Katrin Keller / Petr Mat'a / Martin Scheutz (Hgg.): Adel und Religion in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie. Annäherung an ein gesamtösterreichisches Thema (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Bd. 68), Wien: Böhlau 2017, 388 S., 30 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-20390-2, EUR 60,00
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Der vorliegende Sammelband versteht sich als Festgabe für den Wiener Historiker Thomas Winkelbauer, der seit 2010 das Institut für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG) leitet und am 14. März dieses Jahres das 60. Lebensjahr vollendete. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat sich Winkelbauer immer wieder mit der Geschichte des Adels sowie den eng damit verbundenen Prozessen der Konfessionalisierung und Staatsbildung in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie auseinandergesetzt. Aus der Vielzahl seiner Publikationen zu diesem Themenkomplex ist besonders die voluminöse Monographie über den Neufürsten Gundaker von Liechtenstein (1580-1658) hervorzuheben [1], der zu jener länderübergreifend begüterten Aristokratie gehörte, welche die in ihrer Verfassung höchst unterschiedlichen Territorien des Hauses Österreich nach 1600 prägte und gleich einem "Kitt" zusammenschweißte.
Vor diesem Hintergrund haben die Herausgebenden "für den Band drei inhaltliche Schwerpunkte" festgelegt: 1.) Adelskonfessionalisierung, 2.) innerchristliche Konversionen sowie 3.) die Verquickung von persönlicher bzw. familiärer religiöser Praxis mit adliger Herrschaftsrepräsentation (12-13). Die fünfzehn, bis auf zwei Ausnahmen in deutscher Sprache verfassten Beiträge decken in ihrer Summe die gesamte frühe Neuzeit (16. bis Anfang des 19. Jahrhunderts) und alle drei großen Ländergruppen (österreichische Erblande, Böhmen und Ungarn) der Habsburgermonarchie ab. Unter ihnen dominieren eindeutig Studien zum katholischen Adel, nur der Aufsatz von Josef Hrdlička untersucht mit den aus der Zeit zwischen 1520 und 1620 überlieferten lokalen Kirchenordnungen ein zentrales Instrument der Untertanenkonfessionalisierung durch protestantische Grundherren in Böhmen und Mähren (21-41). Die Sujets der mit Abstand meisten Autoren sind dem ersten der oben genannten Themenfelder zuzuordnen. Dem zweiten widmet sich lediglich Olga Khavanova (305-319), die nach den Erwartungen und der Realität von Glaubenswechseln zum Katholizismus unter der Regentschaft von Maria Theresia fragt. Das dritte Sachgebiet bearbeiten vor allem Petr Mat'a (109-143), Martin Scheutz (211-238) und Friedrich Polleroß (239-272). Die Beiträge von Alessandro Catalano (63-83) und Géza Pálffy (85-107) ergänzen eher die laufenden Forschungen zum Staatsbildungsprozess in Böhmen bzw. Ungarn, der von den konfessionellen Konflikten jener Epoche freilich in hohem Maße beeinflusst wurde. Thematisch etwas isoliert wirken demgegenüber Joachim Bahlckes abschließende Ausführungen über das Archiv, die Bibliothek und die Erinnerungskultur der schlesischen Familie Schaffgotsch (339-364).
Erfreulicherweise und im Gegensatz zu manch anderem Sammelband gehen fast alle Aufsätze dieses Buches über eine bloße Wiedergabe des spezifischen Forschungsstandes hinaus, indem sie - ganz im Sinne des Jubilars - die Erträge von mehr oder weniger aufwändigen Archivrecherchen präsentieren. Zwei Beispiele dafür seien im Folgenden etwas näher besprochen.
So zeigt Mat'as Beitrag, dass die im 17. Jahrhundert auf die Erlösung der armen Seelen aus dem Fegefeuer abzielenden katholischen Praktiken der "Totenfürsorge" nicht allein ein bedeutendes Element der barocken "Volksfrömmigkeit" bildeten, sondern schrittweise ebenfalls in die adlige Konfessionskultur integriert wurden. Dabei nahm Jaroslav Bořita von Martinitz (1583-1649), den die utraquistischen Stände nicht zuletzt wegen seines religiösen Eifers im Mai 1618 aus einem Fenster der Prager Burg stürzten, zusammen mit seinen Kindern in den Reihen des böhmischen Adels eine Vorreiterrolle ein. Bereits auf seiner "Grand Tour" durch Italien (1600) bemühte er sich bei Papst Clemens VIII. in Rom erfolgreich um ein nahezu unbeschränktes Ablassprivileg für die Familienkapelle im Veitsdom. Deren nördlich der Alpen damals noch ungewöhnlichen, auf diese Weise "privilegierten Altar" stattete Martinitz bis 1604 mit großzügigen Stiftungen zur intensivierten Abhaltung von Seelenmessen aus. Auch später betrieb der Graf jene einmal fest etablierte konfessionelle Selbstinszenierung mit einigem Aufwand: Als beispielsweise der Streit zwischen dem Erzbistum und den Jesuiten um die Andachtsformen der Arme-Seelen-Hilfe in Prag 1643 auf seinen Höhepunkt zusteuerte, stellte er sich auf die jesuitische Seite und erhöhte demonstrativ das Stiftungskapital für seine Domkapelle auf das Dreifache. Bei aller gerechtfertigten Betonung des rein repräsentativen Aspekts dieser Frömmigkeitsvariante darf das zusätzliche Motiv der zeitgenössischen Vorstellung von der adligen Familie als einer Gemeinschaft der Lebenden und Toten jedoch keineswegs ignoriert werden.
Der Aufsatz von Scheutz erforscht dagegen die religiösen Repräsentationsstrategien des Adels auf der grundherrschaftlichen Ebene. Mit Hilfe der bislang viel zu wenig beachteten Neugründung bzw. Weiterführung von Spitälern vermochten sich hohe wie niedere Adlige in der Habsburgermonarchie einerseits als fürsorgliche Obrigkeit zu inszenieren. Andererseits verstärkte dieses christliche Engagement für Arme und Kranke zugleich ihre herrschaftlichen Zugriffsmöglichkeiten auf die Untertanen, indem die Spitalinsassen etwa zur Arbeit oder zum Gottesdienstbesuch verpflichtet wurden. Einige niederösterreichische Herren und Ritter bestimmten ihre oft kreuzförmig angelegten Herrschaftsspitäler sogar zur letzten Ruhestätte für ihre Verstorbenen, was die häufig untrennbare Verknüpfung der konfessionellen Außendarstellung mit den lokalen Herrschaftsansprüchen jener Landesmitglieder besonders augenfällig dokumentiert.
Diese und die meisten anderen Sammelbandbeiträge bieten - wenn auch in verschiedener Intensität - wichtige neue Erkenntnisse für ein verbessertes historisches Verständnis des vielschichtigen Verhältnisses von Adel und Religion nicht nur für die frühneuzeitliche Habsburgermonarchie. Gerade deswegen wäre in der Einleitung allerdings ein kurzer und mit Anmerkungen versehener Forschungsüberblick wünschenswert gewesen, auf den die Herausgebenden vermutlich angesichts des impliziten Festschriftcharakters verzichtet haben. Zumindest als missverständlich erscheint zudem der wiederholt für die Territorien der Wiener Habsburgerlinie verwendete Begriff "gesamtösterreichisch", könnte er doch genauso gut allein das Gebiet von Donau-, Inner- und Vorderösterreich bezeichnen. Gleichwohl ist zum Schluss zu konstatieren, dass die durch ein Orts- wie Personenregister gut erschlossenen Aufsätze dieses Buches die anhaltende Relevanz des Forschungsgegenstandes widerspiegeln und hoffentlich zahlreiche weitere Studien anregen werden.
Anmerkung:
[1] Thomas Winkelbauer: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; Ergänzungsband 34), Wien / München 1999.
Arndt Schreiber