Auseinandersetzung zwischen diesen Akteuren zeigt, wie die "Spekulationen" mit Gebäuden und die Figur des "Spekulanten" zum Skandal aufgebaut wurden, wie antisemitische Vorurteile in den bereits hochpolitisierenden Konflikt hineinspielten. In diesem engen Netz von bürgerlichem Protest und Gegenwehr agierte die Stadtverwaltung in einer verantwortungs- und machtvollen Position, die für den Verlauf eines Projekts nicht zu unterschätzen war. Insbesondere die dezidierte Darstellung der Fallbeispiele, die Charakterisierung der Immobilieninvestoren und Hausbesetzer sind ein großer Gewinn für das Kapitel.

Das darauffolgende letzte Kapitel konzentriert sich auf Debatte und Entwicklung von Mietwohnungen und Mieterrechten (237-369). Hier konzentriert sich Führer auf zwei Bereiche: den Lücke-Plan und die Charakterisierung des Immobilienmoguls Günter Kaußen. Anhand des Scheiterns des Lücke-Plans, der eine Preiskontrolle auf dem Mietwohnungsmarkt vorsah, skizziert Führer, wie sich die politische Konzeption eines freien Marktes für Mietwohnungen wandelte hin zu dem Leitgedanken, Mietwohnungen als soziales Gut zu schützen und unabhängig von wirtschaftlichen Prinzipien zu machen (237).

Ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt, dass Führer Neuland betritt. Der besondere Reiz der Studie liegt auf der Figur des "Spekulanten", der in unterschiedlichen Feldern - Boden, bebauter Boden und Mietwohnungen - eine ambivalente Interpretation erfuhr. Der Mieter hingegen erwartet - insbesondere durch die Gefahr durch "Spekulanten" und neuer Krisenerfahrungen - preisgünstiges Wohnen, das nicht den wirtschaftlichen Schwankungen unterlag.

Die Studie überzeugt als Geschichte eines Wahrnehmungswandels. In der Figur des "Spekulanten" werden Handlungsmuster, wirtschaftliches Geschäftsgebaren und politische Leitideen offengelegt. Karl Christian Führer schafft mit seiner Studie eine Verbindung zwischen Stadt- und Mentalitätsgeschichte, indem er das Handeln der Akteure, ihre Deutungskämpfe und persönliche Interessen als ein enggestricktes Netz gegenseitiger Abhängigkeit und Verwicklungen darstellt, die massiven Einfluss auf unser Verständnis von Wohnen und Eigentum genommen haben.


Anmerkungen:

[1] Seit Einführung der Mietpreisbremse steigen Mieten stärker als zuvor, in: Süddeutsche Zeitung, Online Ausgabe, 20.05.2017, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/mieten-seit-einfuehrung-der-mietpreisbremse-steigen-mieten-staerker-als-zuvor-1.3514985 [zuletzt aufgerufen am 22.05.2017].

[2] Johannes Edelhoff / Christian Salewski: Grundstücks-Spekulanten verschärfen Wohnungsnot, in: Panorama Online, Sendung vom 20.04.2017, http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2017/Brachliegende-Grundstuecke-Spekulanten-verschaerfen-Wohnungsnot,grundstuecksspekulation100.html [zuletzt aufgerufen am 22.05.2017].

[3] Die großen Spekulanten, in: Süddeutsche Zeitung, Online Ausgabe, http://www.sueddeutsche.de/thema/Die_gro%C3%9Fen_Spekulanten [zuletzt aufgerufen am 22.05.2017].

Anne Crumbach