Rezension über:

Peter Adamski: Binnendifferenzierung im Geschichtsunterricht. Aufgaben, Materialien, Lernwege, Seelze: Klett Kallmeyer 2017, 149 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-7727-1124-4, EUR 22,95
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Rezension von:
Eva Göbel
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Christian Kuchler
Empfohlene Zitierweise:
Eva Göbel: Rezension von: Peter Adamski: Binnendifferenzierung im Geschichtsunterricht. Aufgaben, Materialien, Lernwege, Seelze: Klett Kallmeyer 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 6 [15.06.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/06/30783.html


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Peter Adamski: Binnendifferenzierung im Geschichtsunterricht

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Die Zunahme von Heterogenität in Schulklassen ist eine der zentralen Herausforderungen für den Unterricht - gerade im Hinblick auf Inklusion. Bildungsexperten und Pädagogen sehen den Schlüssel für den Umgang mit den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in der Bereitstellung eines breit gefächerten Angebots. Peter Adamski zeigt in dem vorzustellenden Buch, wie durch Binnendifferenzierung oder innere Differenzierung - beide Begriffe verwendet der Autor synonym - ein passendes Angebot für möglichst viele Lernende erstellt werden kann.

Der Anspruch, den Einzelnen mit seinen Stärken und Schwächen bestmöglich zu fördern, ist nicht neu, steht aber im Kontext der inklusiven Bildung vor besonderen Herausforderungen: Mindeststandards müssen formuliert und differenzierte Leistungsnachweise entwickelt werden. Der Autor legt dabei den Fokus auf grundlegende Formen der Differenzierung und realistische Wege, die den Unterricht nur phasenweise öffnen (16).

Methodisch gliedert sich das Buch in vier Abschnitte. Zunächst geht es um Binnendifferenzierung im bildungspolitisch-pädagogischen Diskurs und um grundsätzliche Überlegungen im Kontext von Kompetenzen und Standards. Peter Adamski orientiert sich mit seinen Überlegungen nicht an Schulen mit einem besonderen pädagogischen Konzept, die eine Individualisierung des Lernens anstreben, sondern fragt nach Möglichkeiten der inneren Differenzierung jenseits dieser "Reforminseln", die auch im Rahmen einer Doppelstunde umsetzbar sind. An die Stelle einer individuellen Lernstandserhebung rückt "der diagnostische Blick auf die Unterschiede in den Lerngruppen nach Maßgabe einer vertrauten Unterrichtspraxis" (14). Ausgehend von der Maxime, dass alle am gleichen Thema arbeiten und am Ende ihre Ergebnisse gemeinsam auswerten sollen, plädiert er dafür, sich auf das Wesentliche des Faches zu konzentrieren, die Stofffülle sinnvoll zu reduzieren und so Raum für differenzierende Maßnahmen zu schaffen. Binnendifferenzierung wird somit zur Voraussetzung für einen inklusiven Unterricht (26).

Im zweiten Kapitel erläutert der Autor die Besonderheiten des historischen Lernens im Hinblick auf die Konsequenzen für innere Differenzierung. Um ein reflektiertes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln, müssen sich die Lernenden mit denen sie umgebenden Deutungen auseinandersetzen. Bereits die Formulierung der Ausgangsfragestellung sollte dabei kleinschrittig und anschaulich erfolgen oder gezielte Hilfen bereitstellen. Bei der Auswahl der Materialien können unterschiedliche Lernzugänge berücksichtigt werden und das Produkt einer Lernaufgabe muss nicht notwendigerweise eine textbasierte Darstellung sein. Peter Adamski zeigt Potentiale und Problemzonen verschiedener Methoden auf und wirft anschließend einen Blick auf die Differenzierungsangebote in aktuellen Schulbüchern. In der Regel bieten diese zumindest Ansätze für einen binnendifferenzierenden Umgang, auf welche die Lehrkraft zurückgreifen sollte.

Den Hauptteil des Buches nimmt das dritte Kapitel ein, das konkrete Methoden und Instrumente für die Praxis vorstellt und sich in die Abschnitte Aufgabendifferenzierung, Materialdifferenzierung, Lernhilfen, Lernzugänge und Lernwege sowie differenzierte Leistungsnachweise untergliedert. Die zahlreichen Unterrichtsbeispiele zu den einzelnen Abschnitten stammen aus dem Anfangsunterricht im Fach Geschichte und der Sekundarstufe I.

Die vorgestellten Ansätze der Differenzierung sollen verhindern, dass immer auf die gleiche Art differenziert wird, können aber natürlich miteinander kombiniert werden. Ziel der Aufgabendifferenzierung ist, dass möglichst viele Lernende das Fundamentum erreichen. Dieser Mindeststandard darf sich nicht auf den Anforderungsbereich I beschränken, sondern muss auch die Anbahnung von Sach- und Werturteilen ermöglichen. Dies wird an Beispielen zu "Fächer- und Blütenaufgaben" verdeutlicht (52-57). Darüber hinaus lassen sich die Aufgaben in Geschichtsbüchern als Aufgabenpool für Binnendifferenzierung nutzen. Bei besonders komplexen Quellen ermöglichen Sternchen-Aufgaben eine schrittweise Erschließung auf unterschiedlichen Niveaustufen (61-65).

Im Abschnitt zur Materialdifferenzierung diskutiert der Autor die grundsätzliche Problematik des Quelleneinsatzes im Geschichtsunterricht. Mit "alternativen Angeboten, die weniger interessierte, motivierte oder auch leistungsschwächere Lernende in den Prozess historischen Lernens einbinden können" (85) sollen Schülerinnen und Schüler gefördert werden, während andere, die sich zeitweilig unterfordert fühlen, durch Quellen im sprachlichen Original oder Faksimiles gefordert und motiviert werden.

Sollen alle Lernenden mit demselben Material arbeiten, ermöglichen Lernhilfen eine innere Differenzierung. Diese stehen als Starthilfe zu Beginn oder als Tippkarte während der Erarbeitung zur Verfügung. Bei gestuften Hilfen handelt es sich beispielsweise um Bearbeitungshinweise oder Lösungsansätze. Der Umgang damit muss gelernt werden: Einerseits darf es kein Stigma sein, diese Hilfen zu nutzen, andererseits sollen sie nicht dazu verführen, auf eigenes Nachdenken zu verzichten.

In seiner theoretischen Einleitung zur Differenzierung nach Lernzugängen und Lernwegen plädiert Peter Adamski eindringlich dafür, narrative Kompetenz möglichst weit zu fassen. Neben den in Schulbüchern häufig geforderten schriftlichen Lernprodukten spiegeln auch Comics, szenische Spiele, Hörspiele und Wandzeitungen narrative Kompetenz (111). Die Aufgabenformulierung in der Sekundarstufe I sollte nicht zu stark von den Operatoren der Einheitlichen Prüfungsanforderungen (EPA) beeinflusst werden, sondern vielfältige Formen der Narration anregen.

Ein binnendifferenzierter Unterricht muss auch durch entsprechende Leistungsnachweise ergänzt werden. So können Tests den Schülerinnen und Schülern Wahlmöglichkeiten bieten, Tippkarten bereithalten oder Zusatzaufgaben stellen. Dies lässt sich ohne allzu großen Zusatzaufwand realisieren. Formate wie Präsentationen, Projekte und Portfolios bieten vielfältige Differenzierungsmöglichkeiten. Verschiedene Fragestellungen, Medien und Lernzugänge stehen zur Auswahl. Die Lernenden wählen entsprechend ihrer Stärken aus. Das bedeutet auch, dass sie Herausforderungen aus dem Weg gehen können. Dies sollte im Rahmen von Leistungsbewertung akzeptiert, in Lernsituationen jedoch thematisiert werden.

Der Autor überzeugt durch die konsequente Praxisorientierung. Er geht davon aus, dass circa 80 Prozent des Geschichtsunterrichts in Einzel- oder Doppelstunden stattfinden (6) und damit offene Unterrichtsformen wie Wochenplanarbeit und Stationenlernen eher die Ausnahme als die Regel darstellen. Der Autor stellt immer wieder die Frage, inwieweit in diesem Rahmen sinnvoll binnendifferenziert werden kann und verweist auch auf die Grenzen, die äußere Umstände setzen. Folglich liegt der Schwerpunkt des Buches auf niedrigschwelligen Möglichkeiten der Differenzierung. Äußerst hilfreich sind die zahlreichen Unterrichtsvorschläge, die überwiegend in angemessener Schriftgröße und Bildqualität abgedruckt sind. Lediglich die beiden "Miniklausuren" wurden stark verkleinert (129, 130). Darüber hinaus liefert der Praxisteil tabellarische Zusammenfassungen zu den einzelnen Differenzierungsmöglichkeiten ("So kann es gelingen" - "Unbeabsichtigte Nebenwirkungen", 57, 73, 109, 120). Ein umfangreiches Literaturverzeichnis ergänzt das Buch.

Peter Adamski ordnet die Herausforderung Binnendifferenzierung im Geschichtsunterricht in den bildungspolitischen Diskurs ein und zeigt Möglichkeiten der inneren Differenzierung im "Denkfach Geschichte" mit seinen erheblichen kognitiven Ansprüchen auf, macht aber auch deutlich, dass erst eine weitere Öffnung des Unterrichts und die Planung über die Doppelstunde hinaus, das Potential der binnendifferenzierenden Instrumente ausschöpfen können (120). Der Autor fasst den aktuellen Stand zum Thema Binnendifferenzierung und Aufgabenformulierung im Geschichtsunterricht kompakt zusammen. Es gibt zwar bereits zahlreiche Veröffentlichungen in Form von Aufsätzen und Beiträgen in Fachzeitschriften, nicht zuletzt vom Autor selbst [1], aber einzig Christoph Kühberger und Elfriede Windischbauer legten bislang eine Monografie zum Thema offenes Lernen im Fach Geschichte vor und lieferten damit eine wichtige Grundlage für die fachdidaktische Diskussion. [2] Der vorliegende Band stellt außerdem eine wichtige Ergänzung zum Grundlagenwerk "Geschichte unterrichten" von Michael Sauer in Bezug auf Differenzierung und Kompetenzen dar. [3] Der theoretische Überblick liefert gerade für Studierende und Referendare die notwendigen Grundlagen, während die praxisorientierten Beispiele auch erfahrenen Lehrkräften wertvolle Anregungen für den Unterricht in heterogenen Lerngruppen geben und veranschaulichen, wie interessant und abwechslungsreich binnendifferenzierter Unterricht sein kann - für die Schülerinnen und Schüler, aber auch für Lehrkräfte.


Anmerkungen:

[1] Zuletzt: Peter Adamski: Aufgaben, Materialien, Lernhilfen. Der Mikroprozess binnendifferenzierten Lernens, in: Geschichte lernen 178 (2017), 2-11.

[2] Christoph Kühberger / Elfriede Windischbauer: Individualisierung und Differenzierung im Geschichtsunterricht. Offenes Lernen in Theorie und Praxis, Schwalbach / Ts. 2012.

[3] Michael Sauer: Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. 10. Auflage, Seelze-Velber 2012.

Eva Göbel