Ulf Sölter (Hg.): Italien so nah. Johann Anton Ramboux (1790-1866), Köln: Wienand 2016, 240 S., 203 Farb-, 47 s/w-Abb., ISBN 978-3-86832-324-5, EUR 38,00
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Johann Anton Ramboux war Maler, Kurator der Wallrafschen Sammlung in Köln ab 1844, Sammler italienischer Kunst mit der seinerzeit größten Privatgalerie früher italienischer Gemälde nördlich der Alpen, Restaurator (etwa des Kölner Klarenaltars und der byzantinischen Mosaikikone des Heiligen Nikolaus aus Aachen-Burtscheid), Denkmalpfleger, vor allem aber Kopist der Kunst Italiens vom frühen Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert. Und Ramboux hat ungebrochen Konjunktur: So verleiht die Stadt Trier seit 1961 den Ramboux-Preis zur Förderung junger Künstler und Künstlerinnen, und es liegen einige Ausstellungskataloge vor. Außerdem gibt es zwei Dissertationen, darunter jüngst die präzise Arbeit von Christina Angela Schulze vornehmlich zu den Aquarellen des "Museum Ramboux" in der ehemaligen Königlichen Kunstakademie Düsseldorf. Hinzu kommen zahlreiche Aufsätze und die unpubliziert gebliebene Habilitationsschrift von Alfred Neumeyer. [1]
Die Gründe für das durchaus kontinuierliche Interesse der Kunstgeschichte an Ramboux darf man in der Italienbindung des Faches suchen. Auch lokalhistorische Motive spielen - besonders in Düsseldorf, Köln, Trier, aber auch in Münster - eine Rolle. Zunächst und vor allem gab und gibt aber die Begeisterung für das 19. Jahrhundert als 'Jahrhundert der Kopie' immer wieder Anlass, sich mit Ramboux zu beschäftigen: In zeitlicher Koinzidenz mit der Übergabe des 1841 als akademische Lehrsammlung eingerichteten "Museum Ramboux" an die Städtischen Kunstsammlungen Düsseldorf erschien 1922 Aby Warburgs Aufsatz zum Fresko der Konstantinschlacht von Piero della Francesca in Arezzo, inklusive einer zwischen 1838 und 1840 entstandenen Aquarellkopie von Ramboux als "Farbendruck". [2] Sie wird von Warburg für die Rekonstruktion der Fehlstellen funktionalisiert, "um den Eindruck der verschwundenen Reitergruppen in Farbe und Umriss wieder hervorzurufen" und um der "schmerzlich empfundenen Vergänglichkeit höchst malerischer Schöpfung" zu begegnen: "Tragen die Wasserfarbenkopien [...] auch nicht den Stempel der Meisterhand des 'Monarca dei Pittori', so sind sie doch in ihrer schlichten Treue ein unschätzbares, zuverlässiges Hilfsmittel zur Belebung der Schilderung Vasaris" [id est der Beschreibung in den Vite]. [3] Ramboux als "treufleißiger" (Goethe), "trefflicher" (Rumohr) oder sogar "meisterhafter" (Kugler) Kopist - diese Ruhmestopoi bestimmen in der Nachfolge des Warburg-Textes den Tenor der Auseinandersetzung, etwa wenn es um die Rekonstruktion von Kunstwerken geht, oder was die Nähe und Ferne zum Original anbelangt. [4] Die Vorbildfunktion von Kopien, die übrigens bereits von Goethe kritisiert wurde, tritt mithin im Lauf der Zeit zurück hinter ihre Instrumentalisierung für eine Kunstgeschichte als Wissenschaft.
Auch der schöne Katalog der Ausstellung im Clemens Sels Museum folgt diesen Prätexten. So spielt zum Beispiel Peter Bell in seinem Beitrag die "schlichte Treue" gegen die "künstlerische Freiheit" bei der Konstantinschlacht aus (34-41). Derselbe und Björn Ommer präsentieren aspektreich erste Versuche der automatischen Bildanalyse der Kopien von Ramboux durch die Heidelberger Computer Vision Group. Hier wird das Verhältnis von Original und Kopie rein visuell und nicht auf der Grundlage textlicher Metadaten (inklusive der Beschreibungsmacht von Kunsthistorikern und Kunsthistorikerinnen) abgeglichen (80-87). Ulf Sölter verfolgt in seinem Aufsatz unter anderem die Genese der Kopie von der Zeichnung über die Pause auf einem mit Öl durchscheinend gemachten Papier, dem sogenannten 'lucido', bis hin zu den später zumeist im Atelier gefertigten, leuchtenden Aquarellkopien, die ein pragmatisches Notatsystem der Farbwerte auf Zeichnungen nebst Farbskizzen voraussetzt (42-55). Das eindrucksvolle Finale des Katalogs bilden ausgewählte Lithografien aus Ramboux' 300 Blatt umfassendem Werk "Umrisse zur Veranschaulichung alt-christlicher Kunst in Italien vom Jahr 1200-1600" (Köln 1852-1858), Durchzeichnungen, vor allem von Köpfen, in Originalgröße reproduziert, sowie die 125 Lithografien aus den "Beiträgen zur Kunst des Mittelalters" (Köln 1860). Etwa ein Drittel der weit über 300 Aquarellkopien werden abgebildet. Ursprünglich wurden sie im "Museum Ramboux" - das gewiss unter diesem Namen auch der Vorbereitung des Nachruhms diente - goldgerahmt, unter Glas und in dichter Hängung neben- und übereinander gezeigt. [5] Gunda Luyken nimmt in ihrem Beitrag die Präsentationsstrategien in der Düsseldorfer Akademie in den Blick. Besonders interessant scheint mir hier der Spagat zwischen einem chronologischen, auf Künstlernamen fokussierten Arrangement und einer motivgeschichtlichen sowie gattungsspezifischen Ordnung. Hinzu kommt ein Vergleich mit ausgewählten Kopiensammlungen des 19. Jahrhunderts (70-79). Ergänzend lohnte es sich hier, weitere Forschungen in den Blick zu nehmen, vor allem die entsprechenden Passagen in der Dissertation von Christina Angela Schulze. Sie selbst gibt im Katalog nur eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse (12-34). Möglicher Weise böte es sich auch an, auf der Grundlage der Kataloge von 1841, 1851, 1883 und 1921 sowie der erhaltenen, zum Teil noch nicht ausgewerteten Grundrisse eine Abwicklung der Hängung zu visualisieren.
Der Katalogteil selbst umfasst 98 Nummern, trifft mithin eine Auswahl nach Monumenten: Die Reise geht vom Baptisterium der Orthodoxen in Ravenna bis - wie sollte es auch anders sein - zu Michelangelos Sixtina in Rom. Begleitet werden die Einträge durch Fotografien, vornehmlich von Allinari / Anderson, sowie mitunter durch die vorbereitenden Zeichnungen und auch durch einige wenige Abbildungen der Lithografien Ramboux'. Die Auswahl dieser "Kunstgeschichte in Bildern" ist klug; sie bildet zum Beispiel auch den Fokus des zehnjährigen, ohne direkten Auftrag initiierten Italien-Aufenthalt von Ramboux ab. Wie auch seine Akquise von Bildern zeigt, widmete er das größte Interesse der Kunst Mittelitaliens - mit Subiaco, Assisi und Siena sowie Werken der Hochrenaissance als besonderen Schwerpunkten. Wie in vielen Ausstellungskatalogen der jüngeren Zeit wurde auch hier auf Katalogtexte abseits der technischen Informationen verzichtet. Das ist aber kein Defizit, man muss lediglich parallel die Einträge in der Dissertation von Schulze in den Blick nehmen. Ausgewogen wie selten werden demnach sowohl das einzelne Werk, hier die herrlichen, strahlenden Aquarelle, als auch die Gesamtunternehmung eines 'multimedial' agierenden "musée imaginaire" sowie eines breit aufgestellten Künstlers präsent. Zum 150. Todestag von Johann Anton Ramboux kann man sich kaum eine gelungenere Aktivierung im Sinne einer modernen Kunstgeschichte vorstellen.
Anmerkungen:
[1] Christina Angela Schulze: "Museum Ramboux" - Eine italienische Stilgeschichte in Kopien von Johann Anton Ramboux (1790-1866) an der Königlichen Kunstakademie Düsseldorf (1841-1918), 2 Bde., Diss. Universität Wien 2011, http://othes.univie.ac.at/15740/1/2011-02-02_0848350.pdf. Vgl. zu Neumeyers Arbeit Claudia Wedepohl: Aby Warburg und die Aquarellkopie des Johann Anton Ramboux nach Piero della Francescas "Konstantinschlacht" in Arezzo, in: Petra Schöner / Gert Hübner (Hgg.): Kulturwissenschaft und Frühneuzeitforschung. Aufsätze für Dieter Wuttke, Baden-Baden 2013, 347-380, hier 365-370.
[2] Die 1821 übergebenen Bestände des ehemaligen "Museum Ramboux" befinden sich heute in der Grafischen Sammlung des Museum Kunstpalast in Düsseldorf.
[3] Aby Warburg: Piero della Francescas Constantinschlacht in der Aquarellkopie des Johann Anton Ramboux, in: Adolfo Venturi (Red.): L'Italia e l'arte straniera. Atti del X Congresso Internazionale di Storia dell'Arte in Roma (1912), Rom 1922 (erschienen 1923), 326f., Tav. LXXIX-LXXX, http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/1629/1/Warburg_Piero_della_Francescas_Constantinschlacht_1922.pdf. Das Digitalisat folgt leider dem Reprint von 1978 und gibt statt des Farbendrucks eine Schwarz-Weiß-Abbildung. Einschlägig zu Warburgs Text ist vor allem Claudia Wedepohl (wie Anm. 1).
[4] Vgl. etwa Gertrude Coor-Achenbach: The early nineteenth-century aspect of a dispersed polyptich by the Badia a Isola Master, in: The Art Bulletin 42 (1960), 143; Hans-Joachim Ziemke: Ramboux und die sienesische Kunst, in: Städel-Jahrbuch N.F. 2 (1969), 255-300; Roswitha Neu-Kock: Das Walburgis-Antependium. Das älteste Tafelbild Deutschlands im Besitz des Westfälischen Kunstvereins, in: Westfalen 59 (1981), 113-125.
[5] Eine vergleichbare Namensmemoria wird zum Beispiel mit der Einrichtung des "Reiff-Museums" in Aachen als Kopiensammlung und Museum der Werke von Franz Reiff (1835-1902) versucht. Siehe dazu: Martina Dlugaiczyk / Alexander Markschies (Hgg.): Mustergültig - Gemäldekopien in neuem Licht. Das Reiff-Museum der RWTH Aachen, Berlin 2008.
Alexander Markschies