Rezension über:

Natalija Ganina: 'Bräute Christi'. Legenden und Traktate aus dem Straßburger Magdalenenkloster. Edition und Untersuchungen (= Kulturtopographie des alemannischen Raums; Bd. 7), Berlin: de Gruyter 2016, VIII + 432 S., 22 Farbabb., ISBN 978-3-11-046422-1, EUR 99,95
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Rezension von:
Monika Costard
Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Monika Costard: Rezension von: Natalija Ganina: 'Bräute Christi'. Legenden und Traktate aus dem Straßburger Magdalenenkloster. Edition und Untersuchungen, Berlin: de Gruyter 2016, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 3 [15.03.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/03/30876.html


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Natalija Ganina: 'Bräute Christi'

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Auf Anregung des Oxforder Germanisten Nigel Palmer legt die Moskauer Germanistin Natalija Ganina mit diesem Werk die Beschreibung, Untersuchung und Edition der Handschrift Moskau, Russische Staatsbibliothek, F. 68, № 446 vor. Der Codex enthält die älteste, auf das Jahr 1477 datierte Schreibarbeit der Straßburger Nonne Katharina Ingolt und bildet, wie schon von Palmer bemerkt, den Auftakt zu einer Reihe von Handschriften mit aktueller, von dominikanischen Reformvertretern verfasster geistlicher Literatur aus der Hand dieser Schreiberin. Im Randschmuck stellt sich die Nonne selbst dar, in einer jüngeren Handschrift auch in Verbindung mit einem Einhorn (Abbildungen 4 und 11, 244 Traktattext zum Thema). Ganina erschließt den lange aufgrund der politischen Verhältnisse unbekannten Codex mit den Mitteln einer erweiterten Handschriftenkunde (1-46 zu Handschrift, Restaurierung, Bibliotheksgeschichte und Schreiberin).

Der erste Teil der Handschrift (2v-73r) enthält bisher nicht edierte Legenden der Heiligen Katharina von Alexandrien (25.11.) und Barbara von Nikomedien (4.12.). Beide Heilige erscheinen hier als Königstöchter, die vor dem Hintergrund ihrer spätantiken Bildung den einen Schöpfergott denken. Insbesondere Katharina verteidigt die Lehre von der Dreifaltigkeit und den damit verbundenen Christusglauben. Durch ihren Übertritt zum Christentum geraten beide in Konflikt mit ihren Vätern und dem römischen Machthaber. Unter der Folter tritt der himmlische Schutz, die erstaunliche Lebenskraft und die Vollmacht der Christinnen zutage sowie ihr Anliegen, Schutz und Heil innerhalb der christlichen Gemeinschaft zu vermitteln. Die junge Katharina schaut in einer Vision ihre Vermählung mit dem Mariensohn, während Barbara angesichts ihrer Würde und Liebe zu Christus im Text als "Braut Christi" bezeichnet wird.

Die einleitenden Kapitel (46-113) erschließen den Legendeninhalt über die Textgeschichte. Ganina identifiziert die umfangreiche Katharinenlegende als "gelehrte deutsche Prosafassung" nach lateinischen Vorlagen, entstanden vermutlich in Dominikanerkreisen ('Hodie'-Version, 46 und 76). Die Entstehung des 'Conversio'-Teils, der auch die mystische Vermählung enthält, verortet Ganina im romanischen Sprachraum und speziell "im Kontext der Frauenmystik des 13. Jahrhunderts" (60-63). Die 'Passio' schließlich beruht auf der Standardfassung, entstanden vermutlich im Zusammenhang der Translatio der Reliquien nach Rouen im 11. Jahrhundert (51). Die Barbara-Legende hingegen erweist sich als Kompilation aus vier volkssprachigen Vorlagen, v.a. aus 'Der Heiligen Leben' und der 'Elsässischen Legenda aurea'. Die Vorrede und die spätestens im 12. Jahrhundert entstandene 'Conversio' (98), deren hier übernommene Teile das Gespräch Barbaras mit ihren Eltern über die heidnischen Götter und ihren Briefwechsel mit Origenes überliefern, beruhen auf einer im Jahr 1476 von einem Karmeliter namens Erasmus übersetzten Barbaralegende (103-104). Ein Mirakel über den guten Tod eines Verteidigers des Augustinerchorfrauenstifts Pillenreuth bei Nürnberg ist nur in der Moskauer Handschrift enthalten (109-111). Der Anfang und die abschließende Gebetsübung 'Ein geistliches Immergrünkränzlein' haben Parallelen in Handschriften aus dem Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis (Übersicht 107-108).

Der zweite Teil der Handschrift (75r-154r) enthält Traktate des späteren Gebweiler Dominikaners Johannes Kreutzer (113-126 zur Biographie). Dieser wurde um 1424-1428 im elsässischen Gebweiler geboren und begann seine geistliche Laufbahn im Jahr 1454 nach einem Studium an der Universität Erfurt als Leutpriester am Lorenzaltar des Straßburger Münsters. Im Ultimum Vale-Streit auf der unterlegenen Seite, begab sich Kreutzer nach Rom. Seit 1457 setzte er seine Studien in Heidelberg fort und wurde im Jahr 1459 zum Domherrn und Münsterprediger in Basel gewählt. Kurze Zeit später war er an der Gründung der dortigen Universität beteiligt (dazu Abbildungen 15 und 16 aus der Baseler Rektoratsmatrikel). Befördert durch die Promotion in Heidelberg im Jahr 1461, beteiligte sich Kreutzer an der Lehre der Baseler theologischen Fakultät und amtierte in den Jahren 1462/63 als vierter Rektor der Universität. Schließlich engagierte er sich für die Reform des Dominikanerklosters in seinem Heimatort Gebweiler, in das er im Jahr 1465 eintrat, und für die Reform umliegender Dominikanerinnenklöster. Inzwischen Prior des Gebweiler Konvents, starb Kreutzer in Rom während des Generalkapitels im Jahr 1468.

Kreutzers Traktat 'Der Geistliche Mai' (75r-128r, Edition 217-274) wurde nach seinem Tod noch etwa eine Generation lang in Straßburger Frauenklöstern und im Klarissenkloster Pfullingen rezipiert. Bisher waren nur Teile ediert. Eine tropologische Auslegung von Cn 5,1 Veni in ortum meum und weiterer Hohelied-Verse, verstanden als Einladung Christi an die Seele im Bild des Gartenbesuchs durch ein Liebespaar, bildet die inhaltliche Klammer. Der Traktat macht sich das Reden über Gott in fasslichen Bildern zur Aufgabe (218,2, 222,25 und folgende) und bietet eine Mischung aus Imagination, thematischer Darstellung und Anrede. Zwölf Stationen Gartenlust (Parallelhandschrift B: 13) führen den Blick mehrheitlich mit dem Mann, sehen in der Errichtung von Gartenpalais (Haus) und Liebeslager aber auch die Frau, Braut (=Seele), als Akteurin. Mit der Darstellung verknüpft werden zentrale Inhalte christlicher Theologie, wie die Trinität (Brunnen 249-255, Bankett 264-269), Christologie (Apfelbaum 227-234, Harfe 273) und Tugenden (Blumengarten 244-247, Blumenschmuck des Bettes 261-262, Safranfeld 314-350 als 13. Lust im Anhang und öfter). Der Abschnitt zum Kräuter- und Duftgarten (242-244) und eine zweite Auslegung des Blumengartens stellen das Commune sanctorum dar (248,16-26). Mit dem Baumschatten verknüpft werden Ausführungen zum wirkenden und schauenden Leben (233-236, zu Cn 2,3, 237 zum Thema Trost). Konkrete lebensweltliche Bezüge bleiben die Ausnahme (Trinkbad in Porretta Terme bei Bologna 270). Schwungvoll wird der Text besonders dann, wenn er eine Dynamik im neuplatonisch gedachten Konnex zwischen Gott und Schöpfung entfaltet und Bilder für die Rückbindung der Geschöpfe an ihren Ursprung findet, etwa in den Hohelied-Worten der "Braut" (218 und folgende), in der Beschreibung Christi als Feldblume (247,21-248) oder im Entwurf des Banketts (264-269, zu Esth 1,5-8). Die Braut-Seite gibt einem Signum des Spätmittelalters Gestalt, das Lucien Fèbvre als "un immense appétit du divin" auf den Begriff bringen und an die Historiographie der Neuzeit vermitteln konnte. [1] Den Abschluss bilden Kreutzers Traktate 'Geistliche Ernte' (275-298, zu Cn 7,12, Ekklesiologie) sowie 'Herbstmost' I und II (299-311).

Dem Editionsteil liegt die Moskauer Handschrift als Leithandschrift zugrunde. Den Text der Katharinenlegende (149-201) erstellt Ganina unter Rückgriff auf zwei ausgewählte Begleithandschriften derselben Fassung (87 und 90), während für die Barbara-Legende (202-216) auch Editionen der Vorlagen herangezogen werden. Die Edition des 'Geistlichen Mai' (217-274) berücksichtigt Parallelüberlieferung im strengen Sinn, nicht jedoch Übernahmen Kreutzers aus dem eigenen, hier nicht erwähnten Werk, die Schmidtke zusammengestellt hat. [2] Aufgenommen ist die stilistisch abweichende 13. Gartenlust (314-350). Text und Interpunktion sind nicht fehlerfrei. Häufig von Verlesungen betroffen sind das mittelhochdeutsche Verb nieȝen und verwandte Bildungen wie gotnieȝen und nieȝunge.[3]

Der Band ist eine Hommage vieler Aushäusiger an die geistliche Kultur des Oberrheingebiets, allen voran der Autorin. Leider unterblieb eine Revision des Editionsteils. Die mitreißende Einführung erschließt Handschrift und Texte in zeiten- und länderübergreifender Perspektive. Als inhaltlicher Impulsgeber treten der Mittelmeerraum und die Romania zutage. Die Handschrift als Bestandteil der Straßburger Buchkultur um 1475 für weitergehende Fragestellungen zum Sprechen zu bringen, bleibt Aufgabe der Leser.


Anmerkungen:

[1] Lucien Fèbvre: Une question mal posée: les origines de la Réforme française et le problème général des causes de la Réforme, in: Révue historique 161 (1929) S. 1-73, hier S. 39.

[2] Dietrich Schmidtke: Studien zur dingallegorischen Erbauungsliteratur des Spätmittelalters. Am Beispiel der Gartenallegorie (Hermaea Neue Folge, 43), Tübingen 1982, S. 146-147.

[3] Abgleich am Digitalisat der Handschrift Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod.theol.et.phil.qt 190, Verb nieȝen 233,26 Stu 23r, 265,19 Stu 66v, 267,11 Stu 69r und öfter, gotnieȝen 231,17 Stu 20r und nieȝunge 294,18 und 296,4 Stu 106r und 108v.

Monika Costard