Klaus Schwabe: Jean Monnet. Frankreich, die Deutschen und die Einigung Europas (= Veröffentlichungen der Historiker-Verbindungsgruppe bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften; Bd. 17), Baden-Baden: NOMOS 2016, 480 S., ISBN 978-3-8487-3385-9, EUR 49,00
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Jean Monnet (1888-1979) gehört unzweifelhaft zu den bedeutenden Gestaltern der europäischen Einigung. Doch der Name des ersten Ehrenbürgers Europas ist bis heute nur in Fachkreisen bekannt. Im öffentlichen Bewusstsein Deutschlands scheint Monnet nahezu in Vergessenheit geraten zu sein.
Klaus Schwabes politische Biografie hat sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern. Deshalb fragt er, was von Monnet und dessen politischer Einflussnahme auf den Integrationsprozess für das Europa der Gegenwart bleibt. Das Buch versteht sich nicht zuletzt als Beitrag zur gegenwärtigen Debatte über den Nutzen und den Nachteil der Einigung Europas.
In insgesamt zehn Kapiteln spürt Schwabe sowohl der Person Jean Monnet als auch seinen Weichenstellungen für die Europäische Union von heute nach. Er bettet diese Geschichte in internationale Kontexte ein.
Sowohl das erste als auch das letzte Kapitel rücken die Herkunft und den Charakter Monnets in den Vordergrund. Monnet stammt aus Cognac und wird in einem weltoffenen, aber provinziellen Milieu groß. Schon früh bereist er die Welt und sammelt Auslandserfahrungen in den USA, in London, Skandinavien, Russland, China und Ägypten. Schwabe schildert ihn als selbstsicheren jungen Mann, der enge Beziehungen zu Großbritannien pflegt und über gute Englischkenntnisse verfügt.
Als entscheidendes Moment seiner Biografie gilt das Jahr 1915, in dem Monnet die Versorgung der Alliierten mit Lebensmitteln und Rohstoffen zu organisieren half. Der Erste Weltkrieg markiert gleichsam den Beginn seiner Karriere als internationaler Wirtschaftsorganisator. Er ist bald auch im Generalsekretariat des Völkerbundes aktiv und wird eine feste Größe in der internationalen Politik. Davon legt auch seine Freundschaft mit dem amerikanischen Außenminister John Foster Dulles Zeugnis ab.
In den Kapiteln 2 bis 9 rückt die Persönlichkeit Monnets allerdings mehr und mehr in den Hintergrund. Die europäische Geschichte mitsamt ihren politischen Akteuren und Ereignissen steht hier im Fokus. Das Buch geht in diesen Kapiteln sehr detailliert und kenntnisreich auf die von Monnet politisch beeinflusste Institutionen- und Verwaltungsgeschichte Europas ein. Den Anfang macht hierbei Monnets Vorschlag von 1940 an Winston Churchill: Die Fusion der französischen und britischen Luftwaffe sowie seine Idee, die französische und britische Nation zu verschmelzen. Der Leser lernt Monnet zudem kennen als einen "Pilot der amerikanischen Rüstungsplanung", der das Schlagwort von der "Waffenkammer der Demokratie" (73) geprägt hat.
Als der Algerienkrieg Frankreich vor eine Zerreißprobe stellt, arbeitet Monnet an einem innerfranzösischen Kompromiss. Sein politisches Ansehen steigt mit der Beseitigung des Konflikts. Gleichzeitig kühlt das einst gute Verhältnis zu de Gaulle ab, weil sich dessen Europavorstellungen von denen Monnets immer stärker unterscheiden.
Monnet entwickelt in der Folge Pläne für die Modernisierung Frankreichs, kämpft für die Reanimation der französischen Wirtschaft und die Neuorientierung der französischen Europapolitik. Seine Aufgabe sieht er in der Ausarbeitung eines politischen Konzepts für die westeuropäischen Schlüsselindustrien. Der Hohen Behörde als das Herzstück dieses Konzepts steht Monnet als Präsident vor.
Ihm geht es, so zeigt Schwabe eindrucksvoll, um politische Gleichberechtigung statt Beherrschung sowie um das Ende einer Politik der endlosen Demütigung.
Schwabe porträtiert Monnet als geschickten Diplomaten, der auch in schwierigen Momenten (Koreakrieg, Saarfrage, Auseinandersetzungen um die Europäische Verteidigungsgemeinschaft) den Durchblick behält und es schafft, Parteien zurück an den Verhandlungstisch zu holen.
Zwar gelingt mit Unterstützung von Ministerpräsident Guy Mollet 1956/57 der Durchbruch bei den Verhandlungen über die EWG und Euratom. Allerdings führt das Beitrittsgesuch Großbritanniens zu einem Rückschlag für die europäische Einigung. Das Veto General de Gaulles 1963 kann Monnet nicht nachvollziehen. Es spaltet nicht zuletzt die deutschen Europapolitiker (Gaullisten versus Transatlantiker). Auch gegenüber dem Elysée-Vertrag ist Monnet zunächst skeptisch, weil er eine zu starke Konzentration auf bilaterale Verhandlungen befürchtet.
Das sind nur einige Aspekte, denen sich Schwabes Biografie widmet und die Monnet in erster Linie als Architekt der europäischen Einigung und als Organisator des gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl zeigt. Er sieht in ihm aber auch den Initiator der deutsch-französischen Versöhnung. Schwabe schildert Monnet als Perfektionist und Macher, als leidenschaftlichen Zeitungsleser, als Visionär und eine Art Künstler in Bezug auf die Metamorphosen der Europäischen Gemeinschaft. Monnet stellt, trotz einigen politischen Rückschlägen, immer wieder die Weichen für den weiteren Integrationsprozess.
Privat deutet Schwabe ihn als Familienmensch und begeisterten Spaziergänger. Doch das Privatleben wird insgesamt nur grob skizziert. In der Tat handelt es sich um eine Biografie, die das Politische in den Vordergrund stellt.
Es ist beeindruckend, was Schwabe alles zutage fördert. Selbst für ausgewiesene Europa-Experten kommen hier Facetten der europäischen Geschichte zum Vorschein, die anderswo nicht zu finden sind. Das ist zugleich das Manko des Buchs, das Monnet ins öffentliche Bewusstsein holen wollte. Denn über die wissenschaftliche Community hinaus wird das Buch auf wenig Interesse stoßen, weil zu seinem Verständnis eine exzellente Kenntnis der europäischen Geschichte nach 1945 vonnöten ist.
Kritisch ist darüber hinaus anzumerken, dass die verwendete Literatur nicht vollständig im Literaturverzeichnis auftaucht. Schwabe konzentriert sich zudem auf einige wenige Werke, sodass sich der wissenschaftliche Europa-Diskurs in seiner Literatur nur rudimentär widerspiegelt.
Auch der Titel ist ein wenig irreführend: Die Deutschen tauchen zwar im Untertitel des Buches, nicht jedoch im Inhaltsverzeichnis auf. Außer in Kapitel 3 (V) und 9 (IV), in denen es um die "deutsche Frage", sprich um Deutschlandpolitik geht, ist von den "Deutschen" auch überhaupt nicht die Rede, sieht man von deutschen Spitzenpolitikern wie Adenauer, Erhard, Hallstein oder Strauß ab.
Zudem hätte das Buch sorgfältiger redigiert werden müssen. Denn hier wird der Branntwein gleich mehrmals zum "Brandwein" (z.B. 40), und Monnet, 1888 geboren, soll 1896 als 18-Jähriger den Westen Kanadas aufgesucht haben (21). Auch Formulierungen wie "hinkte [...] hinter dem [...] hinterher" (72), oder "war am Austrocknen" (39), sowie einige Wechsel im Tempus (vor allem 242ff.) hätten so vermieden werden können. Den Eindruck einer lesenswerten politischen Biografie, die durch ihre Detailkenntnisse besticht, trüben diese Monita jedoch nicht.
Jürgen Nielsen-Sikora