Wouter Vanacker / Arjan Zuiderhoek (eds.): Imperial Identities in the Roman World, London / New York: Routledge 2017, XII + 225 S., 12 s/w-Abb., ISBN 978-1-4724-4081-5, GBP 105,00
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Die Untersuchung von Formen der Selbstwahrnehmung und -darstellung wie auch der Abgrenzung gegenüber dem Fremden hat in den Altertumswissenschaften im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte besondere Bedeutung gewonnen. Dies gilt gerade auch für die kulturellen Wechselwirkungen, die mit der Expansion des Imperium Romanum verbunden sind. Durchaus kontrovers, gerade deshalb aber methodisch überaus fruchtbar, wird immer noch über grundlegende Probleme der komplexen und dynamischen Prozesse diskutiert, was sich auch in den Debatten über die zu verwendende Terminologie niederschlägt. [1]
Der hier zu besprechende Band ist aus dem Forschungsprogramm "Social Rituals in the Roman World" des in Gent und Brüssel angesiedelten 'Roman Society Research Center' hervorgegangen und vereinigt elf Vorträge eines 2014 in Gent veranstalteten Workshops. Welche Zielsetzung der Band dabei verfolgt, stellen die beiden Herausgeber in der Einleitung (1-15) dar. Ein zentrales Anliegen ist es, die von Teilen der Forschung vertretene Charakterisierung des Römischen Reiches als eines multikulturellen Imperiums (3) bzw. als "multicultural society" (2) herauszufordern. Das ist freilich nicht dasselbe, und die Herausgeber gehen auf dieses von ihnen problematisierte Konzept leider nicht in überzeugendem Maße ein. Auch wird die knappe Einleitung kaum den kontroversen Diskussionen um die Begrifflichkeiten von Kulturtransfer gerecht. Der Fokus soll jedenfalls auf der (den Herausgebern zufolge) bislang in diesem Kontext vernachlässigten Frage liegen, wie die römische Herrschaft Akzeptanz fand, welche Legitimationsstrategien zum Einsatz kamen, wie entsprechende, von der kaiserlichen Zentrale projizierte Ideologeme von der Bevölkerung rezipiert wurden und wie sie auf deren Identitäten wirkten. [2] Dass letztere überaus vielschichtig und kontextgebunden waren, sehen natürlich auch die Herausgeber. Ihnen geht es aber nichtsdestoweniger darum, einer "imperial identity" nachzuspüren, "that is, a sense (or indeed, various senses) of belonging to and identification with, the Imperium Romanum" (2). Das ist nun eine recht abstrakte Vorstellung. Konkreter ist es, nach der Kommunikation mit dem Herrscher zu fragen, wobei es problematisch ist, wenn dabei offenbar (1f.) von einer einheitlichen Erwartungshaltung der überaus heterogenen Bevölkerungsgruppen ausgegangen wird. [3] Im Mittelpunkt des Bandes steht dabei, dem angesprochenen Forschungsprogramm entsprechend, wie sich die "imperial identity" im Bemühen der Provinzialen, "to do things 'the right way,' i.e., the Greco-Roman imperial way" (Klappentext), d.h. in religiösen und gesellschaftlichen Ritualen, äußerte.
Diese Herangehensweise ist die Klammer für die folgenden, thematisch und chronologisch überaus heterogenen Beiträge. Diese gehen dabei nur zum Teil auf die in der Einleitung formulierten Probleme ein und legen ganz verschiedene Vorstellungen von "imperial identity/identities" zugrunde. Das schmälert zwar nicht den Wert der einzelnen Abhandlungen, die hier nur summarisch vorgestellt werden können. Eine stringente Untersuchung der eingangs formulierten Fragen erfolgt aber nicht durchgehend.
Andreas Hartmann untersucht Ursprungsmythen Roms und die Inkorporation griechischer Kulte und Riten bzw. von Elementen, die in der selektiven Wahrnehmung der Römer als typisch "griechisch" ausgemacht wurden. Die Folge sei zwar eine griechisch-römische Identität der "imperial aristocracy" gewesen, keineswegs jedoch eine multikulturelle Gesellschaft. Johannes Hahn beschäftigt sich mit der Verbreitung und Rezeption der munera im Imperium unter dem Gesichtspunkt der Gewaltanwendung und -darstellung, die der römischen Kultur in besonderem Maße zu eigen gewesen sei. Hahn spricht sich dafür aus, dass sich mit den Gladiatorenkämpfen nicht nur eine besonders spektakuläre Form der Unterhaltung verbreitet habe, sondern in der ritualisiert durchgeführten Gewalt vielmehr auch die assoziierten römischen Werte und letztlich die Vorstellung einer Überlegenheit Roms kommuniziert und akzeptiert worden seien.
Der Armee des Imperium Romanum, sicherlich ein zentraler Träger römischer Kultur, widmen sich zwei Beiträge. Connor Whately untersucht, wie ein originär germanischer Kriegsschrei in der Spätantike offenbar von römischen Legionären verwendet wurde. Dies ist für ihn ein Hinweis darauf, dass die Armee nicht multikulturell war, sondern mit der bekannten Metapher 'melting-pot' (72) umschrieben werden kann. Gwynaeth McIntyre analysiert das von Tiberius nach dem Tod des Germanicus verordnete rituelle Gedenken für seinen Adoptivsohn mit Blick auf 'the army'. 'Imperial identity' meint hier den Bezug zum Kaiserhaus, und obwohl die Loyalität der Legionen für den Princeps natürlich essentiell war, so werden hier nur unzureichend die Rahmenbedingungen der frühen Kaiserzeit berücksichtigt und Neues erkannt, wo doch klare augusteische Vorläufer existieren.
Jesper Majbom Madsen plädiert für eine stärkere Involvierung des ersten Princeps bei der Etablierung der verschiedenen Ausprägungen 'des' Kaiserkultes. Den bekanntermaßen von Cassius Dio konstatierten grundlegenden Unterschied zwischen römischen Bürgern und Peregrinen in Kleinasien identifiziert Madsen dabei als eine Erfindung des severischen Geschichtsschreibers. Seiner daraus folgenden Sicht, die kultische Verehrung des lebenden Kaisers sei "a matter for the Empire's entire population" gewesen (102), wird man sich aber kaum anschließen können.
Jussi Rantala betrachtet die Propagierung der kaiserlichen Familie durch Septimius Severus im Rahmen der Säkularspiele des Jahres 204. Wenngleich dies durchaus plausibel ist, werden jedoch die direkten antoninischen Vorbilder für die Herausstellung der domus Augusta zu wenig berücksichtigt. Claudia Beltrão da Rosa untersucht anhand der Terminalia und der Fortuna Muliebris, wie unter Augustus eine 'religiöse Landschaft' Roms konstruiert wurde, die sich vorgeblich an den alten Grenzen des ager Romanus orientierte. Fabio Augusto Morales bettet den Monopteros für Augustus und Roma auf der Athener Akropolis in die lokale Tradition ein. Wieso er dieses Monument allerdings als Legitimation der römischen Herrschaft sieht (vgl. bes. 150f., 153f.), wird nicht deutlich. Joel Allen untersucht, wie Herodes Atticus mit der Förderung des äthiopischen Jugendlichen Memnon, der, so der Autor, eine Art inoffizieller Ephebeia durchlief, so etwas wie einen "cosmopolitan microcosm" kreierte, und so eine 'imperial identity' zur Schau stellte, als deren Charakteristikum Allen den Kosmopolitismus sieht. Mark Depauw untersucht die Folgen der römischen Herrschaft für die Namensvergabe in Ägypten auf Basis der von ihm mit aufgebauten Datenbank 'Trismegistos people'. Die durch Auswertung papyrologischer Texte gewonnene Sammlung von Personen ist allerdings noch keine vollwertige Prosopografie, weswegen die hier vorgelegten, interessanten Befunde vor allem einen vielversprechenden "first step" (194) darstellen. Luise Marion Frenkel verweist schließlich plausibel auf die fortwährende Bedeutung senatorischer Rituale, deren Spezifika jedoch etwas unklar bleiben, für die politische Kultur (207) der Spätantike und mögliche Auswirkungen auf kirchliche Institutionen. Problematisch ist aber der inflationäre Einsatz des Begriffs der (imperialen) Identität, der unreflektiert auf das Imperium (200), den Senat (203), Einzelpersonen (208) wie auch auf den Kaiser angewandt wird (209).
Der Band hinterlässt somit einen zwiespältigen Eindruck. Eine Gesamtbilanz wird man angesichts der Komplexität der Materie kaum erwarten dürfen. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den zugrunde gelegten Konzepten wäre allerdings manchem Beitrag wie auch dem Werk als solchem zugutegekommen. Nichtsdestoweniger bietet der vorliegende Band vielfältige wichtige Impulse für die Debatten um die Grundlagen individueller wie kollektiver Identität im Imperium Romanum.
Anmerkungen:
[1] Vgl. beispielsweise den "discussion article" von Miguel John Versluys ("Understanding objects in motion. An archaeological dialogue on Romanization") und die Antworten von Richard Hingley, Tamar Hodos, Tesse D. Stek, Peter van Dommelen und Greg Woolf in: Archaeological Dialogues 21 (2014), Nr. 1, 1-64.
[2] Die eigentliche Kommunikation zwischen kaiserlicher Zentrale und Provinz wird dabei allerdings in keinem einzigen Beitrag des Bandes angesprochen; vgl. zu Aspekten dieses Kommunikationsverhältnisses zur Zeit des Antoninus Pius etwa vor kurzem die Beiträge von Werner Eck, Matthias Haake und Christoph Michels in: Christoph Michels / Peter Franz Mittag (Hgg.): Jenseits des Narrativs. Antoninus Pius in den nichtliterarischen Quellen, Stuttgart 2017.
[3] Vgl. etwa Ulrich Gotter: Die Nemesis des Allgemein-Gültigen. Max Webers Charisma-Konzept und die antiken Monarchien, in: Pavlína Rychterová / Stefan Seit / Raphaela Veit / Daniel Gotzen / Susanne Kurz (Hgg.): Das Charisma. Funktionen und symbolische Repräsentationen (= Beiträge zu den Historischen Kulturwissenschaften; Bd. 2), Berlin 2008, 173-186, hier: 185.
Christoph Michels