Patrick Baker / Ronny Kaiser / Maike Priesterjahn et al. (eds.): Portraying the Prince in the Renaissance. The Humanist Depiction of Rulers in Historiographical and Biographical Texts (= Transformationen der Antike; Bd. 44), Berlin: De Gruyter 2016, X + 489 S., 5 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-047236-3, EUR 99,95
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Die viel zitierten, oft wenig konkreten Begrifflichkeiten, die das Phänomen der Renaissance umschreiben ("Wiedergeburt/Rezeption der Antike"), nehmen im vorliegenden Band, zugleich letzter Teil einer der humanistischen Geschichtsschreibung gewidmeten Trilogie, erfreulicherweise Gestalt an. Die Beiträge untersuchen die antiken Vorbilder und Muster in ausgewählten historiografischen und (auch seriellen) biografischen Schriften des Humanismus. Dabei wird in der Beschreibung von Fürsten und ihrer großen Taten zugleich auch der Frage nach der Bedeutung von historischer Wahrheit und Wahrheitstreue nachgegangen.
Der in vier Sektionen unterteilte Band ("Virtutes"; "Cultural and Political Pretensions"; "Models Ancient, Medieval, and Modern"; "Method") untersucht mit den biografischen und historiografischen Werken zwei Textgattungen, die besonders im 15. und 16. Jahrhundert aufgrund der verschiedenen politischen Ansprüche und des Wettlaufs um Rang und Titel florierten. (1) Während in der Antike diese zwei Textgattungen genau unterschieden wurden, vermischten sie sich im Humanismus weitgehend; die Herausgeber sprechen in diesem Zusammenhang von "hybridization" (2), denn wo Renaissancefürsten aufgrund kultureller, politischer oder legitimatorischer Ansprüche schriftlich porträtiert wurden, wurde auch gleichzeitig Stadt-, Regional- und National-/Territorialgeschichte geschrieben (3).
Den Fokus auf die herrschaftlichen Tugenden legen im ersten Teil besonders die Beiträge von Thomas Schwitter, Maike Priesterjahn und Stefan Schlelein, in denen u. a. anhand verschiedener biografischer Darstellungen die Entwicklung des Bildes von einem schwachen zu einem starken und schließlich zu einem von politischer Klugheit geleiteten Monarchen nachgezeichnet wird.
Stefan Schlelein vergleicht in der "Anglica historia" des Italieners Polydor Vergil die Darstellung der beiden Lancaster-Könige Heinrich V. und Heinrich VI. Hierbei übertrifft der Vater in Bezug auf seine königlichen Tugenden den Sohn, welcher insofern als ein schlechterer König dargestellt wird, als er zu gut, d. h. schicksalsergeben, gutherzig und ein Kulturförderer war. Eine optimale Mischung aus tapferem Krieger und gebildetem Fürst bietet erst der Auftraggeber des Werkes, der Tudor-König Heinrich VII.
Klar erkennbare Vorbilder (Caesar, Cicero, Hieronymus, Xenophon, Vergil, Lucan, Homer) und antike Narrationstechniken finden sich in den Porträts von Alfons I., der Eroberer des Königreichs Neapel (Hester Schadee), in Riccardo Bartolinis Epos "De bello Norico Austriados libri XII" (Florian Schaffenrath) und Giovanni Maria Filelfos "Cosmias" (Thomas Haye). Hier kommen zumeist auch die Götter des Olymps zum Einsatz, wodurch die Protagonisten zu Helden und Anführern z. B. gegen die Türkengefahr wie Maximilian I. oder zu Quasi-Monarchen im republikanischen Umfeld von Florenz wie Cosimo il Vecchio de'Medici gemacht werden.
Den Beispielen des zweiten Bandteiles ist eine weit zurückliegende, altehrwürdige Herkunft der zu beschreibenden Protagonisten und eine geschlossene Kontinuität oder wie Ronny Kaiser es genannt hat, eine "übermächtige Serialität an Herrschergestalten" (178) gemein. So versuchten die Fürsten von Krk in Kroatien als Mittel zur herrschaftlichen Selbstinszenierung ihre Herkunft von römischen Familien, wie die Frangipani, abzuleiten (Luka Špoljarić), während der stark kritisierte Autor der "Germaniae Exegesis", Franciscus Irenicus, die in den Genealogien dargestellten Eliten des Reiches im Sinne einer monarchischen Kontinuität sogar auf Noah zurückführte (Ronny Kaiser).
Dass Vorbilder und Muster nicht ausschließlich aus der römischen Antike stammten, zeigen die Beiträge im dritten Teil. Während Markus Schürer in seiner Analyse (und Edition im Anhang) der Vita des politisch wenig erfolgreichen, aber als Mäzen umso engagierteren Königs Robert von Anjou die Vorlagen bei den enzyklopädischen Werken über berühmte Männer und Frauen von Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio ausmachen kann, knüpfen die "Elogia virorum bellica laude illustrium" des Flamen Jacobus Sluperius an die Bildnisvitenbücher von Paolo Giovio an (Marc Laureys). Gleich drei Biografien über Karl den Großen werden im Beitrag von Wolfgang Strobl verglichen; es handelt sich einerseits um die stilistisch und inhaltlich kritisierte Biografie Einhards, weiters die von Kardinal Francesco Tedeschini Piccolomini in Auftrag gegebene Darstellung von Hilarius da Verona und schließlich um Donato Acciaiuolis "Vita Caroli Magni".
Ein besonders wichtiger Aspekt der Geschichtsschreibung, die Wahrheitsfindung und -darstellung, wird in den Beiträgen des dritten und vierten Teiles thematisiert. Gary Ianziti fokussiert seinen bemerkenswerten Aufsatz auf die nach dem Vorbild von Suetons Kaiserviten freimütige, Laster nicht aussparende monografische Darstellung des Mailänder Herzogs Filippo Maria Visconti von Pier Candido Decembrio. Hier sollte eine möglichst lebensechte Darstellung der Steigerung der Glaubwürdigkeit und Unparteilichkeit des Autors dienen, dem somit auch hinsichtlich seines Herrscherlobes Glauben geschenkt werden sollte. Um unterschiedliche Konzepte von Geschichtsschreibung und von wahrheitsgetreuen Herrscherdarstellungen geht es auch im Beitrag von Patrick Baker, der Lorenzo Vallas ungeschminkte Wahrheit der beschönigenden Verherrlichung großer Taten bei Bartolommeo Facio gegenüberstellt. Bezüglich des Dilemmas zwischen Wahrheit und Verherrlichung hatte bereits Juan Páez de Castro, der Hofhistoriker Karls V. und Philipps II., eine Methodik auf der Basis von Primärquellen entwickelt, wofür der Autor den kontrollierten Zugang zu Herrscherarchiven forderte (Kira von Ostenfeld-Suske). Auch im Porträt des perfekten Herrschers am Beispiel Francescos Sforza erkennt man nach Jeroen de Keyser Francesco Filelfos schmale Gratwanderung zwischen Panegyrik und Wahrheit vor dem Hintergrund von Abhängigkeitsverhältnissen und wechselnden Patronagen. In seinem sprachlich wenig klaren, (zu) detailreichen Beitrag versucht schließlich Christian Peters anhand verschiedener Beispiele "mythhistorischer Epik mit Zeitgeschichtsbezug" (420) der Frage nach den Möglichkeiten und den Methoden, einen zeitgenössischen Herrscher als epischen Helden darstellen zu können, nachzugehen.
Den Abschluss dieses inhaltsreichen zweisprachigen Bandes bildet ein "critical summary" von Albert Schirrmeister, in dem unter den beiden Leitbegriffen "agency" und "validity" die Forschungsfragen (wie der Fürst dargestellt und wiedererkannt werden kann, wer für wen biografisch tätig ist und wie) nochmals resümiert werden. Mit dem vorliegenden dritten Teil der der Analyse von historiografischen Werken des Humanismus gewidmeten Reihe ist ein weiterer bemerkens- und lesenswerter, facetten- und inhaltsreicher Beitrag zum Verständnis dieser Sattelzeit gelungen.
Elena Taddei