Andrea Bonoldi / Markus A. Denzel / Andrea Leonardi et al. (eds.): Merchants in Times of Crisis (16th to mid-19th Century) (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Nr. 127), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 204 S., ISBN 978-3-515-11060-0, EUR 42,00
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Krisen stellten und stellen Kaufleute vor Herausforderungen. Sei es, dass sie interne Brüche in der Organisationsstruktur ihrer Unternehmungen zu bewältigen hatten, sei es, dass sie sich externen Krisen wie der Blockade von Handelswegen oder Verwerfungen auf Märkten ausgesetzt sahen. Die betroffenen Unternehmen entwickelten verschiedene Strategien, die die Kapitalstrukturen, die geschäftlichen Netzwerke und die Anpassung der gehandelten Produktpaletten betrafen. Die Herausgeber und die Herausgeberin des Bandes - Andrea Bonoldi, Markus A. Denzel, Andrea Leonardi und Cinzia Lorandini - nennen die Phänomenologie dieses unternehmerischen Vorgehens das Verhältnis von Resilienzmanagement (resilience management) zu Krisenmanagement (crisis management), durch welche sich Kaufleute ihren Zugriff auf Märkte zu erhalten und auf kommende Probleme einzustellen suchten. Ein besonderer Reiz besteht in der Verknüpfung von makro-ökonomischen Krisenstrukturen und Brüchen in konjunkturellen Abläufen mit unternehmerischem Handeln auf der mikro-ökonomischen Ebene, sodass im Einzelnen komplexe Aufgabenstellungen erkennbar werden. Zugleich beschäftigt sich das vorliegende Buch mit einer hoch brisanten und aktuell virulenten Fragestellung, die hier im historischen Blick auf reale Märkte angereichert wird.
Der aus einem Workshop in Trento im Jahr 2013 hervorgegangene Sammelband widmet sich diesen Zusammenhängen in acht, insbesondere auf den Transalpenhandel bezogenen Fallstudien nach einer makro-ökonomisch angelegten Perspektive auf wirtschaftliche Krisen. Giuseppe De Luca wendet sich darin den Krisen des Ancien Régime zu. Er markiert drei Krisenphasen zwischen dem 14. und dem 15. Jahrhundert, im 17. Jahrhundert und schließlich im späten 18. Jahrhundert, wobei er Simiands Modell der disruptiven Verwerfungen (brief-crises-modell) mit Abels Konzept von langfristigen Krisenstrukturen (crisis structures) kontrastiert. Im Rekurs auf die Arbeiten Domenico Sellas verweist er auf die Transformationsprozesse in der Lombardei nach den 1630er-Jahren und die Modifizierung von angestammten Hypothesen zu makro-ökonomischen Entwicklungen durch die aggregierende Analyse (aggregate analysis), die Krisenfaktoren gegen Aspekte von Wandlungsprozessen gegeneinander aufwiegt.
Edoardo Demo wendet sich den Absatznetzwerken Veroneser Seidenhändler im späten 16. Jahrhundert zu. Im Zentrum der Beobachtungen steht der Veroneser Patrizier Alessandro Guadagnini, dessen Handelsverbindungen bis nach Schweden reichten. Während er im Jahr 1582 mit den Venezianern Alvise Priuli und Gerolamo Corner eine Handelsgesellschaft in Stockholm gründete, führten Kapitalmangel, die Schwierigkeiten bei Transport und Kommunikation sowie der Mangel an verbindlichen Standards zum Scheitern der Unternehmung. Demgegenüber griff die Handelsgesellschaft um den aus Vicenza stammenden Seidenkaufmann Vincenzo Cogollo vor allem auf Kommissionäre auf den Absatzmärkten für ihre Seidentuche und innovative Produkte zur Schaffung "neuer" Märkte zurück.
Den transalpinen Handel über Nürnberg beschreibt Christof Jeggle für das 17. Jahrhundert. Die zugewanderten Specerey-Kaufleute konnten sich als Einzelwarenhändler besonders nach der schweren Krise zu Anfang der 1630er-Jahre durch den Absatz von Pomeranzen und Seidenprodukten behaupten. Die Regulierungsmaßnahmen des Nürnberger Bancoamtes zeigen italienische Großhändler wie die Brentano, Carli und Mattone als Schutzverwandte, wobei die Nachweise nach 1641 die vielfältigen Konflikte beim Vertrieb unterschiedlicher Warenpaletten darstellen. Obwohl durchgehend Auseinandersetzungen um die Regulierung des Handels erscheinen, waren nürnbergische und italienische Obsthändler offenbar nicht auf denselben Märkten aktiv. Durch den zunehmenden Einsatz von Kommissionären und Korrespondenten wurden die herkunftsbedingt etablierten Netzwerke flexibilisiert.
In der einzigen Studie, die sich nicht auf den Transalpenhandel bezieht, analysiert Pierre Gervais am Beispiel des Handelsarchivs Abraham Gradis die in Bordeaux ansässigen Zuckerkartelle. Während des Siebenjährigen Krieges passte ein Kaufmann wie Gradis die Absatzmengen an die Preisentwicklung an, um den kartellartig dominierten Import von Zucker aus der Karibik nach Frankreich auszunutzen. Die Stärke der Großkaufleute bestand im wirksamen Zugriff auf Kredite, auf Informationen und Absatzmärkte - wobei die Exklusivierung von Informationen über exogene Faktoren wohl zu einer Art der merkantilen Absprachepolitik (collective bargaining) führte.
Auf der Grundlage der Rechnungs- und Briefbücher, die die in Brig beheimateten Loscho-Brüder für den Zeitraum der 1780er- bis 1810er-Jahre hinterlassen haben, rekonstruiert Marie-Claude Schöpfer die Handelswege der vorwiegend im Leder- und Pelzhandel aktiven Gesellschaft. Dabei charakterisiert sie die durch Brig führenden Verkehrswege der Loscho-Unternehmung, die mit dem "Speditionsbuch" ein einmaliges Dokument für das Transportgeschäft hinterlassen hat. Dabei werden die Verknüpfungen zwischen überregionalem Speditionshandel und lokalen Absatzmärkten sichtbar. Die Korrespondenzen illustrieren überdies die wiederholten Schwierigkeiten während der französischen Besetzung des Wallis.
Das Fallbeispiel der Seidenhandlung des Giovanni Domenico Bonin aus Vicenza, das Francesco Vianello präsentiert, zeigt die wesentliche Bedeutung von "stillen Investoren" für die Produktion und den Vertrieb des hochpreisigen Produkts Seide. Als der adelige Graf Alfonso Loschi im Jahr 1792 seine Anteile bei Bonin zurückzog und dann München als einer der wichtigsten Exportorte Bonins von Napoleons Truppen besetzt wurde, gelang es der Unternehmung nicht mehr, das vorherige Niveau zu halten. Loschi allerdings investierte weiterhin in den Seidenhandel Vicenzas und exemplifiziert die besondere Rolle adeliger Kapitalgeber für Handels- und Produktionsgesellschaften.
Die Entwicklung des Unternehmens der Salvadori im Zeitraum von 1789 bis 1815 zwingt, laut Cinzia Lorandini, zur Revision der These von der Kontinental-Blockade als disruptivem Ereignis während der Revolutionskriege (hinsichtlich der Abhängigkeit vom Import von Seidenfäden aus England und Deutschland). Den Rechnungsbüchern der Unternehmung zufolge litten die im inneren Alpenraum aktiven Salvadori vor allem unter der Besetzung des Rheinlandes durch die Franzosen (weil diese Exportregion daher an den französischen Wirtschaftsraum gebunden wurde) und unter der bayerischen Besetzung Tirols (wegen der restriktiven Fiskalpolitik). Nach der Integration Tirols in das Königtum Italien-Österreich (1810-1815) expandierte der Handel der Salvadori wieder.
Markus Denzel stellt den Großhandel des Peter Paul Menz aus Bozen vor, indem er den umfangreichen Bestand der Menz im Tiroler Landesarchiv auswertet. Das insbesondere von Bankiers aus Augsburg finanzierte Handelshaus pflegte Kontakte zu den wichtigsten Textilproduzenten Schwabens und unterhielt gute Geschäftsbeziehungen nach England und Amsterdam. Während die Aktivitäten zwischen 1815 bis 1819 von Erfolg gekrönt waren, erlebte die Unternehmung in den Folgejahren eine für die Phase des frühen 19. Jahrhunderts symptomatische Konsolidierung mit Schwerpunkt in den Landen der Österreichischen Monarchie.
Im abschließenden Beitrag beschäftigt sich Andrea Bonoldi ausgiebig mit dem Niedergang der Messen in Bozen als epochales Signum des Bedeutungsverlustes der inneralpinen Wirtschaftsleistung um 1800. Dabei hätten insbesondere die prohibitiven Reformen unter Kaiser Joseph II. die Drosselung des Aufkommens auf den Bozener Messen bewirkt. Bonoldi bettet seine Beobachtungen in die Metaerzählung von "Staatswerdung" und "Prohibitivsystem" ein. Entgegen den Argumentationsfiguren der Handelsleute, die einerseits den Mythos des Goldenen Zeitalters Bozens durch Handelsfreiheiten und andererseits Gefahren durch alternative Transportrouten ins Feld führten, hing der Rückgang des Warenhandels auf den Messen vielmehr mit veränderten Vertriebsformen und der Differenzierung von Speditionswegen zusammen.
Die Stärke der Aufsatzsammlung besteht neben der thematischen Kohärenz in der grundlegenden empirischen Orientierung: Die meisten Beiträge stützen sich auf bislang eher wenig erforschte Archivbestände unternehmerischer Eigenüberlieferung. Die Autoren, die sich nicht primär auf Familien- und Unternehmensarchive beziehen, argumentieren eng an institutioneller Dokumentation entlang. Dadurch entsteht eine mikro- und makro-ökonomisch gedoppelte Perspektive auf die transalpine Wirtschaft zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert, die Wandlungs- und Anpassungsprozesse des für die europäische Binnenökonomie (unausgesetzt wichtigsten?) (Transit)Raumes beschreibt. Auf diese Weise gelingt eine ebenso überzeugende wie zukunftsweisende Darstellung: Erstens zeigt sich die herausragende Bedeutung von Handelsarchiven für die Erforschung von wirtschaftlichen Prozessen. Zweitens führt diese Aufsatzsammlung vor, dass die Perspektivierung von ökonomischen Entwicklungen auf der verlängerten Zeitschiene und im tiefgreifend differenzierenden Vergleich nur in koordinierter "Verbundarbeit" gewinnbringend möglich ist. Hier setzt auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Band an: Der sehr anregende, theoretisch unterfütterte Einführungsaufsatz zu Krisenszenarien von Giuseppe De Luca hätte im Einzelnen stärker aufgegriffen werden können; dies hätte dann zu einer besseren Verzahnung der Aufsätze geführt. Ein Register wäre bei einem Sammelband, der mit vielen Waren, Orten und Personen argumentiert, sehr wünschenswert. An der auffällig hohen Qualität der Beiträge ändern diese Einwände allerdings wenig.
Heinrich Lang