Andrea Gamberini: La legittimità contesa. Costruzione statale e culture politiche (Lombardia, XII-XV sec.) (= La storia. Temi; Vol. 54), Roma: Viella 2016, 290 S., ISBN 978-88-6728-677-5, EUR 29,00
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Der Übergang von den hochmittelalterlichen Kommunen zu den spätmittelalterlichen Regionalstaaten Italiens ist ein bekanntes Thema der internationalen Mediävistik. In den letzten Jahrzehnten hat insbesondere die Schule von Giorgio Chittolini viel dafür getan, die Komplexität der Staatsbildungsvorgänge vor allem in der Lombardei herauszuarbeiten. Die Grundidee von Gamberinis Zusammenschau dieser Forschungen, zu denen er selbst beigetragen hat, deutet sich in den Hauptbegriffen des Titels an: Das Buch will die politische Geschichte Norditaliens zwischen etwa 1100 und 1500 mithilfe der Begriffe 'Legitimität', state building und 'politische Kultur' neu durchdringen. Im Zentrum steht dabei der dritte Begriff, und zwar im Plural, denn es geht darum, die bisher dominierende staatliche Perspektive um den Aspekt rivalisierender oder komplementärer 'politischer Kulturen' zu erweitern.
Ausgangspunkt ist die These, dass "die politische Auseinandersetzung in den Staaten des Spätmittelalters [...] auch durch die dauerhafte Präsenz einer Vielzahl von inhaltlich und strukturell unterschiedlichen politischen Kulturen genährt wurde" (9, hier und im Folgenden Übersetzung des Rezensenten). Es geht nicht um die historischen Ursprünge dieser Kulturen und auch nicht um eine bloße Rekonstruktion ihrer spezifischen Sprachgebräuche ("linguaggi politici"), sondern darum, ihre Inhalte und ihre Wirkungen auf konkrete politische Kämpfe zu beschreiben; ihre Hauptfunktion habe darin bestanden, einer politisch aktiven Gruppe oder herrschenden Elite Legitimität zu verschaffen. Dies ist ein produktiver Ansatz, denn er hat das Potenzial, zu einer kulturwissenschaftlich fundierten Erklärung der strukturellen Konflikthaltigkeit von Politik beizutragen.
'Kultur' sei - so die in der Einleitung gegebenen Hinweise - mehr als ein bloßer Überbau à la Marx und erschöpfe sich auch nicht in sprachlichen Äußerungen. Vielmehr sei Kultur das Umfeld, das über die Deutung der Realität durch die Individuen entscheide; Kulturen seien "Filter der Interpretation" (22) oder auch "ideologische Filter" (231), ein Set von Logiken, Werten und "idealità" (etwa: Idealen), die von Generation zu Generation weitergegeben, dabei aber auch verändert werden.
Welche politischen Kulturen im städtisch geprägten Norditalien aufeinandertrafen und was ihre Hauptmerkmale waren, ist Gegenstand von zwei Teilen mit elf bzw. neun Unterkapiteln. Hervorzuheben ist die ausdrückliche Verbindung der früheren Kommunalgeschichte (im ersten Teil, circa 1100-1300) mit der Geschichte der signorie und Fürsten- oder Regionalstaaten (im zweiten, ausschließlich dem Herzogtum Mailand gewidmeten Teil, circa 1300-1500). Indem er einen so großen Bogen spannt, kann der Autor zeigen, dass bestimmte politische Kulturen, die für die Fürstenstaaten charakteristisch scheinen, bereits in kommunaler Zeit entstanden sind und sich im Lauf der Zeit wandelten: so zum Beispiel die "cultura pattista" (Kultur des Vertrags), die zuerst im Verhältnis zwischen Landbewohnern und Territorialherren zu beobachten ist (Kap. I 10), später jedoch auch die Beziehungen zwischen peripheren Kräften (unterworfenen Städten, adligen Herren) und Fürsten regelte (Kap. II 9). Oder die "cultura delle fazioni" (Kultur der Parteien), die in den Kommunen des 13. Jahrhunderts mit Guelfen und Ghibellinen formalisiert wurde (Kap. I 8), aber auch im Herzogtum des späten 15. Jahrhunderts ein wichtiges Medium war, um die Kommunikation zwischen Hof und Peripherie zu sichern (Kap. II 8). Oder auch die "cultura giuridica", eine der Haupterrungenschaften der Kommunen im 12. und 13. Jahrhundert (vor allem Kap. I 9), die von dem aus der Stadt hervorgegangenen Fürstenhof übernommen und seinen Interessen angepasst wurde (Kap. II 4).
Die Perspektive der kontrastierenden politischen Kulturen hat nicht nur den Effekt, dass systematisch auch das Verhältnis zwischen Stadt und Land sowie zwischen den kleineren, unterworfenen Städten und dem Machtzentrum Mailand in den Blick kommt; sie hat auch den Vorteil, dass neben den Positionen der (kommunalen, adligen oder fürstlichen) Machthaber stets auch jene der untergebenen Bauern oder Städte beachtet werden. Dies ist ein großes Verdienst des Buches, dessen stärkste Kapitel diejenigen sind, in denen Wandel und Anpassung der Rechtskulturen (Kap. II 4, II 9), die neue Kultur der sozialen Distinktion der Individuen (Kap. II 5) und die Rolle der 'Parteien' (Kap. II 8) im Fürstenstaat analysiert werden.
Einzuwenden ist jedoch, dass Gamberinis Kulturbegriff zu unverbindlich bleibt. Wenn man jedes Phänomen so großzügig, wie es hier geschieht, als "cultura" bezeichnet, dann schwächt man die Erklärungskraft des Begriffs. Nicht jeder Interessengegensatz und nicht jedes wiederkehrende Verhalten lassen sich als 'Kultur' definieren. Sind Spannungen zwischen Kommunen und Feudalherren zu beobachten? Folgt man dem Autor, dann lag das an der "cultura feudale", die sich mit der juridifizierten politischen Kultur der Kommunen nicht vertrug. Nehmen Bauern bei Gefahr die Burg ihres adligen Herrn als Zuflucht in Anspruch? Dahinter steckt eine "cultura del confugere ad castrum" (113). Und das sind nur wenige Beispiele aus einer schier endlosen Reihe: Neben den schon genannten Kulturen gab es solche des Besitzes, der Territorialität, der iurisdictio, des Konflikts, der Institutionen, der Einheit und des Friedens, der Praktiken im Gegensatz zur "cultura notarile" usw. Damit riskiert man, soziale, ökonomische, klientelare oder politische Konflikte, Kämpfe um Macht oder Ehre quasi zu 'materialisieren': Wenn komplexe historische Konstellationen einfach so erklärt werden, dass zwei 'Kulturen' aufeinandertrafen, dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem essentialistischen Verständnis von Kultur. Sollen mithilfe des Kulturbegriffs vieldeutige Zusammenhänge von Interessen, Sprachgebräuchen und symbolischer Kommunikation einfach nur auf eine bequeme Formel gebracht werden? Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Kritisiert werden müssen auch die Darstellung der Quellen und das Lektorat. Es ist klar, dass der Autor sich im ersten Teil vorwiegend auf vorhandene Forschungen stützt, während er für den zweiten Teil in größerem Umfang auf eigene Studien zurückgreifen kann. Man hätte freilich in beiden Teilen gerne einige zentrale Quellen im Wortlaut gelesen. Die einzige längere Passage, die vorgestellt wird - aus der Chronik des Salimbene (75f.) - ist nicht nach der besten Edition, sondern aus zweiter Hand zitiert. Von den zahlreichen "giuristi", die in den Kapiteln zur kommunalen Rechtspolitik immer wieder kollektiv genannt werden, findet sich kaum einmal ein Name und schon gar kein Textbeispiel. Entsprechend arm an Quelleneditionen ist die den Band beschließende Bibliografia (243-278): Von den einleitend (16) angekündigten Zeugnissen der pragmatischen Schriftlichkeit ist nicht viel zu sehen, und der einzige unedierte Bestand, der in den Fußnoten ausgewiesen wird (193, 199, 204), ist in der Bibliografia nicht einmal erwähnt. Manche Titel - etwa "Chuonradi II constitutiones" - sind so verkürzt angesetzt, dass man zweifelt, ob der Autor sich wirklich die Zeit genommen hat, den MGH-Band noch einmal in die Hand zu nehmen. Es kommt hinzu, dass der Text entschieden zu viele Druckfehler aufweist. Und auch nach vollendeter Lektüre blickt man ratlos auf das Umschlagbild, das zwei Ritter im tödlichen Zweikampf zeigt: Deutet das doch auf den "clash of cultures" hin, den Gamberini im ganzen Buch wohlweislich unerwähnt gelassen hat? Was soll der Codex Manesse, aus dem die Miniatur stammt, mit den politischen Kulturen der italienischen Kommunen und Fürstenstaaten zu tun haben? Man erfährt es nicht, denn das Bild bleibt unkommentiert.
Alles in allem hat Gamberini die Chance, die sein eigentlich begrüßenswerter kulturwissenschaftlicher Ansatz bietet, nicht konsequent genutzt. In der jetzigen Form kann Legittimità contesa nur ein erster Schritt sein, der weitergedacht werden müsste. Dem Buch wäre mehr Sorgfalt zu wünschen: vor allem auf der konzeptionellen Ebene (Kulturbegriff) und im Hinblick auf eine diszipliniertere Auswahl nachweislich relevanter politischer Kulturen, aber auch in der Darstellungsweise, mit exemplarischen Analysen von Originalquellen und mit einem verbesserten editorischen finish.
Thomas Frank