Markus Schürer: Die Enzyklopädie der berühmten Männer und Frauen. Domenico Bandini, sein Fons memorabilium universi und die kompilatorische Biographik der Renaissance (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 97), Tübingen: Mohr Siebeck 2017, XV + 468 S., ISBN 978-3-16-154526-9, EUR 99,00
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Der Fons memorabilium universi Domenico Bandinis (ca. 1340-1418) ist von der modernen Forschung bisher kaum gewürdigt worden. Zwei Faktoren dürften dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben: zum einen der Umfang des voluminösen Werks, der mitverantwortlich dafür war, dass bis dato nicht nur keine kritische Edition, sondern überhaupt kein Druck des Werks vorliegt (sieht man von einzelnen kleineren Passagen in unterschiedlichen, etwa kunsthistorischen Kontexten ab) und man den Text fast durchwegs in handschriftlicher Form rezipieren muss; zum anderen das von A. Teresa Hankey, der "Wiederentdeckerin" des Textes, um die Mitte des 20. Jahrhunderts verhängte Verdikt, Bandini fehle es an Originalität. Tatsächlich handelt es sich beim Fons über weite Strecken um die Kompilation einer beeindruckenden Menge älterer Texte, jedoch zeigen sich schon in der Titelwahl (Fons ist eine in der lateinischen Literatur des Mittelalters sehr selten gewählte Bezeichnung für enzyklopädische Werke) wie auch in der Komposition (insbesondere in der Kombination von Enzyklopädie und kompilatorischer Biographik; letztere wiederum wird in ungewöhnlicher Weise alphabetisch aufgebaut) durchaus individuelle und originelle Aspekte. Zweifellos verdient das Werk jene Aufmerksamkeit, die ihm der Verfasser der vorliegenden, an der TU Dresden angenommenen Habilitationsschrift widmet.
Die Monographie besteht aus zwei großen Teilen. Der erste Teil skizziert zunächst den Forschungsstand zum Fons und zu dessen Autor, gibt dann eine detaillierte Biographie des um 1340 in Arezzo als Sohn eines Aretiner Textilkaufmanns geborenen Bandini, der ab 1374 als (Grammatik-)Lehrer in Florenz (hier wohl auch ab 1385 am hiesigen studium), Padua, Bologna und Arezzo tätig war, wo er 1418 verstarb. In Florenz knüpfte er Kontakte mit humanistischen Kreisen, woraus sich auch eine Briefkorrespondenz mit Coluccio Salutati entwickelte, die vom Verfasser in diesem Abschnitt ebenso gewürdigt wird wie das übrige Œuvre Bandinis (u. a. ein lateinisch-italienisches Glossar, ein Rosarium artis grammatice, ein Kommentar zu Lucans Pharsalia und ein kommentiertes alphabetisches Register zu Giovanni Boccaccios Genealogia) sowie sein intellektuelles Profil, das Schürer anhand von Überlegungen zur "Bibliothek" Bandinis (die nur aus den von ihm verwendeten Autoren "rekonstruierbar" ist; weder Bücherlisten noch einschlägige Besitzvermerke sind erhalten) und zu seiner Rolle als Literaturhistoriker entwickelt.
Im nächsten Abschnitt erläutert der Verfasser die Entstehung, den Aufbau und die "Publikation" des Fons (letztere erfolgte zunächst in Einzelbüchern durch Bandini selbst und als - nicht ganz vollendetes - Gesamtwerk posthum durch seinen Sohn Lorenzo), an dem Bandini 48 Jahre gearbeitet haben soll. Nach einer kurzen Rezeptionsgeschichte des Werks wird es von Schürer in die enzyklopädische Literatur eingeordnet, ehe nun der Hauptteil von Abschnitt I der Monographie folgt: die Untersuchung des ersten und letzten Buches aus Pars V des Fons, nämlich De viris claris und De mulieribus claris, also der kompilatorischen Biographik in Bandinis Enzyklopädie, die einen überdurchschnittlich hohen Anteil des Werks ausmacht. Schürer erläutert hier zunächst die von ihm verwendete Terminologie ("kompilatorische Biographik") und die Geschichte dieser Literaturgattung von den griechischen Ursprüngen über die römischen und mittelalterlichen Biographienreihen bis in die Zeit des Humanismus und demonstriert dann die Eigenheiten der beiden genannten Bücher, die sowohl von ihrem Umfang her als auch durch ihre Gegenüberstellung von Frauen und Männern sowie ihre alphabetische Ordnung eine Sonderstellung in der literarischen Tradition einnehmen.
In Teil II folgt die "Quellengrundlage" für Teil I: Am Beginn steht die Vorstellung der Überlieferung des Fons und die Beschreibung der einzelnen Überlieferungsträger, daran anschließend die Edition von ausgewählten Biographien oder Passagen, auf die der Autor seine Argumentation in Teil I gestützt hat, sowie das Verzeichnis der Kapitelanfänge der beiden Bücher De viris claris und De mulieribus claris. Erschlossen wird der Band durch ein Personen-, nicht aber durch ein Orts- oder Sachregister.
Wie schon aus der eben vorgelegten Zusammenfassung, die leider nur die Grundzüge der ungemein reichhaltigen Monographie wiedergeben kann, zu erkennen ist, sind die beiden Hauptteile der Monographie methodisch völlig unterschiedlich angelegt, und gleiches trifft auch auf das Niveau der beiden Teile zu. Teil I ist eine überzeugende, in den Urteilen ausgewogene Würdigung eines bisher zu Unrecht kaum wahrgenommenen Werks, die den Fons zweifellos wieder stärker in den Fokus der Forschung rücken wird, und gibt einen klaren, auch sprachlich gelungenen Überblick über die Geschichte des Werks und dessen Rezeption, die Biographie des Protagonisten sowie den Hintergrund, vor dem man dieses Hybridprodukt aus Enzyklopädie und Biographik zu deuten hat. Problematischer ist Teil II, was nicht ausschließlich dem Verfasser anzulasten ist. Das methodische Problem, einen bisher nur in wenigen Teilen gedruckten Text zugänglich machen zu müssen, weil darauf die Argumentation des gesamten ersten Teils der Monographie basiert, fordert hier seinen Tribut, zumal auch deutlich wird, dass der Autor wenig mit der Handschriftenforschung vertraut ist, was aber bei der hier vorgelegten Beschreibung zumindest eines Teils der Textzeugen unbedingt notwendig gewesen wäre. So hätte sich bei Berücksichtigung etwa der DFG-Richtlinien für Handschriftenkatalogisierung vieles präziser formulieren und die eine oder andere Abundanz in den nicht sehr konzisen und terminologisch zum Teil problematischen (vgl. etwa das als Femininum gebrauchte "die Reklamante") Beschreibungen leicht vermeiden lassen; auch die Lagenformeln entsprechen in keiner Weise den von der Handschriftenkatalogisierung angewandten Chroustschen Regeln und sind durchwegs grob missverständlich (vgl. etwa Seite 261: 2-1216 [?!], 1320-2 [?!]); die von Otto Mazal gebrauchte Terminologie, auf die sich der Verfasser für seine Handschriftenbeschreibungen beruft (240), ist wenig empfehlenswert und nicht mehr maßgeblich; Wasserzeichen werden überhaupt nicht berücksichtigt, obwohl ihre Erfassung auch dazu hätte beitragen können, eher unpräzise Datierungen wie "erste Hälfte des 15. Jahrhunderts", "vor 1460" o. ä. deutlich einzuengen, was wiederum wichtige Erkenntnisse auch für die Rezeption des Textes gebracht hätte; auch philologische Defizite hätte man vielleicht bei nochmaliger sorgfältiger Durchsicht des Textes vermeiden können: So muss es auf Seite 16 lauten De Fato (nicht Fatu), Fortuna et Casu; Seite 308 gegen die Handschriften wohl recipit et absorbet statt recepit et absorbet; Seite 322 ebenso gegen die Handschriften mirabile templum statt mirabilem templum; Seite 323 ist die richtige Worttrennung A. Gellius libro 17 noctum atthicarum statt Agellius libro 17 noctum atthicarum (es handelt sich um Aulus Gellius, nicht um einen Autor Agellius) usw.
Die grundsätzliche Crux dieses Teils ist allerdings vor allem der Überlieferungssituation bzw. dem Umfang des Textes und weniger dem Verfasser der Monographie geschuldet: Man kann bei allem grundsätzlichen Verständnis dafür, dass der Autor seine Aussagen aus Teil I belegen will, zunächst sicher geteilter Meinung darüber sein, ob es sinnvoll ist, Passagen von zum Teil nur eineinhalb oder drei Zeilen völlig losgelöst vom Kontext zu edieren - wobei der Verfasser hierbei auch nicht alle Textzeugen berücksichtigt und deswegen korrekterweise nicht den Anspruch einer kritischen Edition erhebt (235). Problematischer ist allerdings die Entscheidung, jene Teile in Abschnitt II, die schon anderweitig ediert wurden (so vor allem in der maschinschriftlichen und deshalb schwer zugänglichen Dissertation von Hankey), einfach nach diesen Vorlagen abzudrucken. Auf diese Art und Weise entsteht ein Hybridtext, der wirklich nur als grober inhaltlicher Überblick, aber nicht als verlässlicher Text gelten kann, zumal man als Leser in der Regel nicht weiß, wie zuverlässig der Text besonders in den von anderen Editoren übernommenen Passagen wirklich ist. Die Lösung dieses Problems ist so einfach wie schwierig zugleich und betrifft nicht nur den hier vorliegenden Text Bandinis, sondern auch eine Reihe wirklich grundlegender humanistischer Werke, die nur in alten Drucken oder gar ausschließlich in handschriftlicher Überlieferung vorliegen: vor allem und zuvörderst wäre die Edition des Fons oder zumindest seiner biographischen Teile notwendig. Man kann sich nur wünschen, dass diese bald folgen wird. Sie würde die Forschung zu Bandini und seinem Fons ganz wesentlich und langfristig voranbringen.
Martin Wagendorfer